Du darfst jetzt

Covern, transformieren, modifizieren - der Gigolo-Style von DJ Hell

"Er trägt einen Leinenanzug von Canali Milano, ein Baumwollhemd von Ike Behar, eine Seidenkrawatte von Bill Blass und Oxfords mit gerader Kappe von Brooks Brothers. Ich trage einen extraleichten Leinenanzug mit Bundfaltenhose, ein Baumwollhemd, eine gepunktete Seidenkrawatte, alles von Valentino Couture, und Lederschuhe mit gerader, perforierter Kappe von Allen-Edmonds."

(Bret Easton Ellis: "American Psycho")

DJ Hell ist die "Munich Machine". Das heißt, er ist "voll Stoff" Münchner, wie er das nennt. Was das bedeutet? Kunstpark Ost (Hell: "Wir nennen das 'Spaßfabrik'"), Schwabing, Munich-Disco und FC Bayern München, das eigene Label International DJ Gigolo Records und gelegentlich eine Leberkässemmel mit süßem Senf.

Hell ist eine Legende. Seine letzte LP vor vier Jahren, "Geteert und gefedert", auf der u.a. "Hot On The Heels Of Love" der Industrialpioniere Throbbing Gristle gecovert wurde, gilt als Blueprint für den ganzen Recycle-Hype, der derzeit besonders in Köln aus Achtziger-Pop Poptechno für die Neunziger machen soll. Mit seiner neuen Platte kommt er nun genau rechtzeitig, um nicht nur nach Köln weitere Signale in Sachen Plattensammlung-Aufarbeiten zu senden. Andere müßten bei soviel Gecovere wahrscheinlich in der Hölle schmoren, doch bei Hell funktioniert der kreative Eklektizismus erstaunlicherweise. Von Barry Manilows "Copacabana" bis hin zu den Endsiebziger-Elektronik-Gassenhauern "Warm Leatherette" und "Suicide Commando" reicht der Rückgriff-Katalog, aus dem Hell seine elektroiden Floorstomper zimmert.

Covern, transformieren, Altem ein neues Mäntelchen umhängen mag nicht besonders innovativ sein, doch außer bei den Kölnern, von Mike Ink bis Jörg Burger, hat dieser Modifizierungsprozeß unter dem Stichwort Techno noch nie so radikal stattgefunden wie bei Hell. "Ich hoffe, daß ich den Leuten neue Wege zeige, damit alles mehr in Richtung Pop geht. Ich arbeite alte Lieblingstracks auf und möchte die Originale dabei in eine Neunziger-Ästhetik überführen. Es geht dabei um Respekt und es ist keine Frankensteinmethode wie die das im Raveline genannt haben."

DJ Hell ist Gigolo. Was ein Gigolo ist? "In der alten Form ist es ein Mann, der sich von einer Frau aushalten läßt und freien Sex liefert. Sie kümmert sich um den Rest", weiß Hell. Aber das ganze wäre natürlich nur ein halber Spaß, wenn er nicht eine Neudefinition des Gigolos hätte - und von seinem weiblichen Pendant, der Gigoletta: "Höflich sein, Umgangsformen beherrschen und eine gewisse Respekthaltung sich und den anderen gegenüber gehört dazu. Dabei sollte man sich selbst aber nicht allzu wichtig nehmen." Der Aspekt des Ausgehalten-Werdens fällt dabei völlig weg, und somit ist eine Gigoletta nicht bloß das Betthäschen eines Webdesigner bei Pixelpark oder so, sondern eben auch bloß höflich, bescheiden usw. Logisch, oder? Aber, so Hell: "Vielleicht gehört das ja auch dazu, daß man den Gigolo und die Gigoletta nicht so genau definiert."

Das Wichtigste bei der ganzen Gigolo-Geschichte ist natürlich der Style. In den Zeiten von Post-Rave ist der schwitzende Trainingsanzug-DJ mit "I wanna see your hands in the air"-Parolen kaum noch gefragt. Wir leben in den Zeiten von Clubculture, "Vier Plattenläden in Graz" und Pop-Biennalen. Der DJ ist kein Arbeitstier mehr, sondern intellektueller Vorkämpfer, der bloß noch mit einem extrem ausgefallenen Set irgendwo Resident werden kann. Überhaupt sind die Zeiten des Anything goes, selbst für Star-DJs, längst vorbei. Zwar ist heute jeder und jede ein DJ, aber nur auf der Geburtstagsfete der kleinen Schwester oder in der Eckkneipe für ein paar Bier am Abend. Zwei Technics-Plattenspieler und ein paar gebraucht gekaufte Dance-Maxis reichen schon längst nicht mehr, um sich von Zigarettenfirmen sponsern zu lassen.

