Der Traum von der Pastorale

Amerikas traumatisches Verhältnis zur Natur: "The Horse Whisperer" von und mit Robert Redford

In seinen Filmen war Robert Redford immer ein bißchen Cowboy. Da spielte es keine Rolle, ob er sich im Wilden Westen befand, in Havanna oder "East of Africa".Ganz früh in seiner Karriere spielte er den Sundance Kid, und diesen Geist hat er sich bewahrt, diese Unschuld und Zuversicht.

Er war aber - bei allem Optimismus und trotz der blauen Augen - nie blauäugig in seinen Rollen und im Filmgeschäft. Etwas Jungenhaftes ist in Redford, diese ewige Jugend, die sein Land so verehrt. Deshalb können seine Angebote nie unmoralisch sein, deswegen war er der wohl anständigste Millionär, den Hollywood je auf die Leinwand brachte. Er ist einer, den das Geld nie korrumpieren kann oder die Macht. Der einzige deswegen, den man sich denken konnte, um Watergate aufzuklären im Kino, in Alan J. Pakulas "All The President's Men". Filmbilder als Fiktion und Realität zugleich; die zweifellos schönsten aller denkbaren Bilder zum Fall Clinton sind heute wohl nicht bei CNN zu sehen, sondern im Kino, bei Mike Nichols.

Robert Redford ist ganz und gar Hollywood und war dabei auch immer Kritiker der Traumfabrik. Als er sein inzwischen renommiertes Independent-Filmfestival Sundance irgendwo ansiedeln mußte auf der amerikanischen Landkarte, wählte er den Mormonen-Bundesstaat Utah. Eine größere Entfernung zu Hollywood ist nicht denkbar.

Ende der siebziger Jahre fing Redford an, selbst Regie zu führen. Schauspielerfilme, die eine "Geschichte erzählen" wollen, wie er selbst sagt über seine Arbeit hinter der Kamera. Da gibt es kaum special effects, nichts Schrilles, Schräges, Schnelles. Eine wunderbare Welt der Langsamkeit und der Ruhe entfaltet sich in "A River Runs Through It", in "The Milagro Beanfield War" und jetzt in "The Horse Whisperer".

Redford erzählt nicht nur Geschichten von Menschen, sondern immer auch Geschichten vom Land Amerika, von der Natur abseits der Großstädte. Die Amerikaner haben ein gebrochenes Verhältnis zur Natur. Etwas ist schiefgelaufen in der Besiedlungsgeschichte des Landes: Mit der vorrückenden Zivilisation mußte die Natur zwangsläufig schwinden, blieb dabei aber um so präsenter im kollektiven Gedächtnis der Eroberer. Seitdem herrscht Mißtrauen, Angst sogar, daß der kultivierte Garten wieder Wildnis werden könnte. Der Kontrollzwang kann aber den Zufall nicht aufhalten, der dann immer gleich zum Unfall werden muß, ein Zusammenbruch der Ordnung.

Ganz zahm scheint das Land in der Morgendämmerung, als Grace MacLean mit einer Freundin zum Ausritt aufbricht. Unberührt ist die Schneedecke, alles ist still, im Osten geht gerade die Sonne auf. Eine Idylle. Kurze Zeit später ist die Freundin des Mädchens tot, Grace selbst wird ein Bein verlieren und ihr Pferd schwer verletzt zurückbleiben in der Winterlandschaft, die plötzlich nicht mehr Idylle ist, sondern ein finsterer Wald voller Ungeheuer. Ein Unfall, über dessen Nachwirkungen sich die Familie MacLean fast aufreibt. Als gar nichts mehr geht, hört Annie MacLean von einem Mann in Montana, Tom Booker, dem Pferdeflüsterer. Sie wendet sich an ihn, es ist eine Verzweiflungstat. Das Tier, das in den gefährlichen Naturzustand zurückgefallen ist mit dem Unfall und dem sich seither kein Mensch mehr nähern darf, soll Booker ein zweites Mal domestizieren. Damit, so hofft Annie, werden sich auch die Schwierigkeiten lösen, die die Menschen miteinander haben.

