Wie der Franz damals wegen der Ulrike weinte

Die Strauß-Biographie des Spiegel-Redakteurs Wolfram Bickerich erzählt eine Menge über Wolfram Bickerich

Er war eigentlich nur Franz getauft, lernen wir gleich auf den ersten Seiten. Den "Josef" hat er sich erst zugelegt, als der Vater, Metzgermeister Franz Josef Strauß, im Juni 1947 gestorben ist, aber da haben wir schon den ersten Fehler gefunden. Die Biographie beginnt mit Geschichtchen, und die erste erzählt, daß Papa Franz Josef im Dezember 1948 nicht einverstanden gewesen sei mit des Sohnes Hinwendung zur Politik. Da hat der Vater entweder im Himmel aufgestöhnt, oder er ist erst 1948 gestorben, oder es ist eh alles erfunden.

Egal, denn seit genau zehn Jahren ist nun auch der Sohn im Himmel. Dort nämlich wird er sein, denn Kommunistenfresser kommen dorthin, Frauenfeinde, Rassisten und Rechtsradikale sollen auch dorthin, damit wir irgendwann mal unsere Ruhe vor denen haben. Wolfram Bickerich soll auch dorthin, obwohl er ein Freund der Sozialisten ist und sicherlich kein Rechtsextremer.

Der Mann, der in den siebziger und achtziger Jahren erst für die Bonner, dann für die DDR-Berichterstattung des Spiegel verantwortlich war, hat Franz Josef Strauß 1968 zum ersten Mal getroffen. So steht es im Vorspann des Buches. Und seitdem befaßt er sich "mit Politik und Person von FJS". "Durchstehend und durchstechend, zielstrebig und zaudernd, machtgeil und zurückhaltend-realistisch, korrupt und liebenswürdig, laut und sentimental - ein Mann voller Gegensätze, der den Frieden liebte und unbedingt die Atombombe wollte, aber immer ein Mann, immer auf der Jagd nach Wild, nach Geld, nach Frauen und Alkohol, nach Ansehen, Erfolg und persönlichem Glück."

Bei genauerem Lesen allerdings entdeckt man die eingeschobene Bewertung "aber immer ein Mann", "ein Zerrissener", so der Autor wenig später, und wir werden nun Zeuge, wie er der Faszination seiner zu beschreibenden Figur unterliegt. Kaum je wurde in einer mir bekannten modernen Biographie so ungebrochen ein reaktionäres Männerselbstbild als positiv beschrieben wie im vorliegenden Buch.

Es gibt auch anderes zu kritisieren. "Der Politiker Strauß hat sich manche Verdienste erworben, so um den Aufbau der Bundeswehr, um die Finanzreform, den Airbus oder bayrische Regionalfragen." Die Existenz der Bundeswehr und im Zusammenhang mit Strauß den Airbus als hervorzeigbare Ergebnisse eines Politikerlebens zu beschreiben, ist schon gewagt. Für einen Spiegel-Journalisten ist das vielleicht schick, auch Positives an der Politik jenes Mannes zu finden, der dereinst dafür sorgte, daß die eigene Redaktion wegen "Vaterlandsverrates" in den Knast wanderte.

Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß eine Figur wie Franz Josef Strauß - lange das Feinbild aller Linken, Demokraten und Liberalen schlechthin - als Mensch dargestellt wird, der Schwächen und Fehler hatte und gar nicht so stark war, wie er schien. Bickerich betreibt jedoch etwas völlig anderes: Der Strauß geht mit ihm durch, und Wein, Weib und Politik werden zu einem Supergag, und je doller der Strauß es trieb, desto mehr beneidet ihn offensichtlich sein Biograph. Das ist dann doch spannend zu lesen, weil es etwas über männliches Bewußtsein bei einem erfolgreichen bundesdeutschen Journalisten, Jahrgang 1942, aussagt, der eben nicht zu den CSU-Hofberichterstattern gehört.

Am deutlichsten wird das, wenn Bickerich auf Privates im Leben von Strauß kommt. Es beginnt beinahe harmlos: "Im Fasching 1957 lernt der 41jährige, als venezianischer Troubador verkleidete Strauß beim Ball der Münchner Kammerspiele im Deutschen Theater die 26jährige Marianne Zwicknagel kennen. Daraus wird eine Romanze mit Höchstgeschwindigkeit; an Ostern, die Fastenzeit ist eben vorbei, feiert das Paar Verlobung." Nun gut, so sind eben die Sitten gewesen und in Bayern besonders, aber natürlich war die Strauß-Ehe auch nicht immer glücklich, vergelt's Gott.

