Ende der Geschichte

Nach der Rubel-Abwertung hat die Jelzin-Administration nicht nur das Vertrauen der eigenen Bürger verloren, sondern auch das der internationalen Investoren

Die Plakate, die an jeder Moskauer Metro-Kasse hängen, finden kaum Beachtung. Manchmal stehen Ausländer davor und studieren die großen und farbenfrohen Bilder, die das russische Geld erläutern.

Seitdem die Zentralbank zum Jahreswechsel neue Scheine einführte und drei Nullen strich, sind tausend alte Rubel nur noch einen neuen wert. Da aber alte und neue Scheine gleichzeitig im Umlauf sind, war die Verwirrung bereits programmiert. Zugleich signalisierte die Währungsreform auch ein neues Vertrauen in die Währung: Ein Rubel sollte etwas wert sein wie Mark und US-Dollar - man sollte etwas damit kaufen können. Mit einem Mal wurden Waren für Rubel verkauft - nicht mehr nur für US-Dollar -, und so mancher sparte sogar sein russisches Geld, statt dafür Valuta zu kaufen. Man begann, daran zu glauben, daß die eigene Währung stabiler war als früher.

Bis zur vergangenen Woche. Die Rubel-Abwertung schockte Wirtschaftsexperten wie Bevölkerung. Auf die Frage, was sie durch diesen Schritt eingebüßt hätten, antworteten in einer abendlichen Umfrage des Fernsehsenders NTW etwa 2 000 Anrufer, sie hätten Geld verloren, mehr als
4 000 hingegen sahen ihr Vertrauen in die Regierung geschwunden.

Ebenso muß es Präsident Boris Jelzin gegangen sein. Keine Woche ließ er Premierminister Kirijenko Zeit herauszufinden, ob mit der Abwertung der Zusammenbruch der Wirtschaft verhindert werden könnte. Am Sonntag ersetzte er ihn nach nur vier Monaten Amtszeit ausgerechnet durch dessen Amtsvorgänger Viktor Tschernomyrdin. Den hatte er erst im März gefeuert, weil er nicht in der Lage war, dem Land einen Weg aus der Wirtschaftskrise zu weisen.

Doch mit ihrem Notprogramm hat die russische Regierung nicht nur das Vertrauen der eigenen Bürger verloren, sondern auch das der internationalen Investoren. Denn neben der Rubel-Abwertung gibt es zwei weitere Programmpunkte: Die fälligen Zahlungen an inländische Kreditgeber werden langfristig umgeschuldet, die Zahlung von Auslandsschulden für 90 Tage ausgesetzt. "Damit hat sich Rußland auf absehbare Zeit den Zugang zu allen ausländischen Geldquellen versperrt", sagte David Beers, der bei der Rating-Agentur Standard & Poor's für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Staaten zuständig ist. Standard & Poor's Einschätzungen dienen Kreditgebern als Indikator, wie hoch das Risiko ist, einem Land Geld zu leihen. Die Russische Föderation rangiert nun auf derselben Stufe wie Kenia oder Nigeria.

Kirijenko betonte hingegen lieber die vermeintlichen Vorteile des Programms. Viele russische Banken, die ihre Dollar-Schulden nicht mehr bezahlen können, würden vor der Pleite bewahrt und der Staat werde zum ersten Mal seit Monaten wieder in der Lage sein, die Staatsangestellten pünktlich zu bezahlen. Die Regierung hofft, damit protestierende Bergarbeiter, Lehrer und Wissenschaftler zu besänftigen. Doch woher das Geld nach dem Schuldenmoratorium kommen soll, bleibt unklar. Die Rohstoffkonzerne, die mit ihren Steuern den größten Teil des Staatshaushaltes finanzieren sollen, werden zwar von der Abwertung zunächst profitieren, weil sie Öl und Gas für Dollars verkaufen, aber ihre inländischen Rechnungen mit Rubeln bezahlen. Allerdings importieren sie für viel Geld Spezialgeräte. Und überhaupt zahlen sie ihre Steuern nur sehr unregelmäßig.

