Soko Rex und die Müller-Clique

Nach dem Brandanschlag auf eine türkische Familie im sächsischen Colditz führt die Spur in die "national befreiten Zonen"

Ulla Jelpke zitiert George Bernard Shaw: Das "amtliche Communiqué" zähle zu den fünf Arten der Lüge. Als Beispiel führt die PDS-Bundestagsabgeordnete die Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu Brandanschlägen mit "vermutetem oder tatsächlichem ausländerfeindlichen und/ oder rechtsextremistischen Hintergrund" an: Die Regierung ignoriere mehr als die Hälfte der 1997 tatsächlich in Frage kommenden Vorfälle, weil in ihnen der Tathintergrund nicht aufgezeichnet worden sei. Während in Bonn von 26 solchen Angriffen die Rede ist, spricht Jelpke von mindestens 28 weiteren Brandanschlägen.

Auch ein Angriff im sächsischen Colditz könnte den Bonner Statistikern nach dieser Zählweise entgehen. Mit einem Brandsatz griffen sieben Männer am 15. August das Haus an, in dem eine türkische Familie lebt. Von der Öffentlichkeit so gut wie nicht beachtet, konnte das Landeskriminalamt Sachsen (LKA) in der letzten Woche nun vermelden, daß die Personen "wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung" ermittelt worden seien. Zwei der "als rechtsextremistisch einzustufenden Beschuldigten" sitzen als "mutmaßliche Haupttäter" in Untersuchungshaft, zwei weitere sind wieder auf freiem Fuß.

Auf Nachhaken ist man man beim LKA nicht eingestellt: So äußerte Pressesprecher Volker Lange auf Jungle World-Anfrage seine Verwunderung darüber, daß sich eine überregionale Zeitung für den Vorfall interessiere. Dabei ist die Sache nicht gerade harmlos. Die Bewohner konnten das Feuer zwar schnell löschen, ein elfjähriges türkisches Mädchen erlitt jedoch Brand- und Schnittverletzungen und mußte im Krankenhaus behandelt werden.

Der Hintergrund: Die ortsansässige rechtsextreme Szene hatte schon seit Tagen für Unruhe in Colditz gesorgt, da der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß nahte. In der Nacht vom 14. auf den 15. August kam es zu Auseinandersetzungen. Türken wurden angepöbelt. Diese setzten sich zur Wehr, wodurch die Heß-Verehrer leicht verletzt und deren Autos beschädigt wurden. Außerdem berichtet das LKA von einem Nachbarschaftsstreit zwischen einer türkischen und einer deutschen Familie. Nach Angaben der Behörde könnte der Brandanschlag eine "Vergeltung" für diese Auseinandersetzungen gewesen sein.

Der Fall lenkt den Blick einmal mehr auf die stark ausgeprägte rechtsextreme Szene in Sachsen. Sowohl antifaschistische Gruppen als auch der Verfassungsschutz beobachten seit einigen Jahren neonazistische Aktivitäten im Muldentalkreis, zu dem auch Colditz gehört. Die Region gilt als eines der rechtsextremistischen Zentren mit überregionaler Bedeutung in Sachsen, in denen eine seit 1991 erstarkende neonazistische Szene aktiv ist.

So hat die NPD hier in den letzten beiden Jahren großen Zulauf bekommen, deren Strukturen haben sich verfestigt. Ebenso wie die "Freien Kameradschaften" hat die rechtsradikale Partei dort "national befreite Zonen" ausgerufen. Mit von der Partie ist auch Marcus Müller, dessen "Kameradschaft" aus Colditz kommt. Die "Müller-Clique" veranstaltet hier regelmäßig Partys für Jugendliche, um Nachwuchs zu rekrutieren. Der sächsische Verfassungsschutz kommt zu dem Schluß, "daß sich im Muldentalkreis militante rechtsextreme Strukturen breit gemacht und unter den Jugendlichen die kulturell-ideologische Hegemonie gewonnen haben". Die Urheber des Anschlages auf das türkische Wohnhaus dürften aus einem solchen Umfeld stammen.

Mit einer Sonderkommission Rechtsextremismus will das LKA den Entwicklungen im Muldentalkreis Einhalt gebieten. "Soko Rex" ermittelt jedoch - Nomen ist nicht Omen - gegen Rechte und Linke. Örtliche Antifaschisten meinen, die Hauptaufgabe der Soko bestehe weniger darin, rechtsextreme Ausschreitungen aufzuklären. Vielmehr solle wohl eher der Anschein erweckt werden, daß man Neonazis in Sachsen nicht dulde.

Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden beim jüngsten Angriff verdeutlicht dies: "Brandanschlag auf türkisches Wohnhaus vom 15. August 1998 in Colditz aufgeklärt", so die Überschrift einer LKA-Pressemitteilung. Die Behörde stellt die "umfangreichen Ermittlungen" der "Soko Rex" heraus. Von den rechtsextremen Strukturen ist freilich nicht die Rede. Ermittelt wird ganz einfach "wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung" - das hat durchaus Ähnlichkeit mit dem, was Ulla Jelpke als "regierungsoffizielles Vertuschen des Ausmaßes von rechtsextremistischen Brandanschlägen" bezeichnet.