Pop hilft Politik hilft Pop

Schröder in der Soap Opera: Eine Nachbetrachtung zu einem Aspekt im Vor-Wahlkampf

Eine Fernsehszene aus dem Wahlkampf: In der sehr wichtig anmutenden Besprechung zwischen drei Gästen im Edelrestaurant "Fasan" nehmen zwei Mitarbeiter schweigend die Anweisung ihres Chefs entgegen: "Das klingt vernünftig, das können wir vielleicht so machen."

Der Entscheider ist eindeutig als Gerhard Schröder zu identifizieren - auch wenn nicht erwähnt oder erklärt wird, in welcher Funktion er hier erscheint und welcher Sachverhalt zur Entscheidung anstand. Das ist offenbar auch nicht so wichtig, denn sein nächster Sprechtext lautet: "Ich hätt' gern die Rechnung, bitte." Nach einer Zwischeneinblendung überreicht Schröder dem Kellner einen Geldschein mit den Worten: "Danke schön. Stimmt so." Ob erfreut über das Trinkgeld oder nur aus Höflichkeit wünscht der Kellner noch einen schönen Abend. Schröder: "Danke, Ihnen auch."

Nach einer weiteren Zwischeneinblendung geht der SPD-Kanzlerkandidat in Richtung Ausgang und fragt: "Der Haufen Porzellan, äh, was ist los hier?" Ihm wird mitgeteilt, daß jemand zu heiraten beabsichtigt. "Wer denn?" Antwort: Andy Lehmann und Florentine de Montalban. "Ahh, die Montabachs." Der Bräutigam kommt zufällig herein, Schröder reicht ihm die Hand: "Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Ich weiß, wie schwer das ist!" Und tschüs.

Die Mitschrift zeigt, daß das Gastspiel des Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Präsidenten des Bundesrates und Kanzlerkandidaten der größten deutschen Volkspartei mit 40 Sekunden weder umfangreich noch anspruchsvoll daherkam. Politisch-strategisch clever war es trotzdem, denn Schröder trat in der erfolgreichsten Daily Soap des deutschen Fernsehens auf: "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (GZSZ).

Zahlreichen Gazetten und Fernsehsendern war daher auch der sozialdemokratische Ausflug in die Niederungen der Seifenoper eine (zumeist wohlwollende) Meldung wert. Dies, obwohl die schauspielerische Darbietung eher lau war und zumindest einen Fehler enthielt: Es heiratete in der Serie die Prinzessin Florentine Spirandelli de Montalban und nicht, wie Schröder profan behauptete, die "Montabachs". Um es gleich vorwegzunehmen: Die weit über sechs Millionen Zuschauer der 1 500. Jubiläumssendung von GZSZ betrachteten die Schröder-Szenen weder als Grenzüberschreitung noch als Satire. (Übrigens auch nicht als Versuch, sich einem möglichen Impeachment-Verfahren zu entziehen: Heiraten, auch wenn's schwer fällt.) Vielmehr markiert der Schröder-Auftritt eine neue Qualität der politischen Kommunikation.

Grundsätzlich präsentierten sich Politiker zu Wahlkampfzeiten gerne im Fernsehen, und bereits seit Ende der sechziger Jahre auch in non-fiktionalen Unterhaltungssendungen. Schon früh talkten und spielten die führenden Köpfe mit, z.B. in "Was bin ich?" (Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller) oder in "Dalli-Dalli" (Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht).

Dagegen sind Politikerauftritte in fiktionalen Genres noch ungewöhnlich. Auch wenn es keine Highlights der deutschen Fernsehgeschichte sind: bemerkenswert der Fahrradsturz des ehemaligen SPD-Hoffnungsträgers Björn Engholm und seine anschließende Behandlung durch den "Landarzt" in der ZDF-Serie und eine Ausstellungseröffnung durch Gerhard Schröder in "Der Große Bellheim" (ebenfalls ZDF). Sie ebneten den Weg für weitere Gastspiele von Politikern in Daily Soaps.

Die täglichen eigenproduzierten vier deutschen Endlosserien GZSZ und "Unter uns" von RTL sowie "Verbotene Liebe" und "Marienhof" von der ARD gehören zu den Zugpferden der beiden Sender. Dies betrifft in erster Linie die Einschaltquoten: GZSZ hat einen Marktanteil von über 40 Prozent bei den umworbenen 14- bis 29jährigen Mädchen und jungen Frauen. Die Serie erreichte in diesem Jahr mehrmals über sechs Millionen Zuschauer.

Welche Bedeutung, welchen Grund oder gar Sinn haben aber die Gastrollen des SPD-Kanzlerkandidaten Schröder, des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe sowie von Berlins Regierendem Eberhard Diepgen in GZSZ? Was ist davon zu halten, daß gar das Staatsoberhaupt der BRD, Bundespräsident Roman "Ruck-durchs-Land" Herzog, im "Marienhof" sein Coming-out als Fernsehstar feierte?

