Ein familiärer Erpresser

Arno Funke stellt sein Buch vor: Warum ist "Dagobert" beliebter als Baader und Ensslin?
Von

Der Andrang der Medienvertreter ist groß, als Arno Funke, besser bekannt als der Karstadt-Erpresser Dagobert am Mittwoch vergangener Woche seine Autobiographie vorstellt. Knapp zwanzig Mikrophone stehen dichtgedrängt vor dem sichtlich nervösen 48jährigen Berliner, denn es ist schon eine kleine Sensation, wenn "Deutschlands populärster Nachkriegsganove" (Verlagswerbung) von seiner Anstaltsleitung die Genehmigung für Pressetermine erhält. "Das würde zuviel Aufregung in den Anstaltsbetrieb bringen", äußert er verständnisvoll, und es ist dieser moderate Ton, der sein gesamtes Buch durchzieht.

Wahrscheinlich ist dies auch die Ursache für seine ungebrochene Popularität in der Öffentlichkeit. Dem Mann, der bei seinen Bombenanschlägen stets darauf achtete, daß keine Personen zu Schaden kamen, was ihm bis auf einen Schock bei einer Angestellten auch gelang, kauft man ab, was er erzählt. Auf der Pressekonferenz herrscht eine heitere Stimmung, die nur von einem moralisch getriebenen Journalisten und seinen Fragen gestört wird.

Woher kommt diese Sympathie für einen Mann, der selber von sich sagt, er habe sich mit seinen Taten "außerhalb der Gemeinschaft gestellt"? Immerhin spielen nächtliche Bombenanschläge auf Kaufhäuser in der gleichen Liga wie die ersten Aktionen von Andreas Baader und Gudrun Ensslin, denen diese öffentliche Sympathie bekanntlich versagt blieb. An den Motiven kann es offenbar nicht liegen, handelte Arno Funke doch aus Egoismus, während die RAF einer höheren Moral folgte.

Es muß wohl ebenjene Bescheidenheit sein, die Funke davor schützte, den Kopf zu verlieren, als er die Polizei von 1992 bis 1994 an der Nase herum und in der Öffentlichkeit vorführte. Immerhin war er ein Star. Alle Zeitungen und Sender berichteten damals über ihn, es wurden T-Shirts mit der Aufschrift "Ich bin Dagobert" bedruckt, und Bands schrieben Lieder über ihn. Hat ihm das denn nicht geschmeichelt? "Ich habe die Öffentlichkeit damals mit der Tat nicht gesucht. Es war ja nicht mein Bestreben gewesen, berühmt zu werden. Zur damaligen Zeit wollte ich eben ans Geld."

Immer wieder scheiterten die Geldübergaben. Nachdem Funke - damals noch ohne das Pseudonym Dagobert - 1988 dem Berliner Kaufhaus KaDeWe erfolgreich eine halbe Million Mark abpreßte, wandte sich der zu der Zeit arbeitsunfähige und alkoholkranke Funke ab 1992 Karstadt zu, denn er hatte, wie er immer wieder betont, "eine Familie zu ernähren". Geplagt von einer Depression - Folge seiner Arbeit als Lackierer von Trike-Motorrädern -, organisierte er immer neue Geldübergaben. Mal ließ er die Beamten der Kripo das Geld auf eine von ihm konstruierte Lore legen, welche leider entgleiste, dann sollten sie die Beute in einer Streusandkiste mit doppeltem Boden deponieren. Glückte eine Übergabe, so hielt er in seinem Versteck nur Papier in den Händen. Das Geld der KaDeWe-Erpressung ging ihm aus und der permanente Streß zerrte an seinen Nerven. Am Ende achtete der sonst immer so gründliche Dagobert nicht mehr auf seine Sicherheit und ließ sich bei einem "letzten Versuch" der Transaktion widerstandslos verhaften.

Die Polizisten, die ihn in Berlin festnahmen, gaben ihre Freude durch "Juchzen und Abklatschen wie bei einer gewonnenen Fußballmeisterschaft" kund. Arno Funke war zu diesem Zeitpunkt der bekannteste Verbrecher und hatte die Polizei mit ihrem gigantischen Fahndungsapparat jahrelang blamiert.

"Es ist natürlich interessant, wie die deutsche Öffentlichkeit und wie die deutsche Polizei mit einem solchen Fall umgehen; da ist ja viel offenbar geworden", sagt der Verleger Christoph Links. Und noch immer wird viel offenbar. Dem inzwischen pensionierten Kriminalhauptkommissar Heins, der damals die SoKo Dagobert leitete und am Mittwoch an der Pressekonferenz teilnehmen wollte, bedeutete seine ehemalige Dienststelle, daß ein gemeinsamer öffentlicher Auftritt mit einem verurteilten Straftäter nicht erwünscht sei. Und die Angestellten der Moabiter Buchhandlung, in der am Abend die einzige genehmigte Lesung mit Dagobert stattfand, wurden wiederholt von Bediensteten des gegenüberliegenden Gerichtsgebäudes beschimpft.

So fragt denn der moralische Journalist den Verleger, ob er auch die Biographie Thomas Drachs, "Mein Leben als Reemtsma-Entführer" veröffentlichen würde. Links betont, daß sich in diesem Buch Zeitgeschichte widerspiegele, indem es "die Nöte eines Menschen, der vor der Sozialhilfe steht, der krank und angeschlagen ist und sich keinen anderen Ausweg weiß", schildere.

Der Karstadt-Konzern weigert sich, das Buch zu verkaufen, hat aber bereits einen Pfändungsbeschluß über 1,5 Millionen Mark für Dagoberts Autorenhonorar erwirkt. Funke, der nach eigenem Bekunden das Buch für seinen Sohn geschrieben hat, braucht "eh nicht viel", solange er genug Zeit für ein zweites, fiktives Buch und seine Bilder habe.

Immerhin hat er jetzt einen Namen, der ihm die eine oder andere Tür öffnen kann. So veröffentlicht er inzwischen regelmäßig Zeichnungen in der ostdeutschen Satirezeitschrift Eulenspiegel, und auch die Suche nach weiteren Verlegern dürfte nicht allzu schwer fallen. Daß er mit den Honoraren seine fünf Millionen Mark Schulden abtragen kann, ist aber eher unwahrscheinlich.

Arno Funke: Mein Leben als Dagobert. Ch. Links, Berlin 1998, 317 S., DM 39,80