Can Your Pussy Do the Dog?

Energieschub für die Girls - Anette Baldaufs und Katharina Weingartners Reader "Lips. Tits. Hits. Power?"

Dieser Reader ist eindeutig kanonisierungspflichtig, für Feminismus-, Musik-, Klassen- und Kultur-WissenschaftlerInnen. Denn "Lips. Tits. Hits. Power?", als Bewegungsgeschichte und Musikbuch strukturiert, ist keine akademische Abhandlung, die sich der Ausgewogenheit wegen an den verschiedenen feministischen Schulen abarbeiten würde. Zwischen kochbuchkompatiblen Anweisungen, wie ein Zine zu machen ist, programmatischen Lyrics zur Zeit, gecutteten Texten und Fan-Hymnen, dominiert die Riot Grrrl-Thematik - wobei nicht ganz einzusehen ist, warum dieser Schwerpunkt in Titel, Untertitel, Klappentext nicht klar benannt wird, denn offensichtlich handelt es sich weder um ein Lexikon der Frauen im Rock noch um eine HipHop-Girls-Genealogie.

Zwar haben die Herausgeberinnen Anette Baldauf und Katharina Weingartner auf den essentialistische Frauen-machen-Musik-Ansatz verzichtet, dennoch funktioniert das Nebeneinander von fanartigen Oden an Frauen wie Courtney Love und Madonna, einem liberal-feministisch orientierten Beitrag ("MTV hat die Frauen befreit"), einer kritischen Analyse der differenten Positionierung schwarzer Frauen im Feminismus und Alltagsthemen eigentlich nur, wenn das Riot Grrrl-Schema mitgedacht wird. Ohne diese Kontextualisierung erschiene die Sammlung als eine absurd-eklektizistische.

Offenbar geht es "Lips. Hits. Tits. Power? Feminismus und Popkultur" nicht darum, einer Bewegung wie den Riot Grrrls eine authentische Ästhetik aufzudrücken, die Bandbreite ist hier mehr von Interesse als die Spezifizierung. So kann sich im Kosmos des Buches auch zurechtfinden, wer sich noch nicht mit der Geschichte der Labels, Bands und Vernetzungen beschäftigt hat und auch nicht ständig an Feminismus-Seminaren teilnimmt. Das ist angenehm, hat man sich ansonsten doch fast schon daran gewöhnt, daß das Sortieren und Vorgeben von In-group-Mustern zur Grundlage eines Buches über Popkultur gehört.

Der Reader hat konzeptionell mehr mit einer Edutainment-Ausstellung zu tun als mit einer Abhandlung zur Riot Grrrl-Ästhetik oder ihrer popkulturellen Parallelbebilderung. Zugänglich gemacht werden mit diesem Buch die immer zitierten, selten im Original gelesenen Riot Grrrl-Manifeste ebenso wie Verlautbarungen verschiedener Frauen- und Girl-Organisationen, bildender Künstlerinnen, lesbischer Aktionistinnengruppen oder kleiner vereinzelter Zineproduzentinnen. Diese Art, Geschichte neu- bzw. weiterzuschreiben bedeutet einen eindeutigen Gewinn. Die Dokumente zeugen von radikalem Abstandnehmen und der Möglichkeit, sich gerade nicht mehr am Gegebenen als normativer Vorgabe abzuarbeiten, sondern am Paralleluniversum zu basteln, auch wenn davor eine Teilzerstörung steht oder zumindest die Abwendung vom (Jungen-)Mainstream- Lifestyle nötig ist. Damit läßt sich eine Bewegung wie die Riot Grrrls nicht auf eine Affirmierungsgeschichte reduzieren.

Im Grunde geht es in diesem Buch immer um die Frage der Unmöglichkeit des Brechens der Macht des Phallischen. Können Frauen Gitarre spielen, auf der Bühne stehen, ohne die maskulinistischen Bühnenpräsenzgeschichte zu reproduzieren? Können Frauen Dildos tragen und auf deren Realitätsgehalt verweisen? Oder können sie gar Baby Dolls und verschmierten Lippenstift tragen und die zugewiesenen Lolita-Phantasien durchkreuzen?

Das Besondere ist, daß mit einzelnen Beiträgen in "Lips. Tits. Hits. Power?" zwar auf Probleme der Rezeption verwiesen wird, aber sich die Power des Do-it-yourself und die Give- a-shit-to-the-rest-Attitüde des Riot Grrrl-Verständnisses in nahezu allen Texten widerspiegelt. Daß die Basics der Bewegung - z.B. über alles ein Fanzine zu schreiben, laut und auf der Bühne über Mißbrauch zu reden und zu outen: "Suck my left one - daddy!" (Bikini Kill), vor den musikalischen Darbietungen Selbstverteidigungsworkshops zu präsentieren wie etwa bei Team Dresch - klar unterstützt werden, macht die Lektüre so angenehm: Die Verhandlung läuft über die gelebte Praxis, darüber, wie das ist, mit Eßstörungen zu leben und darüber Texte zu schreiben, wie das ist, einem Typen, der dich angrabscht, in die Fresse zu hauen, wie das ist, den Namen des Vaters, Bruders oder Onkels einem Publikum zu nennen und zu sagen: He, der war's.

