Der Vorgänger fogt dem Nachfolger

Russisch Recycling

Aussagen über Rußlands Zukunft sind so zuverlässig wie übers Wetter. Und Präsident Boris Jelzin wird nicht müde, diese Volksweisheit immer wieder aufs neue zu bestätigen. Eine Woche, nachdem er Premierminister Sergej Kirijenkos Rücktrittsgesuch abgelehnt hatte, kam es zwar nicht vollkommen überraschend, daß er ihm dann doch noch den Stuhl vor die Tür setzte. Aber ihn ausgerechnet durch Viktor Tschernomyrdin zu ersetzen, den er erst im März wie aus heiterem Himmel aus dem Weißen Haus geworfen hatte, stieß dann doch auf Kopfschütteln in Moskau.

"Tschernomyrdin raus, Kirijenko rein, Kirijenko raus, Tschernomyrdin rein, da soll einer draus schlau werden", sagte einer der Regional-Gouverneure kopfschüttelnd. Noch am Sonntag hatte die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass gemeldet, Kirijenko habe ein Programm zur schärferen Kontrolle der russischen Privatbanken ausgearbeitet. Am Montag wolle er sich mit Jelzin über seine Pläne verständigen. Dazu kam es nicht mehr. Statt dessen hat sein Nachfolger Tschernomyrdin am Montag begonnen, Sondierungsgespräche über eine mögliche Regierungsbildung zu führen. Unter anderem traf er sich mit General Alexander Lebed, dem Gouverneur der sibirischen Region Krasnojarsk und potentiellen Präsidentschaftskandidaten.

Erklärungen für Jelzins Schritt gibt es viele. Eine häufig geäußerte lautet, die sogenannten Oligarchen, die einflußreichsten russischen Firmenbosse und Finanzmogule, hätten ihre Besitzstände durch Kirijenkos Politik in Gefahr gesehen. Erst am Wochenende hatte sich der 36jährige, der als politisch blaß, aber managementerfahren gilt, mit Beratern ausländischer Banken getroffen, um darüber zu beraten, wieviel Geld Rußland in nächster Zukunft an ausländische Banken zurückzahlen kann. Denn das neunzigtägige Zahlungsmoratorium für Auslandsschulden hatte die ausländischen Kreditgeber so ins Schwitzen gebracht, daß sie in der vergangenen Woche alle Möglichkeiten nutzten, Druck auf die russische Regierung auszuüben. Der Tenor: Niemand werde der Föderation auf absehbare Zeit Geld leihen, sollten die Russen nicht alles versuchen, die Auslandsbanken zu bedienen.

Dem aber stehen die Interessen der russischen Banken entgegen. Die enormen Dollarkredite, die sie aufgenommen haben, würden sie ohne Moratorium in den Ruin treiben, sollte die russische Zentralbank ihnen weitere Hilfen verweigern. Und genau die erhoffen sie sich von der Regierung Tschernomyrdin. "Kirijenko war ihnen zu unabhängig, für ihn zählte wirtschaftlicher Sachverstand mehr als die Interessen der Oligarchen", urteilt Dmitri Tscherniak von Merrill Lynch, einem der größten US-amerikanischen Investmenthäuser in Moskau. "Tschernomyrdin dagegen wird sich dafür einsetzen, die freundlich gesinnten Banken zu retten, nicht die effizientesten." Von den 20 größten russischen Privatbanken stehen nach Angaben der Zentralbank zwei direkt vor dem Zusammenbruch, etwa die Hälfte sei auf längere Sicht gefährdet.

Fünf Jahre lang hatte Tschernomyrdin als Premierminister schon einmal die Gelegenheit zu beweisen, daß er Rußland auf einen Reformkurs bringen kann. Im Westen wird er als zuverlässig und berechenbar angesehen, und in dem schwachen russischen Parlament, der Duma, hat er einen besseren Stand als Kirijenko. Aber viele Russen stehen dem ehemaligen Chef des größten russischen Unternehmens, Gazprom, eher mißtrauisch gegenüber. Nicht zuletzt deshalb, weil sein Privatvermögen auf annähernd fünf Milliarden Dollar geschätzt wird - Geld, das er sich kaum angeeignet haben kann, ohne seinen Posten als Chef des Staatsunternehmens ausgenutzt zu haben. Außerdem entstanden in seiner Amtszeit die großen Bank-Medien-Rohstoff-Holdings, deren Chefs jetzt als Moskauer Schattenkabinett fungieren. "Daß Tschernomyrdin zurück ist, ist kein gutes Zeichen für die Reformen", fürchtet denn auch Merrill Lynchs Tscherniak, "er war dafür verantwortlich, daß das Land mehr ausgab als einnahm und hat das alles auch noch durch Kredite mit kurzen Laufzeiten finanziert."

Doch am Montag morgen wurde schnell klar, für wen Tschernomyrdins Comeback ein gutes Zeichen ist. Die Aktien seines ehemaligen Arbeitgebers Gazprom, den Kirijenko erst vor kurzem gezwungen hatte, einige Milliarden Mark an ausstehenden Steuern zu bezahlen, stiegen an der Moskauer Börse bereits am Vormittag um 15 Prozent.