Strauß zeugt drei Kinder mit Marianne, die manchmal auch streng ist mit dem Kindsvater. Tief Luft holen nun, denn es folgt ein Drama: "Er hat Ulli kennengelernt, eine 17jährige Primanerin aus bester Kölner Familie. Ihr hilft er in seiner Freizeit bei den Schularbeiten. Zum Abitur schenkt er ihr ein Auto, einen gebrauchten VW-Käfer; und er überlegt ernsthaft, ob er mit Ulli ein neues anderes Leben beginnen kann. Er ist bereit, den Skandal in Kauf zu nehmen, denn ihm und den wenigen, die von der Affäre wissen, ist die Dimension sogleich klar: Der Vorsitzende einer Partei, die das Wort 'christlich' im Vornamen führt, darf auch nicht auf dem Höhepunkt seiner Midlife-Krise die Familie schnöde verlassen - nicht in den sechziger Jahren, nicht als konservatives Aushängeschild. Ein Gefangener."

Das Ganze spielt 1968/69, wovon wir an den Verliebten ganz andere Erinnerungen haben und uns jetzt bedingungslos nachträglich mit ihm solidarisieren, tja, wenn die Ulrike ein wenig älter gewesen wäre, wär's leichter. Strauß - ein Gefangener der bürgerlichen Ehe und als über Fünfzigjähriger im Schulmädchenreport, das hat was! Sein Biograph jedenfalls liebt und leidet spürbar mit. "So faßte der CSU-Vorsitzende und amtierende Finanzminister einen Entschluß, der ihm das alte Ungestüm zurückgibt: Franz Josef Strauß, ein Freund der Frauen, weinte bittere Tränen, als er sich von Ulli trennte." Das ist sehr schön so, denn die Ulli hat wahrscheinlich auch geweint, zumal die eifersüchtige Gattin Marianne Strauß bei deren Eltern inzwischen Rabatz gemacht hatte. Man muß sich aber nicht langfristig frauensolidarisch um die junge Frau sorgen, denn Ulrike Pesch heiratete 1974 den späteren Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl und hat damit auch noch eine sehr gute Partie gemacht.

Interessanter ist die - im Buch unterschlagene - Frage, wieso denn eigentlich damals, obgleich, wie Bickerich behauptet, zumindest einige Journalisten und Parteifreunde von der Liebschaft mit der damals Minderjährigen wußten, alle dichtgehalten haben. Wie hätte sich die deutsche Politiklandschaft verändert, hätte es damals schon Paparazzos gegeben, die gegen Geld auch ihre Männerkumpaneigefühle verkauft hätten?

Biographie-Schreiber Bickerich verhehlt kaum seine von Neid angehauchte Sympathie, ja, sie bricht sozusagen aus dem nun ebenfalls Mittfünfziger heraus, wenn er die sexuellen Gelüste seines Strauß beschreibt. Er wiederholt sich dann auch laufend, und vor lauter Sehnsucht nach einer Siebzehnjährigen merkt er gar nicht mehr, was für einen Unsinn er schreibt. "Mit Marianne hatte er, nachdem er von Ulli so tränenreich getrennt worden war, alt werden wollen; die vielen Frauen daneben und dazwischen dienten nur der Kurzweil." Das ist sein Kommentar zum Tode der Strauß-Ehefrau Marianne 1984.

In ähnlicher Weise fasziniert, berichtet die Biographie von den Hobbys und Allüren, die sein "Mannsbild" sich im Alltag zugelegt hatte. Es ist durchaus erfrischend, daß nicht der moralische Zeigefinger erhoben wird, nur leider liest sich Bickerich wie ein Dallas-Verschnitt, also langweilig: "Das waren überall zwischen New York und Windhoek wilde Sausen, wenn der ungemein großzügige Jahn auftischte". Friedrich Jahn, der Wienerwald-Chef, gehörte zum engsten Freundeskreis von Strauß und war ein Förderer der CSU. Ein anderer Intimus des FJS, Eduard Zwick, war noch großzügiger: "Jeweils um Strauß' Geburtstag herum, schaffte er mit seinem Flieger schöne, wenn auch für leicht empfundene Frauen zu fröhlichen Festen nach Südfrankreich." Dort - Strauß hatte Grundstücke in der Gegend - traf man sich.

