Nachrichten vom Hetero

Tagesschau-Sprecher Jens Riewa als schwulen Moderator zu bezeichnen, kostet 15 000 Mark

Plötzlich war ich um 50 Riesen reicher. Nachdem mein Nachbarn verbreitet hatte, ich sei überhaupt nicht der freundliche schwule Mitbewohner, sondern hätte am Strand von Ibiza mit einer Frau auf demselben Handtuch gelegen, verklagte ich ihn. Und weil der Nachbar mir übel nachgeredet, meinen guten Ruf und mein homosexuelles Ansehen im Kiez geschädigt hatte, sprach mir das Gericht 50 Riesen Schmerzensgeld zu.

Sie meinen, ich spinne? - Richtig. Das Spiel funktioniert nur umgekehrt und auch das nur bei halbwegs Prominenten.

Als 1992 der Londoner Sunday Mirror Arnold Schwarzenegger als Schwulen beschrieb und der Filmstar vor Gericht zog, war ihm ein größeres Schmerzensgeld sicher. Ähnliches gelang "Magnum"-Darsteller Tom Selleck und einigen anderen Stars, die natürlich allesamt nichts gegen Schwule hatten. Offen schwul oder lesbisch zu sein - man denke an die lesbische US-Schauspielerin Ellen deGeneres, die trotz außerordentlicher Beliebtheit kaum noch seriöse Rollen bekommt, seit sie "out" ist - drückt eben zuweilen den Marktwert, während sich, ob berechtigt oder nicht, gegen solche Behauptungen zu wehren, wenigstens noch was einbringt.

Das ist in Deutschland nicht anders, nur die Beträge sind bislang noch geringer. So bekam vergangenen Freitag der Tagesschau-Sprecher Jens Riewa von der Zivilkammer des Hamburger Landgerichts 15 000 Mark Schmerzensgeld zugesprochen, weil Adam, ein im Frankfurter Foerster Verlag erscheinendes Schwulenblatt, ihn in der Februar-Nummer als "schwulen Moderator" bezeichnete und damit seine Persönlichkeitsrechte verletzt habe. Riewas Anwalt hatte ursprünglich 50 000 Mark gefordert. Auf dieselbe Summe hat Riewa auch den kleinen Berliner Quer-Verlag verklagt. Dieser hatte im Herbst 1997 das Lexikon "Out! 500 berühmte Lesben & Schwule" herausgebracht. Man sollte meinen, in eine Reihe gestellt zu werden mit Oscar Wilde, Derek Jarman, James Baldwin oder selbst, um in Riewas Metier zu bleiben, Alfred Biolek und dem verstorbenen Tagesschau-Kollegen Werner Veigel (in dessen Out-Personalie die inkriminierte Passage auftauchte), sollte für einen Nachrichtensprecher nicht ehrenrührig sein. Fehlanzeige.

Denn auch nach deutschem Recht ist die Behauptung, jemand sei homosexuell, noch immer "geeignet, die so bezeichnete Person verächtlich zu machen". So lautet die Auskunft des Bundesjustizministeriums 1992 auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung. Dabei berief man sich auf zwei Urteile: auf eines aus dem Jahr 1980, wonach die Behauptung, jemand sei homosexuell, als "ehrenrührig" gilt; und auf eines, das noch aus dem Kaiserreich stammt, und zwar vom 23. Mai 1908. Zwischen damals und der Zeit, als sich die Bundesregierung darauf berief, lagen immerhin ein paar Ereignisse, die jedoch an der grundsätzlichen Bewertung durch die Regierung nichts zu ändern vermochten: die Verschärfung des Schwulenparagraphen 175 StGB durch die Nazis (1935), der "Rosa Winkel", die Inhaftierung und Ermordung Tausender homosexueller Männer und Frauen sowie die Fortsetzung der Verfolgung unter Adenauer, die im Jahresdurchschnitt zu mehr Verurteilungen nach dem Paragraphen 175 führte als vor 1933.

