Zerstören, sagt sie

Zwei Jahre nach Marguerite Duras' Tod erforscht eine Biographie die unbekannten Seiten im Leben der Schriftstellerin

Die Schriftstellerin Marguerite Duras ist vor allem durch ihre Beteiligung an der 68er-Bewegung und ihr feministisches Engagement im Bewußtsein der Öffentlichkeit präsent. Auch ihr Einsatz für den Präsidentschaftsanwärter Fran ç ois Mitterrand in den frühen achtziger Jahren ist den Franzosen in Erinnerung geblieben.

Wenig hingegen wußte man bislang über die erste Lebenshälfte der 1914 in der Nähe von Saigon, in der damaligen französischen Kolonie Indochina, geborenen Marguerite Donnadieu, wie ihr Geburtsname lautet. Wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im heutigen Vietnam, wächst Marguerite als Tochter eines französischen Kolonial-Schulmeisters und dessen zweiter Frau innerhalb einer von Brutalität geprägten Kolonialgesellschaft auf. Die Mutter läßt ihre Tochter spüren, daß sie kein Wunschkind ist. Gewalttätigkeiten prägen das Familienleben.

Die jetzt in Frankreich erschienene Biographie "Marguerite Duras", verfaßt von der Historikerin Laure Adler, konzentriert sich besonders auf diese ersten Jahrzehnte der Schriftstellerin. Als Laure Adler, die mit großer Sympathie zu Duras geschrieben hat, im Jahr 1992 Kontakt mit der Autorin aufnahm, um sie über das geplante Buch zu informieren, reagierte diese mit herzlicher Ablehnung. Bis zu ihrem Tod im März 1996 hat Duras aus Furcht, daß "dunkle Stellen" aus ihrer Biographie bekannt würden, einer Zusammenarbeit nicht zugestimmt.

Duras war, schreibt Adler, eine Meisterin im Erfinden und Umdefinieren ihrer eigenen Biographie, die sie in einer Vielzahl von Pressegesprächen so oft neu erfunden hat, daß sie schließlich wohl selbst nicht mehr "die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Erinnerung und Biographie, zwischen Geschichte und Literatur" ziehen konnte. Mit der sorgfältig recherchierten Biographie unternimmt Adler nun den Versuch, diese Grenzen zu bestimmen.

In die Metropole abgewandert, um in Paris ein Jurastudium aufzunehmen, wird Marguerite Donnadieu 1938 im Kolonialministerium angestellt, wo sie zunächst im "Propagandakomitee für die französische Banane" tätig ist. Am 25. April 1940, wenige Wochen vor der französischen Niederlage gegen die Truppen Nazideutschlands, erscheint ihr gemeinsam mit Philippe Rocques verfaßtes prokoloniales Buch unter dem Titel "L'Empire fran ç ais", das Marguerite Duras später vergessen machen wollte und bei der Erwähnung ihrer Werke beinahe systematisch unterschlug. Das Buch hat zum Ziel, den Franzosen ihre "kolonisatorischen Fähigkeiten" vor Augen zu halten und das Empire fran ç ais als Kraftquelle darzustellen, aus der Frankreich Widerstandskapazitäten gegen den vordringenden deutschen Aggressor schöpfen könne.

Nach der französischen Niederlage arbeitet Marguerite Antelme, wie sie seit ihrer Hochzeit mit Robert Antelme im September 1939 heißt, ab 1942 im Comité d'organisation du livre, das - der deutschen Propagandaabteilung unterstellt - im Buchwesen über die Papierzuteilung an die Verlage entscheidet.

Duras sind zu jener Zeit 40 Mitarbeiter unterstellt, die das Lektorat der eingereichten Buchmanuskripte besorgen, über deren Propagandawert entschieden werden soll. Damit verfügt sie selbst über eine gewisse Entscheidungsmacht. Zu jener Zeit lebt sie mit Robert Antelme, ihrem Ehemann, mit dem die Liebesbeziehung freilich beendet ist, und ihrem Geliebten Dionys Mascolo zusammen. Die drei bilden zusammen ein unzertrennliches Trio.

Robert Antelme wird im Juni 1943 gebeten, seinen alten Schulfreund Jacques Benet aufzunehmen, der sich der Résistance angeschlossen hat und dem Netz von "Morland" alias Fran ç ois Mitterrand angehört. Mitterrand war bis kurz zuvor in der Vichy-Administration tätig gewesen und versuchte in jener Zeit, sowohl seine Kontakte in Vichy als auch in der Untergrundbewegung auszunutzen und - wie sein Biograph Pierre Péan es ausdrückt, dessen Ausführungen Laure Adler an dieser Stelle übernimmt - ein kompliziertes Spiel zu spielen, "wobei er Wert darauf legt, daß er als einziger sämtliche Karten im Spiel kennt". Über Jacques Benet schließt sich das Trio Marguerite, Robert und Dionys ebenfalls der Résistance an.