Fett Kohle machen tun bloß noch die ganz großen Namen - Juan Atkins, Jeff Mills, LTJ Bukem, DJ Hell. In Zeiten, in denen sich der popeligste Kurator verzweifelt um Pop-Anschluß bemüht, Spex sich zum Lifestyle-Mag verwandelt und West auf Millennium-Partys internationale DJ-Prominenz auflegen läßt, sind Technoproducer und DJs längst in die Multimedia-Maschine eingespeist. Das eine gehört zum anderen. Hybridisierung an allen Ecken. Von der Radunski-Parade bis zur Radunski-Biennale reicht das Spektrum - ohne DJ-Prominenz geht da gar nichts mehr. DJ sein ist mindestens so hip wie als Product-Manager der Multimedia-Firma ID-Gruppe einen Vortrag über Push-Medien in New York zu halten.

Hell beschreibt sein DJ-Gigolo-Sein in der Techno-Zeitung Groove so: "Dieses ganze teilweise lebensfremde Business, wo dir alles abgenommen wird. Du kommst in eine Stadt, wirst abgeholt, ins Hotel gebracht, Abendessen, diese ganzen Rituale, mußt dich auch um nichts kümmern und verdienst nebenbei auch noch Geld, spielst in den besten Clubs, dort sind natürlich auch immer Frauen - das war für mich die Idee, es Gigolo zu nennen, dieser Gigolo-Lifestyle. Oder Gigoletta, das darf man nicht vergessen." Gehen wir erst zum Sushi-Essen und dann in den Club, oder umgekehrt?

Clubculture und cooler Style gehören natürlich schon immer zusammen ("Cool Clubculture" heißt das dann beim Artforum). Aber, ohne den Postmoderne-Blues pfeifen zu wollen, wo bleibt bei all dem "Du darfst" der Stildiversifizierungen noch ein Rest Signifikanz? Hell ist cool, hat einen Schnauzer der ihm auch noch steht, trägt Klamotten von Armani und Gucci, und im Kleiderschrank seiner sicherlich recht schmucken Wohnung hängt noch mehr davon, viel mehr Aussagen sollte man da kaum suchen. Richtig süß ist seine "Jetzt"-Lebenswert-Philosophie von Individualität als eine Art Übercode im Club, bei der es anscheinend bloß noch darum geht, sich selbst cool zu finden: "Mädchen haben ein Abendkleid an, Jungs einen Anzug. Das ist auch eine Art von Gigolo und Gigoletta sein. Man kann aber auch im Trainingsanzug kommen. Das muß keiner von Helmut Lang sein, der muß auch sonst nicht teuer sein. Es ist alles erlaubt. Wichtig ist bloß, daß man dazu steht." So einfach ist das also: Club-Existentialisten auf die Tanzfäche, ihr seid alle cool!

In Zeiten, wo überall die Krise von Pop heraufbeschworen wird, ist es natürlich ziemlich langweilig, einem Gucci-DJ und Monaco Franze-Abziehbild, der gerade eine ziemlich gute Platte veröffentlicht hat, Indifferenz vorzuwerfen. Doch angesichts eines Jungs-Faschismus, wie er in einem Skate-Grafik-gute Musik-Chicks-Magazin wie Lodown betrieben wird, und der es sich bei dem Tocotronischen "Es gibt nur cool oder uncool" ziemlich leicht macht oder eines Ulf Poschardts, der möglichst viel Geld für coole Klamotten ausgeben zur Subversionsgeste herbeifabuliert, bleibt da doch die Frage, wie Pop vor einer bloß noch blöden Lifestyle-Infizierung gerettet werden kann.

"Ich könnte auch auf einem Vierkant-Bauernhof irgendwo in Bayern leben. Scheune, Geräte, Atelier, vernetzt sein, ein paar Stunden zum Flughafen. Viele junge Künstler ziehen aufs Land. Die ganzen E-Werk-Leute beispielsweise sind diesen Weg gegangen. Finde ich sehr erstrebenswert."

Klar, Richie Blackmoore von Deep Purple hat sich ganze Schlösser mit den drei Akkorden von "Smoke On the Water" gekauft. Aber wollte Techno nicht mal irgendwann was anderes als bloß eine Seite im Spiegel-Kulturteil füllen? Und wollten die DJs nicht auch etwas anderes, als sich Häuser neben das von Boris Becker zu stellen?

DJ Hell: "Munich Machine". Disko B/V2