Zu den Freunden gehörte der Nürnberger Rüstungsfabrikant Karl Diehl (ein wichtiger Profiteur im Landminengeschäft, aber das steht nicht im Buch), der mal eben seinen Jet ausleiht, als Strauß für die Heimfahrt im BMW iX oder Mercedes-Geländewagen zu müde ist. Und zum 60. Geburtstag bekommt der Franz Josef vom großen Flick persönlich eine Antiquität geschenkt (Wert 66 000 Mark). Ganz nebenbei erfahren wir über den Lebensstil dieser Clique immer wieder genau das, was wir sonst in antikapitalistischer Propaganda lesen mußten, und das ermüdet irgendwann und läßt die Frage aufkommen, warum der Autor das denn eigentlich alles so toll finden mag.

Bickerich benutzt all diese kleinen Geschichten aus der großen Welt der Reichen und Mächtigen durchweg als Belege dafür, daß Franz Josef Strauß eben - so angreifbar seine Politik gewesen sein mag - ein richtiger Kerl war. An einer Stelle wagt er vorsichtige Kritik, und die gerät ihm auch prompt rassistisch: "Für die Öffentlichkeit zelebrierte er Rituale wie im afrikanischen Busch."

Auf der Folie all dieser mißratenen Bemühungen, den Menschen, nein, den Mann Strauß, als intelligente, machtgetriebene und widersprüchliche Aufsteigerpersönlichkeit darzustellen - ein ehrenvolles Anliegen - gerät Bickerich streckenweise auch die Darstellung der Straußschen Politik zum Komödiantenstadel für frustrierte Altherren. Selbst Angelegenheiten wie die dauerhafte Korrumpierbarkeit seines Franzls, vor allem aber dessen unbestrittene Rolle bei fast allen Drecksentscheidungen, die seit Bestehen der Bundesrepublik von deren Oberen getroffen wurden, werden bei ihm zu Schülerstreichen, denen man beinahe belustigt zustimmen kann. Der kleine arme Junge hat's halt geschafft.

Wen schert es noch, bei so viel Manneskraft und Erfolg, daß dies mit einem gefälschten Entnazifizierungsgutachten begann, daß der Mann erst Minister für besondere Aufgaben, dann Atom(waffen)minister, dann Finanzminister der Republik war, daß mit seinem Namen sämtliche "Affären" der Bundespolitik - Starfighter/Lockheed, Pressezensur gegen den Spiegel, Unterstützung der Regimes in Apartheid-Südafrika, Togo, Zaire, Chile, Franco-Spanien, Subventionierung der Atomwirtschaft, Eine-Milliarden-DDR-Kredit an Schalk-Golodkowski, es geht endlos so weiter! - verbunden sind? Alles im Grunde Dumme-Jungen-Streiche, haben wir am Schluß des Buches gelernt. Der Mann war oft besoffen, das hat schon Adenauer kritisiert, und hatte einen ziemlich starken Geltungsdrang.

Theodor Heuss, dem man gewiß weder Sympathie für Linke noch Gegnerschaft zur Bundeswehr nachsagen kann, hat in seinen 650 Seiten zählenden Erinnerungen an die Zeit der Bundespräsidentenschaft 1955 bis 1963 nur einige wenige Tagebucheintragungen für FJS übrig. Eine lautet: "Ich habe an dem Abend, der bis halb drei währte, eine Unterhaltung mit dem Soldaten-Minister Strauß fortgesetzt."

Das war am 10. November 1957, zu einer Zeit also, in der das angebliche Urgestein gerade anhub, unvergeßliche Karriere zu machen. Bedauerlicherweise kommen solche - eher abfälligen oder genervten - kritischen Beschreibungen von Zeitgenossen des FJS in Bickerichs Buch nicht vor, sondern nur begeisterte oder den Feind scheinbar bewundernde. Und das macht diese Biographie so überflüssig, wie es überflüssig ist, sich darauf zu verlassen, in den Himmel zu kommen.

Wolfram Bickerich: Franz Josef Strauß.
Die Biographie. Econ & List Taschenbuch Verlag 1998, 376 S., DM 18,90