Am 1. Juni 1944 fliegt die Gruppe, der sie angehören, auf. Während den anderen die Flucht gelingt, wird Robert Antelme verhaftet und zwei Monate später nach Deutschland, in das KZ Buchenwald, deportiert. Marguerite Duras, die bei der Gestapo vorspricht, um ihren Mann freizubekommen, begegnet dort dem Mann, der Robert Antelme verhaftet hat: Pierre Rabier; mit bürgerlichem Namen Charles Delval.

Duras beginnt ein nachträglich schwer zu durchschauendes Spiel: Sie trifft sich zu regelmäßigen Verabredungen mit Delval, in der Hoffnung, ihren Mann freizubekommen. Wahrscheinlich ist, daß Delval die junge Frau über seine Einflußmöglichkeiten getäuscht hat, tatsächlich dürfte es ihm gar nicht möglich gewesen sein, etwas zugunsten von Robert Antelme zu bewegen.

Bei Maguerite Duras, die zu jener Zeit kaum noch schläft und ißt, mischt sich in die vage Hoffnung, etwas für ihren Gatten tun zu können, die Verwirrung, als sie sich der Anziehungskraft jenes Mannes, der als eleganter Bourgeois auftritt und das mit seinen Spitzeldiensten verdiente Geld großzügig ausgibt, bewußt wird. Bis heute ist ungeklärt, ob Marguerite Duras mit Delval eine Beziehung hatte. "Manche von ihren Freunden bei der Résistance", so Adler, "waren davon überzeugt. Für Mitterrand", mit dem Laure Adler sich im letzten Jahr seines Lebens intensiv unterhalten hat, "erscheint dies plausibel. Aber nichts erlaubte ihm, es zu beweisen."

Eine andere Konstellation der undurchsichtigen Beziehung blieb Marguerite Duras bis zu ihrem Lebensende verborgen: Ihr Geliebter Dionys Mascolo geht seinerseits eine Beziehung zu Delvals Ehefrau Paulette ein. Delval wird wenige Monate nach der Befreiung, festgenommen und Anfang 1945 erschossen. Ein halbes Jahr nach Delvals Hinrichtung und sechs Monate vor der Geburt von Marguerites und Mascolos Sohn Jean, kommt das gemeinsame Kind von Paulette Delval und Mascolo zur Welt.

In der Zeit unmittelbar nach der Befreiung von Paris zeigt Marguerite Duras, die noch bis Mai 1945 auf ihren Ehemann warten wird, ohne zu wissen, ob er das KZ überlebt hat, besondere Härte gegenüber den gefangenen Kollaborateuren und Gestapospitzeln. Sie nimmt am Verhör von Delval, der dabei geschlagen wird, und weiterer Festgenommener teil. Duras hat diese Periode in ihrem Werk "La douleur" (1985) beschrieben, wo ihre Figur Thérèse die Verhöre leitet und die Männer auffordert, Gefangene zu schlagen. Im Vorwort von "La douleur" heißt es: "Thérèse, das bin ich." Einige ihrer Résistance-Gefährten mißbilligen das Verhalten Duras', und auch Laure Adler scheint es skandalös zu finden, daß nach der Befreiung 1944 Gestapospitzel und Faschisten geschlagen wurden.

Nach seiner Rückkehr aus dem KZ Dachau, wohin er gegen Kriegsende verbracht worden war, kehrt Robert Antelme im Mai 1945 zurück; er wiegt 35 Kilogramm, doch wider Erwarten überlebt er.

Das Entsetzen über die Barbarei Nazideutschlands läßt Antelme, Mascolo und Duras zwei einschneidende Konsequenzen ziehen. Die erste ist eine starke Identifikation mit den Juden, die umso stärker wird, als von deren Verfolgung in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum gesprochen wird. Im Vordergrund stehen die heldenhaften Résistance-Verfolgten - ein Artikel in der KP-Zeitung L'Humanité stellte seinerzeit gar die "Passivität der rassisch Verfolgten" dem aktiven Mut der politischen Häftlinge gegenüber.

Marguerite Duras bedauerte während der ersten Nachkriegsjahre, daß sie keine Jüdin ist. Duras' Sohn Jean erzählte Laure Adler, er selbst habe erst spät entdeckt, daß er nicht jüdischer Herkunft sei, so eindeutig seien ihm die Äußerungen seiner Eltern erschienen. Zeit ihres Lebens wird Duras sich intensiv für den Staat Israel einsetzen.

Die zweite Konsequenz ist die Hinwendung zur Kommunistischen Partei. Gemeinsam mit anderen Schriftstellern und Intellektuellen der Pariser Rive gauche schließen sie sich der KP-Sektion des großbürgerlich-intellektuellen 6. Pariser Bezirks an. Als kleiner Schönheitsfehler erscheint, daß kein einziger Proletarier Mitglied der Sektion ist - mit Ausnahme der Concièrge von Marguerite Duras.

