Horst Mahler über Schröder

Trinkrunde mit dem Weltgeist

Horst Mahler sieht in und durch seinen ehemaligen Verteidiger Gerhard Schröder den Hegelschen Weltgeist am Werke. In der Süddeutschen Zeitung (30. September, "Wir wissen nichts von Gerhard Schröder") und der Jungen Freiheit (2. Oktober, "Der künftige Kanzler steht für eine neue Politik") feiert er Schröder als Staatsmann, der "Einsicht in das Wesen der Geschichte" genommen habe und das "Spannungsverhältnis von privatem Nutzen und Gemeinwohl" wieder zusammenführen werde.

Mahler empfiehlt ihm, sich der Haltungen zu erinnern, die er selbst in einer gemeinsamen "sozialistischen Trinkrunde" Anfang der achtziger Jahre an Schröder kennenlernen durfte. Schröder wisse seit damals, daß ein "neuer Konsens" und eine "lebensnotwendige Identifikation in einem Geschichtsbild, das unseren Nationalstolz nicht vernichtet", nötig sei. Die dazugehörige "Gesellschaftskritik" hat Mahler in seinem Artikel "Neue Politik" skizziert: "Die von einem neuen Geist beseelte Nation wird die vermeintlichen Sachzwänge des Marktes brechen und das Leben des Gemeinwesens gegen das Spekulationskapital sichern." Günter Rohrmoser, rechtskonservativer Vordenker der Neuen Rechten, lobt ihn dafür: "Mahler vertritt heute eine Position, die ich nur als einen national-christlichen Konservativismus charakterisieren kann" (dazu auch Jungle World, Nr. 52/1, 1997/98).

Recht hat er, will doch Mahler die "Vollendung und Überwindung der Aufklärung" in einem dialektischen Geniestreich mit Volk, Nation und Staat erreichen - in der "selbstbewußten Nation". Die bereitete er in seinem Denken lange vor. In seinen "Zehn Thesen zur RAF" von 1978 beklagte Mahler am Beispiel Mussolinis und der Strasser-Brüder die "tragische Verstrickung sozialrevolutionärer Hoffnungen in eine reaktionäre Bewegung".

Diese Position ist ausbaufähig. Mahler kommt Anfang der achtziger Jahre, nach seiner Haftentlassung, auf einen Rechtshegelianismus, den er in seiner Schrift "Neu beginnen" ausbreitet: Der Boden des Terrorismus sei die Heimatlosigkeit, er sei deshalb gescheitert. Der wahre Boden der Veränderung müsse folglich woanders zu finden sein. "Dieser Boden kann nur die reale Bewegung unseres Volkes sein, in das wir zuallererst zurückfinden müssen." Das Volk, der Staat, die Nation, das Selbstbewußtsein als Kollektiv Nation: Das Konzept Stadtguerilla scheint für Mahler heute wieder Zukunft zu haben - als nationale Erweckung.

Außer dem Weltgeist Schröder will Mahler noch andere in die antispekulative Volksfront einreihen - die neuen "politischen Gefangenen", die "zu Märtyrern der nationalen Wiedergeburt Deutschlands" werden, indem sie wegen "Leugnung des Holocaust und wegen Fortführung verbotener Organisationen verurteilt sind", beschreibt er in der SZ die neuen Teilnehmer an seinem Kampf für Deutschland.

Und auch andere nationale Sozialisten könnten Mahlers Auftrag an das nene Schröder-Deutschland unterschreiben: "Die Initiative zur Sanierung des in einer tiefen Krise steckenden Weltfinanzsystems" könne nicht von den USA oder Europa, sondern "nur von Deutschland ausgehen", gleichfalls die Rolle als wirkliche und wahrhaftige "Friedensmacht". Mahlers organisches Weltbild hat nach dem guten Staat und dem guten Volk nun auch wieder den Führer gefunden, der der deutschen Nation durch eine "Geopolitik" Weltgeltung verschaffen soll.