Unabhängig vom Wahlkampf, ist zu bedenken, daß die Politiker in ihrem Bemühen, den gesellschaftlichen Wandel zu interpretieren, das Fernsehen als Richtungsweiser ansehen. Dieses Medium bestimmt die Prinzipien der Lebensführung und der Weltinterpretation. Deshalb drängen die Entscheidungsträger selbst ins Fernsehen. Wie der Dortmunder Politologe Thomas Meyer formuliert, nutzen die Politiker das Fernsehen als "Bühne der öffentlichen Inszenierung" ihrer Person. Auf der Bühne des Fernseh-Theaters spielen sie sich selbst. Ob die Inszenierungen ihren Rollen und Funktionen gerecht werden, ist allerdings fraglich. Denn das traditionell Politische des Politikers bleibt in der Regel außen vor, es findet keine konkrete Erwähnung. Im Mittelpunkt steht der Image-Transfer der Soaps auf die Polit-Profis. Und tatsächlich hinterlassen die Politikerauftritte in Unterhaltungssendungen einen Eindruck von Im-Trend-Sein und alltagsweltlicher Flexibilität.

Polit-Stars zeigen sich - im Gegensatz zu ihrem sonstigen Erscheinungsbild - "modern", sie haben keine Berührungsängste mit dem - bei Bildungs- und Herrschafts-Eliten - schlechten Image von Daily Soaps. Ganz im Gegenteil: Demonstration moderner Volksnähe bei der Fan-Gemeinde. Schröders Cameo-Auftritt bei GZSZ kann als das Beispiel geltend gemacht werden: Modernität ist schließlich einer seiner Lieblingsbegriffe, der Auftritt eine Verstärkung des entsprechenden Images.

Die politischen Entscheidungsträger sprechen außerdem die vorgeblich politikverdrossene Generation an, sie sind, wenn auch nur für kurze Zeit, dort präsent, wo der jungen Generation durch Lifestyle-Settings Anschluß- und Identifikationsmöglichkeiten geboten werden. Sie sind zeitweiliger Bezugspunkt der Alltagskommunikation. Das zeugt von Kenntnis jugendkultureller Symbolik und von medialen Handlungsweisen. Die Akteure der repräsentativen Demokratie unternehmen damit den Versuch, dieses Wissen so zu nutzen, wie es Markenartikler tun: Produkte im Lifestyle-Setting der Soaps plazieren, um sie zu verkaufen.

Kurz: Pop-Kultur hilft Politik. Jedoch nicht uneigennützig. Denn die Soaps profitieren im Gegenzug ebenfalls von dieser Verbindung. Gesellschaftlich-politische Autoritäten werten sie auf. Angesichts der Austauschbarkeit der Geschichten, Figuren und Orte der Soaps sowie dem enormen Konkurrenzdruck auf dem Fernsehmarkt eine auch ökonomisch nicht zu vernachlässigende Größe. Politiker geben, sofern sie dazu noch in der Lage sind, einen Hauch Seriosität. Kurz: Politik hilft Pop-Kultur.

Der mediale Wirbel um die Politikerauftritte in den Soaps erzeugt darüber hinaus einen Aufmerksamkeitsschub. Serien erhalten durch Fotos und Artikel in der Presse einen höheren Bekanntheitsgrad. Soap Operas werden zu Events. Das sieht man etwa an dem großen Interesse für die GZSZ-Folge, in der Schröder seinen Auftritt hatte. Umgekehrt erreichen Politiker durch eine solche Plazierung Regionen, in die sie mit den üblichen politischen Auftritten nicht vordringen. Kurz: Politik hilft Pop-Kultur hilft Politik.

Bedenklich an dieser Entwicklung scheinen die soap-spezifischen Dramatisierungsweisen - nämlich Intimisierung, Personalisierung und Privatisierung - zu sein, insbesondere, wenn sie zum bestimmenden Kriterium der politischen Kommunikation werden. Konfliktthematisierung und Vermittlung von Lösungen verlieren sich in Endlosschleifen, im privaten, intimen Kreislauf. Da der politischen Klasse Konzepte fehlen, kommen ihr die Gastrollen in fiktionalen Unterhaltungssendungen entgegen. Diese Präsentation unterstützt den Trend zur Politisierung des Privaten und erlaubt, da sie eine Vielzahl von Deutungen zuläßt, größtmögliche Offenheit bzw. Beliebigkeit.

Wer übrigens zusammen mit den Politikern die Verkürzung ihrer Statements auf die berühmten 90 Sekunden in Nachrichtensendungen beklagt, dem sei empfohlen, Länge und Inhalt des Beitrags von Gerhard Schröder in GZSZ mit der Verwirrung, die sein Auftritt beim politischen Gegner auslöste, in Verbindung zu setzen. CDU-Mann Andreas Fritzenkötter meinte: "Der deutsche Wähler erwartet weder vom Bundeskanzler noch vom Möchtegern-Kanzler, daß er in einer Soap eine herausragende Rolle spielt." Wie das Wahlergebnis gezeigt hat, schadete Bundes-Schröder das Gastspiel nicht.

Die Autoren sind Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Daily Soaps und Kult-Marketing" des Rhein-Ruhr-Institutes für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) in Duisburg.