Wir gegen die anderen

Solange DFB und Deutschland-Fans ähnlich denken, ist die Nationalmannschaft wichtig.

"Der Mann hat sich so um die Menschheit verdient gemacht, und dann behandelt man ihn zum Dank so!" erklärte ein erboster Zuschauer in einer der "Berti ist gegangen"-Sondersendungen, die in der letzten Woche auf allen Fernseh-Kanälen liefen. Das zeigt nicht nur, welch großes Glück der DFB hatte, daß der Bundestrainer in den Wochen nach der WM vorsichtig Auto gefahren war und Tunnel gemieden hatte, sondern auch, wie sehr die Nationalmannschaft das deutsche Volk bewegt.

Denn der Fußball hat in der Bundesrepublik immer noch einen viel höheren Stellenwert als alle anderen Sportarten. Für die interessieren sich Medien und Zuschauer traditionell nur dann, wenn Deutsche gewinnen - die Formel 1 und das Radfahren boomten erst mit den Erfolgen von Schumacher und dem Team Deutsche Telekom, während die großen Tennisturniere, jahrelang Garanten für hohe Einschaltquoten, plötzlich nur noch von schwer empfangbaren Spartensendern übertragen werden. Worüber sich niemand weiter aufregt: Seit Steffi Graf und Boris Becker nicht mehr siegen, hat Tennis für die Deutschen seinen Reiz verloren.

Beim Fußball ist das anders, denn die Bundesauswahl repräsentiert, egal wie schlecht sie spielt, Deutschland. Zu den wichtigen nationalen Ereignissen wie Europa- und Weltmeisterschaften stehen selbst diejenigen hinter dem Team, denen Fußball ansonsten völlig egal ist. Es geht schließlich um "Wir gegen die anderen".

Dieses Gefühl der Fans teilt der DFB durchaus. Er hat zwar damit aufgehört, die Verpflichtung ausländischer Stars, die den deutschen Talenten angeblich die Arbeitsplätze bei den Bundesliga-Vereinen wegnehmen, als Hauptgrund für die Misere der Nationalmannschaft zu benennen, aber wie national der Verband immer noch denkt, wurde während der Berti-Nachfolger-Diskussion schnell klar. Auf der Suche nach einem Trainer mit deutschem Paß hatte der DFB zwar enorme Schwierigkeiten, die Ablehnungen von Rehhagel, Beckenbauer und Heynckes hatten allerdings nichts mit einem gesunkenen Stellenwert der Nationalmannschaft zu tun: Der Job des Bundestrainers unterscheidet sich ganz wesentlich von dem eines Vereins-Coachs.

Die Zeitspanne, die man zur Verfügung hat, um aus Spielern, die normalerweise gegeneinander spielen, eine Mannschaft zu machen, ist begrenzt, ebenso wie die Auswahl an passenden Kickern - selbst wenn sich das vorhandene "Spielerpotential" (Vogts) als eine Ansammlung von Idioten entpuppt, die völlig frei vor dem gegnerischen Torwart stehend den Ball dem Linienrichter an den Kopf schießen, kann man nicht einfach irgendwo einen neuen Stürmer kaufen. Zudem fehlt der Kick, Woche für Woche die Richtigkeit des eigenen Konzepts beweisen zu müssen. Die Anzahl der zu erreichenden Ziele ist begrenzt - was zahlreiche Trainer dennoch nicht davon abhielt, Kampagnen in eigener Sache zu starten, es sei schließlich eine Ehre, die DFB-Elf trainieren zu dürfen. Selbst Paul Breitner, in den siebziger Jahren noch vorzugsweise unter Mao-Postern posierend, empfand das so, und hätte den Job daraufhin fast bekommen.

Als einige Experten jedoch, deutlich genervt von der tagelangen Nachfolger-Diskussion, einfach die Verpflichtung eines ausländischen Trainers, etwa Johan Cruyff, forderten, reagierte der DFB eindeutig: Der Coach einer deutschen National-Mannschaft kann nur ein Deutscher sein. "Ein Bundestrainer muß Deutsch sprechen!" brachte einer der Funktionäre, der wohl schon lange keine Pressekonferenz mit Berti Vogts mehr gehört hatte, die herrschende Meinung auf den Punkt, die von den Fans unbedingt geteilt wurde. Schließlich sei der Ausländer an sich - so erklärten Deutschland-Supporter in allen Sendungen, in denen der Vorschlag diskutiert wurde - vor allem Ausländer, und deswegen sei nicht auszuschließen, daß er zwar die deutsche Nationalmannschaft trainiere, sie aber doch insgeheim um den Titel bringen wolle. Und der Niederländer Cruyff sei definitiv so einer.

Daß andere Nationalteams sehr wohl von sogenannten Fußball-Kosmopoliten, Trainern, die vorzugsweise im Ausland arbeiten, betreut werden, wird beim Deutschen Fußball-Bund wohl erst dann zur Kenntnis genommen werden, wenn irgendwann eine solche Mannschaft Weltmeister wird. Dann wird er jedoch unverzüglich reagieren und sofort auch "so einen" (Fan im Radio) haben wollen.

Daß der DFB zu allem entschlossen ist, nur um es seinen Fans in zwei Jahren wieder möglich zu machen, unter lauten "Deutschland, Deutschland"-Rufen besoffen hupend durch die Innenstädte zu fahren, zeigt er mit der Trainer/Teamchef-Lösung. Die Fans wiederum sind ebenso entschlossen, die eigentlich länst überlebte Institution nicht weiter in Frage zu stellen. Zum einen, weil ja tatsächlich wieder mal ein Titel rausspringen könnte, zum anderen, weil spätestens dann, wenn's schiefgeht, ihre drängendste Frage gelöst wird: Wenn Deutschland sich nicht für die EM qualifiziert, wer fliegt dann - der Trainer oder der Teamchef?