Justiz im Notstand

Nach dem Anschlag im nordirischen Omagh kündigt der irische Premierminister neue Anti-Terror-Gesetze an

Am 15. August, zur Haupteinkaufszeit, explodierte im Geschäftszentrum der nordirischen Kleinstadt Omagh eine Autobombe: Mit 28 Todesopfern und 330 Verletzten handelte es sich um den schlimmsten Anschlag seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Nordirland vor fast drei Jahrzehnten.

Die Bombe bestand aus einer selbstgemachten Mischung von Kunstdünger und Zucker, versehen mit einer kleinen Semtex-Treibladung und einem simplen Zeitzünder. Am Dienstag vergangener Woche bekannte sich die republikanische Splittergruppe Real IRA (RIRA) zu dem Attentat. Die Abspaltung der RIRA von der IRA hatte sich im letzten Jahr vollzogen, als die IRA zur Waffenruhe zurückgekehrt war und Sinn Féin, die IRA-nahe politische Organisation unter Gerry Adams, nach einem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit einen Platz am Verhandlungstisch in Stormont erhalten hatte.

Der damalige "Quartermaster" der IRA, Michael McKevitt, verantwortlich für die Verwaltung der Waffenverstecke der Organisation in der Republik Irland, sieht die Teilnahme Sinn Féins an einem künftigen nordirischen Parlament als Verrat an und setzt den bewaffneten Kampf mit der neugegründeten RIRA fort. Hochburg der schätzungsweise 150 Mitglieder zählenden Gruppe ist die Grafschaft Louth nahe der inneririschen Grenze. Einige wenige Mitglieder in Nordirland sind in South Armagh ansässig.

Die Zündung einer Landmine am 22. Juni dieses Jahres in diesem Gebiet etablierte die RIRA als ernstzunehmende paramilitärische Macht. Die Bombe galt als Warnung, da die Royal Ulster Constabulary (RUC) und die britische Armee - dank des Waffenstillstands der IRA - wieder damit begonnen hatten, Truppen und Materialien per Lkw durch die gefährliche Hügellandschaft von South Armagh zu transportieren. Fortan mußte alles wieder per Hubschrauber eingeflogen werden. Nur zwei Tage später, am 24. Juni, wurden in dem kleinen Dorf Newhamilton sechs Menschen durch eine Autobombe verletzt. Letzter Vorbote von Omagh war die Detonation einer 250 Kilo schweren Autobombe am 1. August auf der Hauptstraße von Banbridge - 35 Menschen wurden verletzt.

Nach dem Anschlag von Omagh reagierte der irische Premierminister Bertie Ahern mit der Ankündigung einer Reihe von Gesetzesänderungen, die der vereinfachten Verurteilung mutmaßlicher Terroristen dienen. Das irische Parlament wird seine Sommerpause unterbrechen, um die Gesetze zu verabschieden - von den Oppositionsparteien gibt es keinen Widerstand. Ahern erklärte stolz, die neuen Maßnahmen seien "äußerst drakonisch"; Irland weist seiner Ansicht nach die härteste Antiterror-Gesetzgebung Westeuropas auf.

Zukünftig soll allein der Verdacht eines hohen Polizeioffiziers, daß der Angeklagte Mitglied einer verbotenen Vereinigung sei, ausreichen, um eine Verurteilung vor einem Sondergerichtshof, dem lediglich drei Richter angehören, zu erwirken. Das Recht auf Aussageverweigerung vor diesem Sondergericht wurde den Verdächtigen entzogen, um die nötigen Beweismittel zu erzwingen. Die Weigerung, Fragen zu beantworten, kann vom Richter als zusätzlicher Schuldbeweis herangezogen werden.

Den irischen Gerichten wäre es dann auch möglich, allein auf Grund des polizeilichen Verdachtes, ohne jegliche Beweise, eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren zu verhängen. Die zulässige Dauer der Polizeihaft ohne richterliche Bestätigung wurde von zwei auf vier Tage ausgedehnt - in Nordirland liegt die entsprechende Frist sogar bei sieben Tagen. Die Freilassung auf Kaution wird bei einer solchen Anklage ebenfalls verweigert.

Premierminister Ahern gab allen republikanischen Splittergruppen 24 Stunden Zeit, um einen Waffenstillstand auszurufen: Danach würden alle aktiven paramilitärischen Gruppen "zerquetscht". Am selben Tag erklärte die RIRA einen vorläufigen Gewaltverzicht. Sie werde Angriffe aussetzen und ihre künftige Haltung überdenken. Ein Sprecher der Gruppe bezeichnete dies als Antwort auf den ultimativen Appell des Ministerpräsidenten.

Wenig später kündigte auch die marxistische Irish National Liberation Army (INLA) einen unbefristeten Waffenstillstand an. Ihr politischer Arm, die Irish Republican Socialist Party (IRSP), erklärte, sie akzeptiere jetzt, daß der in den Abstimmungen vom Mai deutlich zum Ausdruck gekommene Wille der Bevölkerung keine Grundlage mehr für die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes irischer Republikaner biete. Sie fordert andere republikanische Gruppen auf, ihrem Beispiel zu folgen.

Mitchel McLaughlin, Sinn Féin-Vorsitzender, sagte, der Gewaltverzicht sei die einzige Antwort. Seine Partei habe Druck auf die Real IRA ausgeübt. Aus republikanischen Kreisen verlautet, daß die RIRA nach dem Anschlag von Omagh ein Angebot von der IRA bekommen habe, das sie "nicht ablehnen" könnte. Weitere Anschläge würden die nach dem Friedensabkommen geplanten Freilassungen über 100 politischer Gefangener in den nächsten vier Wochen gefährden.

Die stellvertretende Außenministerin Liz O'Donnell, die einen Großteil der Nordirlandverhandlungen für die irische Regierung geführt hatte, versicherte Sinn Féin und der IRA: "Als wir das Friedensabkommen mit Gerry Adams und Martin McGuinness abgeschlossen haben, wurde ein Abkommen mit Republikanern gemacht. Die RIRA vertritt den Republikanismus nicht."