Berishas Martyrium

Nach dem gescheiterten Operettenputsch in Tirana wurde dem ehemalige Leibarzt Enver Hodschas die Immunität entzogen

Die ganz persönliche Bedrohung durch einen längeren Knastaufenthaltes kann den albanischen Ex-Präsidenten und Chef der oppositionellen Demokratischen Partei nicht schrecken. Als das Parlament in Tirana am vergangenen Freitag die parlamentarische Immunität Sali Berishas aufhob und er damit wegen Anstiftung zum Staatsstreich der Justiz ausgeliefert werden könnte, verzog Berisha keine Miene.

Am Samstag empfing der ehemalige Leibarzt Enver Hodschas eine hochrangige Delegation der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) und erklärte den verdutzten Politikern, er freue sich auf den Knast ( Interview, Seite 3). Immerhin hätte Berisha damit geschafft, was sein Freund Adem Hajdari durch seine Ermordung schon hinter sich hat: den Aufstieg zum Märtyrer. Genau deshalb machen die albanischen Justizbehörden trotz handfester Beweise bislang keine Anstalten, Berishas habhaft zu werden.

Ungestört kann der Mann weiter zum Sturz der Regierung des sozialistischen Premiers Fatos Nano aufrufen. Das tut er seit knapp zwei Wochen. Schließlich wurde sein Freund und Parteigenosse Adem Hajdari von Kugeln aus den Maschinenpistolen unbekannter Täter hingerafft. Schon Stunden nach der Ermordung Hajdaris orakelte Berisha etwas von einem Mordkomplott unter Beteiligung der sozialistischen Regierung und rief seine Anhänger zu deren Sturz auf. Mehrmals fanden in der Vorwoche Demonstrationen von Berisha-Fans in Tirana statt, dabei wurde sogar versucht, den Regierungssitz zu stürmen. Bewaffnete Berisha-Anhänger nahmen vorübergehend ein staatliches Radio- und Fernsehzentrum ein, besetzten einige Regierungsgebäude und kaperten vier Panzer. Nach zwei Tagen war der Spuk vorbei und der Operettenputsch zusammengebrochen. In einer Fernsehrede geißelte Nano den "Ausbruch mittelalterlicher Barbarei" gegen die "göttlichen Institutionen" des albanischen Staates.

Für Berisha ist klar: Durch sein jämmerliches Abschneiden bei den Wahlen vor einem Jahr ist es ihm im Parlament nicht möglich, der Regierung Paroli zu bieten. Da müssen schon die Anhänger aus dem Norden Albaniens herhalten und organisiert nach Tirana gekarrt werden. Dort versammeln sie sich regelmäßig vor dem Sitz von Berishas Demokratischer Partei, lauschen den Tiraden des Ex-Präsidenten und ziehen anschließend unter dem Schlachtruf "Tod den Kommunisten" zu den diversen Regierungsgebäuden Tiranas.

Auch wenn der Rudelführer Berisha gerne von einem "Volksaufstand" spricht - große Breitenwirkung haben seine Aufrufe nicht unbedingt: Mehr als 3 000 bis 5 000 Menschen bringt er nicht auf die Straße, doch die mangelnde Anzahl wird durch maximalen Fanatismus ausgeglichen. Immerhin betont der gestrauchelte Ex-Präsident immer wieder, seine Leute bis zum Sturz der Regierung gegen die Staatsmacht anrennen zu lassen. Dann soll eine von ihm ins Leben gerufene "Expertenregierung" das Land aus dem Chaos führen, allerdings möglichst unter Umgehung von Neuwahlen.

Psychologisch ist dieser Wunsch leicht erklärbar: Berisha hat seinen unsanften Abschied von der Macht im vergangenen Jahr nie verwunden. Ausländische Beobachter berichten nach Gesprächen mit dem Oppositionschef immer wieder verwundert, daß er völlig inkohärente redet.

Berisha ist fasziniert und überzeugt von der Vorstellung, der wahre, der einzige, der durch eine Art göttlicher Vorsehung berufene Führer der albanischen Nation zu sein. Wahlen und ähnliche demokratische Stilmittel gelten für ihn nichts. Deshalb boykottiert die Demokratische Partei auch seit den letzten Wahlen das Parlament und nimmt nicht an den Sitzungen teil.

Eines ist für Berisha völlig klar: Die albanische Nation ist für ihn mehr als die Einwohner jenes 28 000 Quadratkilometer großen Fleckens Balkan, das Albanien heißt. Immer wieder kommt es zwischen ihm und den Chefs der kosovo-albanischen Guerilla UCK in Berishas Wohnort Tropoje im Norden Albaniens zu regen Kontakten. In der Vorwoche wurden in Tirana von der Polizei zwei Kosovo-Albaner verhaftet, die sich beim Sturm auf den Regierungssitz besonders hervortaten.

Schon im Frühsommer dieses Jahres hatte Berisha bekräftigt, den Kosovo an Albanien anzugliedern, wenn erst einmal die UCK die Unabhängigkeit der serbischen Provinz von Jugoslawien erstritten hat. Seitdem hat sich zwischen dem albanischen Möchtegern-Präsidenten und den Freischärlern im Kosovo eine Symbiose gebildet: Die Kosovo-Albaner helfen Berisha bei dessen Rückeroberung der Macht in Albanien, im Gegenzug wird Berisha die bisher von der Regierung in Sachen Kosovo vorexerzierte Zurückhaltung aufgeben. Zumindest das perfekte Timing des Putschversuches durch Berisha läßt diesen Schluß zu: Im Kosovo hat die UCK seit Wochen gegen die jugoslawische Armee wenig zu melden und braucht dringend propagandistischen Input aus Albanien.

Die Entrückung des ermordeten Hajdari als märtyrerhaftes Opfer einer sozialistischen Verschwörung paßt ins Bild: Es ist keineswegs sicher, daß Hajdari wegen seiner politischen Gesinnung das Zeitliche segnen mußte. Vielmehr war der Mann über Umwege in Drogen- und Waffenschmuggel verstrickt und hatte im Norden Albaniens genügend Feinde aus Bandenkreisen.