Doch die weltoffene intellektuelle Atmosphäre in der Sektion ändert sich, als mit dem Ausbruch des Kalten Krieges 1947 die französische KP eine immer stärkere "Stalinisierung" durchmacht. Die Führung gründet einen Schriftstellerzirkel, der direkt dem Zentralkomitee unterstellt ist, aber zunächst wie ein Freiraum erscheint, um die lästigen Intellektuellen aus den Parteisektionen zu entfernen.

Duras, Antelme und Mascolo treten der Schriftstellerabteilung bei. Doch Duras fühlt sich dem italienischen KP-Theoretiker und Autor Elio Vittorini, der für eine ungleich größere gedankliche Freiheit eintritt und in seiner Revue Politecnico von der KP verfemte Autoren wie Sartre, Camus und Hemingway publiziert, viel stärker verbunden als den engstirnigen Dogmatikern der französischen Partei. In der Folge eines Bistroabends im Mai 1949, in dessen Verlauf reichlich Alkohol floß und viel geredet wurde, wird der Führung bekannt, daß einige besondes bornierte Parteikader an diesem Abends lächerlich gemacht worden waren. Duras, Antelme und Mascolo werden aus der KP ausgeschlossen. Wie für viele Exkommunizierte jener Jahre, scheint für die drei eine Welt zusammenzubrechen, da sie trotz ihrer tiefgreifenden Differenzen zur Parteipolitik mit der KP doch die Grundüberzeugungen teilen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach geht die Information der Parteiführung über das, was am fraglichem Abend besprochen wurde, auf den Schriftsteller Jorge Semprœn zurück. Semprœn, der später zur spanischen KP übertrat, 1964 ausgeschlossen wurde und heute als "antitotalitärer" und antikommunistischer Intellektueller auftritt, hat die Vorwürfe bestritten.

In Le Monde veröffentlichte er Ende Juni einen Gastbeitrag, in dem er erklärte: "Nein, ich habe Marguerite Duras nicht denunziert." Ihm widersprach jedoch zwölf Tage später in demselben Blatt Marguerite Antelme, die Witwe von Duras' Ex-Gatten Robert Antelme, die ebenfalls der Gruppe angehörte. Ihr zufolge trug das Dokument, das dem Ausschluß zugrundegelegt wurde, Semprœns Unterschrift.

Marguerite Duras, die ab 1969 auch als Filmregisseurin arbeitet, widmet sich in den fünfziger Jahren vorwiegend ihrer schriftstellerischen Arbeit, sie schreibt Romane ("Moderato Cantabile", 1958; "Détruire, dit-elle", 1969, dt. "Zerstören, sagt sie", 1970; "Les enfants", 1984), verfaßt Drehbücher (u.a. zu "Hiroshima mon amour", 1959), nimmt jedoch in ihrer Gruppe schon sehr früh, seit 1955, an Aktivitäten gegen den im November 1954 ausgebrochenen Kolonialkrieg in Algerien teil. Im Jahr 1960 zählen Duras, Antelme und Mascolo zu den Unterzeichnern des "Manifests der 121", das die französischen Soldaten in Algerien zu Befehlsverweigerung und Denunziation aufruft. Im Prozeß vor einem Pariser Militärgericht gegen die Unterzeichner des Manifests zeigt sie sich kompromißlos und verweigert jede Distanzierung von der Gewalt der Unabhängigkeitsbewegung FLN.

Die Ereignisse des Mai 1968 lassen Duras erneut an öffentlichen Aktionen teilnehmen, die in diesem Zusammenhang erstmals auf das Privileg ihres berühmten Namens verzichtet und es nach eigener Aussage genießt, im kollektiven Handeln aufzugehen. Im Laufe der siebziger Jahre aber bricht ihr Narzißmus immer stärker durch. Ende der siebziger Jahre trennt sich aus diesem Grunde ihr jahrzehntelanger Weggefährte Robert Antelme von ihr, nachdem sie dessen körperliches "Wiederaufblühen" nach seiner Rückkehr aus dem KZ in einem Artikel für die Zeitschrift Sorcières (Hexen) beschrieben hatte.

Im Februar 1985 warnt sie in einem Beitrag für Le Monde die Franzosen davor, in den ein Jahr später anstehenden Parlamentswahlen für die Rechte Chiracs zu stimmen, mit den Worten: "Sie würden ohne uns auskommen müssen, ohne Schriftsteller, ohne wirklich intelligente Menschen, aber auch (Ö) ohne Immigranten, ohne WeltoffenheitÖ"

Laure Adler: Marguerite Duras. Gallimard, Paris 1998, 640 S., 155 Francs