Wenn sich Mädchen in Bands, in Gangs, in Zeitungsgruppen treffen und ihre körperliche Präsenz zelebrieren, werden völlig andere Voraussetzungen geschaffen, als wenn sie sich unter der Modediktatstrecke eine aussuchen, der sie sich möglichst angleichen, oder unter den Umstehenden einen aussuchen, der sie möglichst so akzeptiert, wie sie sich auch akzeptieren, nämlich nahezu gar nicht.

Als Begleitmodell für die Selbstverteidigungskurse kann dabei auch die Anleitung für Drag-Kings von Diane Torr gelesen werden. Obwohl der Text unter die Kategorie "Geschlechterkonfusion" fällt, mit dem Torr zugleich einen Beitrag zum dualen Denken leistet, ist die Diskussion um Verteidigung und Gewalt spannend. Torr, die Crossdressingkurse für Frau-zu-Mann-Dresser gibt, will mit ihrer Arbeit nicht nur deutlich machen, wie sich eine zu kleiden hat, wenn sie als Mann durchgehen will, sie stellt Verhaltensweisen, Gesten und Selbstbilder vor.

Das Problem bleibt zwar, daß breitbeinig-raumgreifende Ignoranz weder bei Frauen noch bei Männern zu irgend etwas Erstrebenswerten führt und am Ende doch die höherbewertete maskulinistische Rollenzuschreibung die Gewinne einstreicht. Dennoch sollte so ein Workshop fast schon zum obligatorischen Initiationsprogramm für Mädchen zählen, denn er scheint doch einiges an dominanten Ich-nehme-mir-was-mir-gehört-Anweisungen umzusetzen.

Unter die Kategorie "Geschlechterkakophonie" fallen auch die Werbeposter von DAM (Dyke Action Machine), die aktiver und werbeorientierter als die Riot Grrrls aktuelle Werbungen lesbisch manipulieren - etwa Calvin Klein, der seine vorwiegend in Queer-Kreisen beliebte Unterwäsche mit dem homophoben Marky Mark bewirbt. Oder eben Bad-Girl-Lesben-Biographien verfilmen und bewerben wie etwa "Straight to Hell", das Beispiel einer Lesbe, die als Dyke aus der Armee geworfen und nun mit ihren Freundinnen Rache übt.

"Can Your Pussy Do the Dog", das CD-Cover der Cramps, wo Poison Ivy mit einem Tigerschwanz als evil cat abgebildet ist, hatte damals auch den Effekt, der heute mit Brechung von Zuschreibungen, Aneignung oder Umkehrung verbunden wird. Nie im Leben wäre es gelungen, Frau Ivy mit dieser Zeile in die Defensive zu drängen. Vielmehr war klar, wer hier wen fragt. Mit den Bitches ist das so ähnlich, allerdings scheinen da die verschiedenen Marginalisierungshierarchien im White-Feminism-Kontext gut gegriffen zu haben. Ganz grundsätzlich galt Brechung, Selbstbezeichnung als Praxis der Riot Grrrls, auch als Zeichen der Auflehnung und Abwendung.

Offenbar völlig vergessen wurde dabei die Geschichte der Rapperinnen, die schon viel früher die Selbstbezeichnung zur Zuschreibungsbrechnung benutzten und auch auf eine andere Geschichte widerständiger Frauenmusik zurückgreifen konnten. So waren die Geschichten von Hustling und Walkin The Streets zum stereotypen Image schwarzer Frauen geworden, während sie bei jeder Riot Grrrl-verdächtigen Sängerin als Befreiungsschlacht gefeiert wurde. Daß Courtney Love und Kathleen Hanna in Peep Shows oder als Lap Dancerinnen gearbeitet haben, gehört in der Geschichtsschreibung der weißen feministischen Popkultur zu den wichtigsten Transformationsmomenten. Diese Frauen hatten sich ihre eigene Hard-Core-Therapie verschrieben, um sich aus dem Alltagshorror von Mißbrauch und sexueller Fremdbestimmung zu befreien, deswegen ist es jetzt auch so ultra-revolutionär, wenn sie auf der Bühne in Baby Dolls und zerzausten Haaren rumstehen.

In der African-American-Zuschreibung überwiegen weiterhin die Images der Welfarequeens und Gangster, der naiven House Bitches und kitschigen Glam-Hoes. Daß Roxanne Shanté 1984 sich selbst als Bitch bezeichnete und auf Haß und Unverständis stieß, hat die weiße Riot Grrl-Rezeption nicht beachtet.

Methodisch setzt sich "Lips. Tits. Hits. Power?" auch nicht mit diesen Zuschreibungsparametern auseinander, die als Subversion nur das definieren, was mit bestimmten Mustern konform geht, also etwa Fanzineschreiben, weil sich damit intellektueller Widerstand verbinden läßt, aber Blockparty Mcing, Freestyling, Dissing und Pushing als reines Entertainment werten - als ob das Phänomen des Widerständigen ausgerechnet eine Erfindung weißer Mittelstandskids wäre.

Auffallend ist im Buch, daß die Beiträge von African-American-Frauen deutlich politischer ausfallen als die Die-Welt-gehört-mir-Beiträge der weißen Riot Grrrls. Auch hier scheinen Zentrum und Peripherie gültige Zuschreibungen zu sein, die sich die privilegiert Positionierten so auch nicht einfach nehmen lassen.

Anette Baldauf/Katharina Weingartner (Hg.): Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus. Folio-Verlag, Wien/Bozen 1998, 340 S.