Arbeiten an der Stütze

Christlich-Demokratische Arbeitnehmer und SPD sind sich einig: Sozialämter sollen zur Arbeit zwingen

"Den Druck auf die Sozialhilfeempfänger erhöhen" - das ist derzeit das wichtigste Anliegen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem "Arbeitnehmerflügel" der CDU. Mit dieser Forderung ist schon das Wesentliche über das Programm "Handeln für mehr Beschäftigung" gesagt, das CDA-Chef Rainer Eppelmann wenige Tage vor der Wahl vorstellte.

Die Kommunen sollten künftig "allen arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern eine Arbeit anbieten", fordert die CDA. Denn, so Eppelmanns Rechnung, "würde jede der knapp 15 000 bundesdeutschen Kommunen 50 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger beschäftigen, wären alle 700 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger untergebracht."

Die Realisierung der CDA-Vorstellungen wäre die konsequente Fortsetzung der bisherigen Sozialhilfepraxis. 1996 setzten Union und Sozialdemokraten gemeinsam durch, daß Sozialhilfeempfängern, die die sogenannten gemeinnützigen Arbeiten ablehnen, die Unterstützung um 25 Prozent gekürzt werden kann. Das Thema "Sozialschmarotzer" blieb auch nach der Gesetzesverschärfung populär: Beispielsweise forderte die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) schon 1997 "mehr Druck auf arbeitslose Sozialhilfeempfänger, die eine Arbeit ablehnen". Im Februar dieses Jahres rechnete die CDU vor, daß durch verschärften Arbeitszwang 100 000 Jobs geschaffen werden könnten. Jetzt sind's in der Presseerklärung der CDA schon 700 000.

Auch wenn so keine neuen existenzsichernden Jobs geschaffen werden, die CDA-Wahlkampf-Forderung nach mehr Druck auf Sozialhilfebezieher hat, egal unter welcher Regierung, Zukunft. Schon jetzt setzen viele Kommunen auf den Zwang zur Arbeit. Vorzeigestädte wie das sozialdemokratisch regierte Lübeck gelten so inzwischen als "arbeitslosenfrei".

Das gesetzliche Mittel zur Durchsetzung des Arbeitszwangs sind die Paragraphen 18 bis 20 im Sozialhilfegesetz, die "Hilfe zur Arbeit" (HzA) für einkommensarme Menschen, die "Hilfe zum Lebensunterhalt" beziehen. Anfang der sechziger Jahre wurde die HzA als Instrument zur Einzelfallhilfe für diejenigen eingeführt, die auch bei Vollbeschäftigung keine existenzsichernde Erwerbsarbeit finden konnten.

Doch Zeiten von "Vollbeschäftigung" liegen lange zurück, und selbst Anhänger des Sozialhiferechts glauben heute nicht mehr, auf diesem Wege allen arbeitsfähigen Sozialhilfebeziehern einen existenzsichernden Job schaffen zu können. Doch statt die Absurdität des Einzelfallansatzes angesichts millionenfacher Erwerbslosigkeit einzugestehen, wurde die HzA zwischenzeitlich so verändert, daß die Sozialämter Sozialhilfeberechtigte zur Teilnahme zwingen können. Ungeachtet dessen bleibt die gesetzliche Kernaussage, daß mit der HzA ein Leben unabhängig von Sozialhilfe unter den in dieser Gesellschaft üblichen Bedingungen ermöglicht werden soll. Unter Berufung auf diesen Grundsatz können sich immer wieder Sozialhilfeberechtigte gegen die ärgsten Schikanen in der HzA vor Gericht wehren.

Vormalige Aufgaben des Öffentlichen Dienstes werden als "zusätzlich und gemeinnützig" deklariert und Sozialhilfeempfängern übertragen - teils denselben Personen, die dort wenige Jahren zuvor noch eine Planstelle innehatten, z.B. in Krankenhausküchen und in der pflege von Grünanlagen. Organisiert werden diese Beschäftigungsangebote oft von sogenannten Beschäftigungs- oder Strukturentwicklungsgesellschaften, die das Umgehen bestehender Tarifverträge erleichtern und selbst die unteren Einkommensgruppen des Öffentlichen Dienstes spielend unterbieten. Im SPD-regierten Leipzig ist die kommunale "Beschäftigungsgesellschaft" mittlerweile einer der größten "Arbeitgeber" der Stadt.

Um attraktive Jobs zu schaffen, haben die Sozialämter weder die Mittel noch den Willen. Angeboten wird, was quasi kostenlos zu haben ist. So wurde in Frankfurt/Main von Obdachlosen einige Stunden Laubfegen im Stadtpark gefordert, ehe der Tagessatz von 15 Mark ausgezahlt wurde. Eine andere Gemeinde richtete "gemeinnützige Arbeiten" in einer Viehkadaververwertungsanstalt ein und senkte damit die Zahl der Neuanträge auf Sozialhilfe.

Im grün-alternativen Freiburg werden ökosoziale Dienste als städischer Müllberater oder Gärtner vergeben. Solche Abschreckungsstrategien zielen auf alle Sozialhilfeberechtigten, egal ob arbeitsfähig oder nicht. Denn im Alltag heißt es, "wenn du Stütze willst, mußt du in der Abdeckerei arbeiten". Mehr oder weniger spektakuläre Beispiele für diese Praxis lassen sich quer durch die BRD finden.

Sinn machen daher die CDA-Vorschläge vor allem als Abschreckungsinstrument. Denn wenn es den Kommunen gelingen sollte, die geforderten 700 000 "Stellen" zu schaffen, wären zwar "alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger untergebracht". Aber allein mit der von der CDU geplanten De-facto-Abschaffung der Arbeitslosenhilfe kommt auf die Sozialämter haufenweise neue arbeitsfähige "Kundschaft" zu, die untergebracht werden müßte.

Wenn jede Kommune 50 "gemeinnützige Jobs" bereithält, werden viele versuchen, sich ihren Lebensunterhalt irgendwie anders zu sichern. Deshalb wird, was die CDA als "Handeln für mehr Beschäftigung" verkauft, vor allem die Bereitschaft fördern, immer niedrigere Löhne und ungünstigere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.