Für solche NS-Opfer hatte die selbstbewußte Rechtsnachfolgerin des "Dritten Reichs" fünf Jahrzehnte lang keine Mark an "Schmerzensgeld" übrig, denn deren Verurteilungen seien, so die bis vor kurzem gültige bundesdeutsche Rechtsauffassung, keine Auswüchse typischen NS-Unrechts gewesen. Erst 1998, da kaum noch NS-Opfer leben, erkannte man sie auch amtlich an - freilich unter der Bedingung, die bis 1969 nach denselben Gesetzen, aber freiheitlich-demokratisch verurteilten Nachkriegsopfer von eben diesen "Schmerzensgeldern" auszunehmen.

Mehr noch als die Berufung auf das Reichsgerichts-Urteil von 1908 vermag dies die Kontinuität der moralisch-juristischen Werschätzung Homosexueller in Deutschland zu belegen. Darüber können weder die keineswegs ersatzlose Streichung des Paragraphen 175 im Jahre 1994 noch Bundesverdienstkreuze für staatstragende Schwule, noch die wohlfeilen Ankündigungen des rot-grünen Koalitionsvertrages zur Gleichstellung - besser wohl Gleichschaltung - homosexueller Paare hinwegtäuschen.

Fürs "Verächtlichmachen" ist Homosexualität weiterhin brauchbar, und in diesem Fall stehen selbst Regierende voll im Leben. Nicht ohne Grund halten sich selbst allgemein als schwul bekannte Ex-Bundesminister wie Noch-Generalsekretäre zurück mit allzu offenherzigen Bekenntnissen: Affären wie Engholm/Barschel oder Kießling/Wörner wirken lange nach.

Das ideologische System, das diese Skandale ermöglicht hat, prägt weiter den Umgang mit dem "Laster", selbst wenn die Tagesschau von Jahr zu Jahr freundlicher über CSD-Paraden berichtet oder man als Schwuler oder als Lesbe beim Fernsehen zu einigem Ruhm gelangen kann. Nur sollte man sich das richtige Genre aussuchen - Comedy oder Sitcom -, also nicht auf den öffentlich-rechtlichen Nachrichtengipfel streben. Denn wo es ums Seriöse geht, um die Glaubwürdigkeit einer Institution wie der Tagesschau, hört der Spaß auf.

Riewa, der einzige Ossi im Tagesschau-Team, ist noch im Aufstieg befindlich, noch warten höhere Aufgaben als diverse zu moderierende Schlagerparaden auf den 1963 in Lübbenau/Spreewald Geborenen. Da darf man sich keine Schnitzer erlauben, und das eben begründet den Riewa zugefügten "Schaden", der im wesentlichen ein Imageverlust ist.

Seine Kollegen Veigel und Wieben kamen gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit wohlweislich erst aus dem Schrank, als sie schon todkrank oder dem Ruhestand nahe waren; da wurde das schon nicht mehr ernst genommen, und speziell beim verschwiemelten Wieben würde man nun wirklich zu allerletzt an Sex denken. Riewa indes hat zumindest theoretisch noch das Potential zur Identifikationsfigur für die "Normalen", das Zeug zum jungen, im Beruf erfolgreichen, langsam Polster ansetzenden Familienvater. Projektionsfläche für die gesellschaftliche Norm zu sein, Riewas größtes Kapital, läßt der karrierebewußte TV-Mann sich nicht so leicht nehmen. Ob er tatsächlich schwul ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Das bigotte System funktioniert allerdings nur dank ebenso bigotter Protagonisten. Daß es anders geht, beweist mdr-aktuell-Sprecher Ronald Lässig. Der hätte die im mdr-Sendegebiet beliebte Super-Illu verklagen können, als sie meldete, er habe zu einem Empfang seinen neuen Lover mitgebracht. Hinter der Illu steht, im Gegensatz zu Querverlag oder Adam, ein Mediengigant. Da wäre einiges mehr zu holen gewesen. Das System Riewa, eine Etage höher, hätte es sich bestimmt geholt.