BND-»Pressesonderverbindungen«

Gewöhnlich gut informierte Kreise

Ehrlich war wieder mal nur der Theo Sommer: "Wenn einer von denen etwas wissen wollte, dann habe ich es ihm gesagt", gab der frühere Zeit-Chef Ende letzter Woche regelmäßige Kontakte zum Bundesnachrichtendienst (BND) zu. Die Leitung von Pullach zum Chefredakteursbüro im Pressehaus Speersort stand schon lange: Unter "Kategorie I: voll tragfähiger, regelmäßiger oder häufiger Kontakt" rangierte für die Geheimen bereits Anfang der siebziger Jahre Marion Gräfin Dönhoff, Sommers Vorgängerin im Amt.

Das berichtet Erich Schmidt-Eenboom, einer der profiliertesten Kritiker deutscher Geheimdienste, in seinem am Montag erschienenen Buch "Undercover - Der BND und die deutschen Journalisten". Schon vor seinem Erscheinen hatte der Band für gehörige Nervosität nicht nur in der BND-Zentrale, sondern vor allem in zahlreichen deutschen Redaktionsstuben gesorgt. Denn Schmidt-Eenboom ist es gelungen, ein sagenumwobenes Dokument auszugraben, das dazu führen könnte, daß die Geschichte des Pressewesens in der Bundesrepublik Deutschland neu geschrieben werden muß.

1970 hatte der damalige Kanzleramtsminister Horst Ehmke, ein SPD-Mann, Rechenschaft über BND-Kontakte zu Presseleuten verlangt. Die SPD hatte damals noch eine Rechnung offen mit dem Geheimdienst: Seit mehr als fünf Jahren hatten die Sozialdemokraten versucht, ihren Kandidaten Günther Nollau an die BND-Spitze zu befördern, waren jedoch am Widerstand aus der Pullacher Behörde gescheitert. Die Geheimen, damals zum großen Teil noch ehemalige Agenten von Hitlers Reichssicherheitshauptamt und der der Wehrmacht zugeordneten Spionageabteilung Fremde Heere Ost, wehrten sich beharrlich gegen die rote Infiltrierung.

Als die Sozialdemokraten Regierungspartei geworden waren, wollte Minister Ehmke endlich Klarheit haben, welchen Einfluß der Geheimdienst auf die Presse hatte. Er erhielt vom BND eine Liste, auf der sich, eingeteilt in drei Kategorien, 230 sogenannte Pressesonderverbindungen fanden - darunter nicht nur bekannte Parteigänger der Geheimen wie der rechte Publizist Gerhard Löwenthal oder Bild-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß, sondern auch Leute, die Ehmke in den eigenen Reihen wähnte, wie stern-Gründer Henri Nannen oder eben die Gräfin Dönhoff.

Der Minister gab Order, die Pressesonderverbindungen zu deaktivieren, worauf der Geheimdienst damit reagierte, daß er sie von da an nicht mehr gesondert führte. Die Liste wurde zur strengen Verschlußsache erklärt. Ihre Existenz war unter Kritikern der Geheimdienste jedoch kein Geheimnis. Der heutige Woche-Herausgeber Manfred Bissinger, der Mitte der achtziger Jahre Gelegenheit hatte, sie einzusehen, berichtete damals: "Mir, aber auch allen anderen, die die Liste zu sehen bekamen, sind die Augen übergelaufen. Es waren so gut wie alle, die Rang und Namen hatten im bürgerlichen Journalismus, fein säuberlich geordnet zu finden."

Tatsächlich liest sich die Aufstellung wie die Gästeliste zum Deutschen Presseball 1970: Neben Dönhoff und Nannen, Nayhauß und zahlreichen weniger prominenten Vertretern der schreibenden Zunft finden sich mit ihren jeweiligen Decknamen der damalige Intendant der Deutschen Welle, Walter Steigner, derjenige des ZDF, Karl Holzamer, der Londoner ARD-Korrespondent Joachim Wagner sowie der Chefredakteur der Bild-Zeitung und spätere Kohl-Berater Peter Boenisch.

Fast alle Genannten, deren Namen nun bekannt wurden, dementierten umgehend und heftigst. "Eine Infamie", empörte sich Graf Nayhauß. "Da war wirklich nix", beteuerte im Frühstücksfernsehen die greise Gräfin: "Ich habe nie was mit diesen Intelligenz-Leuten zu tun gehabt." Fast ist man geneigt, es zu glauben.

Was man dagegen kaum glauben kann: Daß ein halbwegs professionell arbeitender Geheimdienst wie der BND regelmäßig in die mißliche Lage gekommen sein könnte, auf die Art von Auskünften zurückzugreifen, die die Verfasser der langweiligsten Leitartikel deutscher Sprache zu bieten haben. Der Informationsfluß dürfte wohl eher in umgekehrter Richtung gelaufen sein: Eine kleine Exklusivmitteilung hier, ein Tip dort, gelegentlich ein vertrauliches Gespräch: Handverlesene Informationsbrocken, deren Veröffentlichung im Interesse des Geheimdienstes lag. Bis Januar 1998 hatte die Pullacher Behörde keinen offiziellen Pressesprecher, weil sie keinen brauchte. Pressemitteilungen wurden einfach durch persönliche Gespräche ersetzt.

Woher die Autoren Ihre Informationen hatten, danach fragte keiner. Schließlich zählten sie zu den "gewöhnlich gut informierten Kreisen": Gegenrecherche nicht nötig, weil ohnehin unmöglich. Weil sie auch selber nicht nachfragen konnten und wollten, wurden die Journalisten - eher volens als non volens - von Kontakten des BND zu Schreibern des BND, die ohne Unterscheidung Tatsachen, Halbwahrheiten und Lügen verbreiteten. Der Bundesnachrichtendienst brauchte keinen Pressesprecher, weil er 230 Pressesprecher hatte. Daß er heute einen hat, beweist aber noch längst nicht, daß er ihn nun braucht.