Es geht um viel mehr als um dieses Pferd natürlich und doch symbolisiert dieses Pferd alles in seinem Namen: Pilgrim. Wie einst die Pilgrim Fathers auszogen in die Neue Welt, zieht Annie aus nach Westen mit dem Pferd und der Tochter, die der Unfall ebenso feindselig gemacht hat gegen alle und alles. Von New York ist es weit nach Montana, und wir können diese Entfernung spüren. Fast ist es, als würden wir in ein ganz anderes Land reisen. Redford versucht nicht, Distanz durch die Montage zu überwinden. Zeigt nicht nur ein Bild vom Moment des Aufbruchs und dann eines von der Ankunft, sondern auch die Bilder dazwischen. Die Kamera begleitet das Auto aus großer Höhe, bis es ganz klein und unscheinbar geworden ist in der Landschaft. Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint es zu kriechen.

Der Regisseur nimmt sich Zeit und verlangt auch uns Zeit ab. Von einer Odyssee erzählt der Film, die in Montana eigentlich erst richtig beginnt. Es ist eine Begegnung fremder Welten, der Städter und der Landbevölkerung. Mißtrauen gibt es auf beiden Seiten. Annie MacLean rennt, sie kennt es nicht anders, von Kind an war sie eine Ruhelose. Jetzt, in der Wildnis, weiß sie nicht wohin mit ihrer Energie. Da sitzt sie und telefoniert mit New York, fern wie ein anderer Planet nun, spricht mit ihren Kollegen und wippt dabei zwanghaft mit dem Fuß. So wie auch das Pferd Pilgrim immer wieder mit den Vorderhufen scharrt. Es sind die Verletzungen an Körper und Seele, die sichtbar werden in diesen Bildern.

Aber es sind keine Zurück-zur-Natur- Parolen, die Redford ausgibt, obwohl der Traum von der Pastorale immer ein amerikanischer Traum war. In diesem Film bleibt das Land fremd auch für die, die mit und von ihm leben. Heilung können die Menschen nur in sich selber finden, wenn sie innehalten, wenn sie aufhören können, kontrollieren zu müssen.

Redford hat neben der Regiearbeit auch die Hauptrolle übernommen. Sein Tom Booker ist eine Art Quintessenz all der Charaktere, die er in seiner Laufbahn verkörpert hat. Einer, zu dem sie einfach Vertrauen gewinnen müssen, das sichtbar verstörte Pferd und die unsichtbar verletzte Frau. Natürlich sind die Untertöne spürbar, die den Gesprächen über das Reiten zwangsläufig anhaften, auch im Kino. Bei Lauren Bacall und Humphrey Bogart in "The Big Sleep" zum Beispiel oder bei Jennifer Jones und Gregory Peck in "Duel in the Sun". Annie MacLean und Tom Booker verlieben sich, es ist eine Liebe, ebenso unmöglich wie die letzte, die Kristin Scott-Thomas auf der Leinwand erlebte mit dem "English Patient".

Traurigkeit bleibt am Ende und das Wissen, daß die streng geordnete Schönheit des Gartens eigentlich sehr kalt ist, daß wir die Wildnis aber auch nicht wiederhaben können, die es nie gegeben hat, wie wir sie verschiedentlich phantasieren. Annie wird sich entscheiden müssen für New York und den Ehemann. Nicht wie sich Demi Moore entscheiden mußte für die moralische Antwort auf ein unmoralisches Angebot, sondern weil Annies Welt nicht Bookers Welt ist und beide das wissen. Der Traum von der Pastorale zerbricht an der Realität schon im Moment des Träumens.

"The Horse Whisperer" (Der Pferdeflüsterer). USA 1997. R: Robert Redford, D: Robert Redford, Kristin Scott-Thomas, Sam Neill u.a. Start: 24.9.