Jahrelang waren Rußland Kredite bewilligt worden in der Hoffnung, die Regierung werde die Wirtschaft reformieren. Doch noch immer gibt es kein umsetzbares Konkursrecht: Firmen, die nach wirtschaftlichen Maßstäben längst pleite sind, arbeiten weiter, indem sie ihre Waren, die eigentlich niemand haben will, mit Unternehmen in ähnlicher Situation tauschen. Doch auch bei solventen Firmen machen Bartergeschäfte etwa die Hälfte aller Wirtschaftsumsätze aus. Die Staatskasse ist auch deshalb so gut wie leer, weil Barter nicht wirkungsvoll besteuert werden kann. Dazu kommt, daß auch die Zahlungsmoral nicht besonders ausgeprägt ist: Nur etwa jeder dreißigste Staatsbürger reichte 1997 eine Steuererklärung ein. Insgesamt schulden Wirtschaftsunternehmen und Bürger nach Angaben von Boris Fjedorow, dem Chef der Finanzbehörde, dem Fiskus über 68 Milliarden Mark.

In den am Tag der Rubelabwertung von Präsident Boris Jelzin zum Vizepremier ernannten Fjedorow setzt die Administration große Hoffnungen. Der Monetarist, der bereits bei der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung tätig war, bekleidete von 1993 bis 1994 den Posten des Finanzministers, warf aber damals entnervt das Handtuch, weil ihm die Wirtschaftsreformen nicht weit genug gingen. Nun heimst der bullige Typ, der sich gerne in John-Wayne-Pose präsentiert, von allen Seiten Lob dafür ein, daß er seine Steuerpolizei bewaffnet und in Kampfanzügen zu Hausdurchsuchungen schickt und die Videobilder von den Einsätzen ans Fernsehen geben läßt, um Steuersünder einzuschüchtern. Aber: "Wer seine Steuern bezahlt, hat nichts zu befürchten", versicherte Fjedorow in einem Interview.

Die Methode zeigt angeblich Wirkung; im Juni seien die Steuereinnahmen um drei Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen, im Juli sogar um neun, wie Kirijenko kürzlich behauptete. Ob dieses Tempo ausreicht, ist jedoch fraglich. Bereits im Oktober werden Devisengeschäfte russischer Banken im Wert von neun Milliarden Mark fällig. Ohne Unterstützung aus der Staatskasse können die zahlungsunfähigen Banken ihre Verpflichtungen nicht erfüllen. Dann blieben die ausländischen Banken auf ihren Verlusten sitzen; ein weiterer Vertrauensverlust, den sich Rußland nicht leisten kann.

Ohnehin scheint die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit Rußlands vorgezeichnet. Das Handelsvolumen der Moskauer Börse war am Freitag vergangener Woche auf weniger als neun Millionen Mark geschrumpft, ein Fünftausendstel von dem der New Yorker Börse.

Daß Unternehmen und Politiker die Entwicklungen in Rußland mittlerweile ähnlich ernst nehmen wie die Wirtschaftskrise in Asien und daß die Rubel-Abwertung die Börsen in den USA und Westeuropa auf eine Talfahrt schickte, hat verschiedene Gründe. Zum einen fürchten viele, das Land könne durch die Krise zu einem "Indonesia with Nukes" - Indonesien mit Atomwaffen - werden, wie es beispielsweise die Financial Times ausdrückte. Andererseits gilt Rußland als Indikator für die weitere Entwicklung der sogenannten emerging markets - also Märkte in jenen Staaten, die sich im Umbruch befinden und daher für Aktienhändler in der Vergangenheit besonders gewinnversprechend waren.

So war etwa der Aktienindex der Moscow Times im vergangenen Jahr um 210 Prozent gestiegen, bevor er nun ein historisches Tief erreichte. Für die Börsenmakler bedeutet dieser Zusammenbruch vergrätzte Klienten, niedrigere Bonuszahlungen und im schlimmsten Fall den Rauswurf. Ohne ihr bisheriges Dollar-Einkommen werden die sich bald ähnliche Sorgen machen müssen wie der Großteil ihrer Mitbürger, die ihr Gehalt in Rubel ausgezahlt bekommen. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, daß bis Jahresende der Rubel gegenüber dem Dollar etwa ein Drittel seines Wertes einbüßen wird. Für die meisten Produkte ist daher ein entsprechender Preisanstieg zu erwarten, denn mehr als die Hälfte der in Rußland verkauften Waren wird importiert und muß in Devisen bezahlt werden.

Für den geschaßten Kirijenko, vor seinem Amtsantritt Manager einer Ölfirma, ist das weniger dramatisch. Kurz nach seiner Einführung als Premier hatte er sich selbst in einem Fernsehinterview als "ziemlich nicht-armer Mensch" bezeichnet.