Streit unter Mullahs

Der Reiz des Archaischen

Da soll noch mal einer sagen, Studenten würden immer nur reden. Berg um Berg, Stadt um Stadt (die heute allesamt nicht mal mehr die Bezeichnung Dorf verdienen) und Provinz um Provinz haben sich die afghanischen Taliban (Koranstudenten) Einfluß auf Gebiete gesichert, auf die noch ganz andere scharf waren: Bis zu ihrem Ende die Sowjetunion. Dann ihre Nachfolgestaaten in der Region: Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan. Davor und danach die USA. Pakistan sowieso. Der Iran erst recht.

Und doch haben die Taliban sich durchgesetzt. Ihr aufhaltsamer Aufstieg wird erst jetzt, durch die Androhung einer iranischen Intervention in Teile des Landes, gebremst. Nach dem Motto "If you can not beat them, pay them" hatten zuvor die USA viele der einstigen innerafghanischen Taliban-Gegner in Taliban verwandelt. Doch diese kannten das Motto auch und ließen ihren von Haus aus nicht gerade armen Günstling Ussama Bin Laden von der Kette. Dessen Botschaft kam an.

Seitdem ist das Verhältnis zwischen Aufsichtspersonal und Schutzbefohlenen getrübt. Ebenso wie das zum Taliban-Bündnispartner Pakistan, der mit dem Griff zur Atombombe sein Plansoll übererfüllte. Pakistan ist heute pleite. Nicht ganz so, wie es der Staat Afghanistan in den letzten Jahren unter seinem offiziellen, aber machtlosen Präsidenten Rabbani war - und nach einem Krieg mit dem Iran erst recht sein würde.

Den Taliban geht es nicht anders, seit das Konto bei der CIA-Hausbank gesperrt ist. Doch haben sie immaterielle Werte zu bieten, die in Zeiten ökonomischer und politischer Krisen noch immer ihre Anhänger gefunden haben. Der Versuch, sich vom Weltmarkt und dessen verwerflichen Einflüssen abzukoppeln, kommt ebenso an wie die Mischung aus reiner Lehre und reinem Terror. Auch Teile der Bevölkerung aus Pakistan und Saudi-Arabien sind von den Taliban-Melodien für Millionen begeistert.

Archaische Gesellschaftsmodelle üben Faszination aus: Alles ist so schön einfach. In Afghanistan sind Männer noch Männer und tragen entsprechend Bart. Wer keinen trägt, fliegt raus. Wenn er Glück hat.

Frauen haben, solange die Gotteskrieger an der Macht sind, gar nichts zu haben. Weder politische oder soziale Rechte noch den Anspruch auf eine medizinische Versorgung. Nicht mal das Recht, einem anderen oder auch nur abweichenden Aberglauben anhängen zu dürfen. Fernsehen dürfen sie auch nicht. Aber das geht den Männern ja nicht anders. Gleichstellung vor dem Gesetz ist auch bei dem Recht sich steinigen oder sonstwie hinrichten zu lassen vorgesehen.

Neben dem afghanischen Gottesstaat nimmt sich der iranische fast schon als Bastion von Aufklärung und gesellschaftlichem Fortschritt aus. Die letzte große Hinrichtungswelle im Iran, als in dessen Gefängnissen mehrere Tausend Menschen starben, jährt sich in diesen Wochen zum zehnten Mal. Aber das ist schon lange her.

Im Schatten der Taliban bietet sich den Mullahs in Teheran die Gelegenheit, international wieder Anschluß zu finden - ohne das eigene Terrorsystem aufgeben zu müssen.