Mullahs wählen

Experten wählen Mullahs

Die Wahl des Expertenrates im Iran zeigt Widersprüche und Gemeinsamkeiten der politischen Macht auf

Wenn die Bevölkerung der Islamischen Republik Iran schon einmal wählen darf, geht es drunter und drüber. Zuletzt am vergangenen Wochenende, als die Wahl zum sogenannten Expertenrat, einem der wichtigsten politischen Machtzentren des Landes, anstand.

Der Expertenrat, dem 86 Mitglieder angehören und dessen Amtszeit auf acht Jahre festgelegt ist, hat die Funktion, den geistigen und religiösen Führer des Iran zu kontrollieren und eventuell auch zu korrigieren. Notfalls kann der Rat ihn aber auch absetzen und einen neuen wählen - und so Einfluß auf die höchste staatliche Instanz nehmen.

Der erste Expertenrat war nach 1979, in den frühen Jahren der islamischen Revolution, installiert worden, um an der islamischen Verfassung mitzuarbeiten. Während der Jahre 1982 bis 1990 fungierte die Institution offiziell als zweite Legislative neben dem Parlament, dem Islamischen Rat. Der zweite Expertenrat arbeitete von 1990 bis 1998. Die Bewerber um einen Sitz im Expertenrat müssen von einer anderen Instanz der politischen Macht zuvor bestätigt werden: dem zwölfköpfigen Wächterrat. Er hatte bereits Ende September 167 von 396 Kandidaten für die Wahl am 23. Oktober qualifiziert.

Doch die Qualifizierung der Kandidaten durch den Wächterrat rief auch Kritik hervor: Hypothetisch müßte die An-zahl der Kandidaten proportional zur Bevölkerungszahl der einzelnen Regionen erfolgen, und pro Gewähltem müßten zwei Kandidaten aufgestellt werden. In der Stadt Meshhed aber habe es nur zehn Kandidaten gegeben, obwohl aus dieser Region eigentlich acht Personen gewählt werden müßten, kritisierte beispielsweise die Mullah-Kaderschule Hoseje Elmije in Ghom. Diese islamistische Institution, eine Art Vatikan des Iran, bedauerte zudem öffentlich, daß ein Geistlicher, der mit Zustimmung des früheren religiösen Oberhauptes Ayatollah Khomeinis in den ersten Expertenrat gewählt worden war, nun disqualifiziert worden sei.

Ayatollah Sadegh Khalkhali, der kurz nach der Machtübernahme Khomeinis Vorsitzender der Islamischen Revolutionsgerichte wurde und sich als berüchtigter Massenmörder einen Namen verschaffte, zog vor den Wahlen sogar seine Kandidatur zurück - obwohl er vom Wächterrat qualifiziert worden war. Er kritisierte den "Versuch der politischen Beseitigung" von Kandidaten, die sich auf Khomeini beriefen, und fragte, warum er bei den letzten Parlamentswahlen disqualifiziert worden sei, nun aber gewählt werden dürfe.

Der Sprecher des Wächterrates, Ayatollah Mohammad Kaschani, der auch die Kriterien für die Wahl der Kandidaten ausgearbeitet hatte, verteidigte indes das Vorgehen seiner Institution: Der Wächterrat habe nicht auf der Basis von Machtkämpfen entschieden. Relevant bei der Auswahl der Kandidaten sei deren religiöse Reputation, moralische Glaubwürdigkeit, soziale Einsicht und Verständnis von Fortschritt und Entwicklung im Rahmen der Gesetze der Islamischen Republik Iran gewesen. Eine reine religiöse Ausbildung reiche nicht aus, um politische Ämter, und dazu gehöre eben der Expertenrat, zu bekleiden.

Beim Wächterrat scheint dies anders zu sein: Die Hälfte der zwölf Mitglieder dieses Gremiums werden vom religiösen Führer des Landes bestimmt und müssen Geistliche sein. Das islamische Parlament wählt die andere Hälfte der Sittenwächter, die auch islamische Juristen sein können. In der Praxis wurden jedoch meist Geistliche gewählt.

Dieses System gegenseitiger Bestimmung, Ernennung und Wahl macht Sinn: Der Expertenrat wählt den geistigen Führer, der einen Teil des Wächterrates bestimmt, der wiederum die Kandidaten für den Expertenrat bestimmt. Zudem kann der Wächterrat auch Parlamentsmitglieder qualifizieren oder, indem er sie als ungeeignet bestimmt, nicht zur Wahl zulassen. Auch Präsidentschaftskandidaten müssen sich von ihm prüfen lassen. Die gegenseitige Beschränkung und Kontrolle relativiert somit auch die Richtungskämpfe innerhalb der Staatsführung. Während die Anhänger des religiösen Führers Ali Khamenei im Wächterrat nur Kandidaten zulassen, die auch Khamenei unterstützen, versucht Präsident Mohammad Khatami die Wahl zum Expertenrat propagandistisch zu nutzen: Zusammen mit dem ehemaligen Bürgermeister Teherans, Gholam Hossein Karbaschi, hatte er die Bevölkerung aufgerufen, die staatlichen Organe mit der Teilnahme an den Wahlen zu unterstützen.

Wie die iranische Zeitung Hamschahri berichtete, habe Khatami betont, die Herrschaft der Geistlichkeit stehe mit der Macht Gottes in direkter Verbindung. Daher seien die gewählten staatlichen Instanzen sowohl eine gesellschaftliche und politische als auch eine göttliche Instanz. Khatami habe jedoch auch darauf hingewiesen, daß der Wächterrat das Interesse der Wähler hätte steigern können, wenn mehr Kandidaten zur Wahl aufgestellt worden wären. Zudem müsse diese Institution offener gegenüber Kritik reagieren, denn die Jugend brauche Antworten auf ihre Fragen. Dennoch seien die aufgestellten Kandidaten "ehrenvolle" Menschen, die einem vielfältigen islamischen Spektrum angehörten.

Khatamis positiver Bezug auf den Expertenrat überdeckt, daß dieser Resultat eines historischen Coups der Mullahs ist. Das Gesetz zur Bildung des Rates wurde im Januar 1981 von Khomeini statt einer ursprünglich vorgesehenen und von der Bevölkerung zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung durchgesetzt. Khomeini schien seinerzeit zu befürchten, daß eine verfassungsgebende Versammlung dem System der Herrschaft der Geistlichkeit nicht zustimmen würde.

Am Sonntagabend zeichnete sich eine Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent der insgesamt etwa 30 Millionen Wahlberechtigten ab. In der Hauptstadt Teheran konnte der Khatami-treue Kandidat Ali Akbar Hashemi Rafsandschani die meisten Wählerstimmen für sich verbuchen und zog damit in den Rat ein. Auch der Justizminister Mohammad Jazdi und Ahmad Jannati, der bisherige Vorsitzende des Expertenrates, werden dem höchsten iranischen Gremium voraussichtlich erneut angehören.