Altes Baby

Das Comic-Magazin Mad ist wiedergeboren, und RTL macht den Sitter

In einer Kleinstadt aufzuwachsen, bedeutet pausenlos hinterherzuhinken. Vor allem mit der Lektüre, denn kaum war man alt genug, sich für Bravo zu interessieren und hatte nach häuslichen Kämpfen die Eltern an Dr. Sommer gewöhnt, da lernte man auch schon Menschen kennen, die das Teenie-Blatt für unglaublich doof hielten und die darin verkaufte Musik für Kinderkram. So kam nach Bravo Sounds und nach Donald Duck Mad, denn schließlich wollte man mit diesen so unglaublich coolen Älteren etwas gemeinsam haben.

Die Coolen waren diejenigen, die ihre Lehre geschmissen hatten, weil sie sich nicht ausbeuten lassen wollten und statt dessen in Land-WGs wohnten, in extrem erfolglosen Bands spielten, die gewohnheitsmäßig in den Jugendzentren der Umgebung auftraten, oder seltsame Bilder malten und deswegen als geistige Elite der Kleinstadt galten. Und von den 13jährigen verehrt wurden.

Im Gegenzug brachten die Älteren dem Nachwuchs im Park das Kiffen und umfangreiches pharmakologischen Grundwissen bei - und Mad-Lesen. Denn Mad vereinigte alle Vorzüge, die man sich als verwirrter Anfangsteenie von einem Lesestoff nur wünschen konnte. 1. gefiel es Eltern in der Regel absolut nicht, 2. entlarvte es in schöner Regelmäßigkeit all die spießigen Angewohnheiten und Sprüche, mit denen man von der erwachsenen Umwelt terrorisiert wurde, 3. verstanden nur Eingeweihte den Alfred E. Neumann-Kult und 4. brachte Mad Kino-Kritiken in Comicform, so daß man nicht traurig war, daß man die angesagten Filme, in die man nicht hineindurfte, verpaßt hatte: War alles bloß Schrott, konnte man in Mad nachlesen.

In einer Kleinstadt aufzuwachsen, bedeutet jedoch auch, pausenlos auf Grenzen zu stoßen. Irgendwann auch an diejenigen, die von der örtlichen geistigen Kleinstadt-Elite vorgegeben wurden. Deren Do's und Don'ts waren genauso unumstößlich wie die der Spießer. Der Gemengelage aus Hasch, Jazzrock, UZ, Batik-T-Shirts und "Ey du, das find ich jetzt aber gar nicht gut, du" zu entkommen, war jedoch viel schwieriger, als Eltern an zerrissene Jeans und schlechte Schulnoten zu gewöhnen.

Bei der Suche nach Alternativen blieb Mad irgendwann auf der Strecke. Denn das immergleiche Schema war schlicht langweilig geworden - etwa die blöden Sprüche, mit denen Alfred E. Neumann die Leser verarschte, Dave Bergs Kurzcomics, in denen man, durch jahrelangen Konsum geübt, die Pointe schon vorausahnte ebenso wie beim traditionellen Faltbild auf der vorletzten Seite. Andere schienen dagegen aus dem "vernünftigsten Magazin der Welt" nicht herauszuwachsen. Die einst so verehrten, mittlerweile deutlich über Vierzigjährigen saßen, wie man bei gelegentlichen Besuchen in der Kleinstadt feststellen konnte, immer noch umgeben von Teenies und taten das, was sie immer getan hatten. Inklusive Mad-Lesen.

Als vor gut dreieinhalb Jahren die deutschsprachige Ausgabe von Mad eingestellt wurde, da merkten dies allerdings wohl nur noch diese Hardcore-Fans, immerhin war die Auflage von über 200 000 auf 20 000 geschrumpft. Das Heft vermißten wohl nur die wenigsten, denn es gab weder lange Nachrufe noch Proteste erboster Leser, Mad gab es einfach nicht mehr - und fertig.

Obwohl ganz offensichtlich kein dringendes Bedürfnis vorhanden war, kam das Heft im Oktober wieder. Dem Dino-Verlag aus Leinfelden-Echterdingen war vom US-amerikanischen Mad-Verlag zuvor schon mehrmals angeboten worden, das deutschsprachige Mad herauszugeben. Zunächst sah man dafür jedoch keine Basis, erst als der Fernsehsender RTL im Sommer Mad-TV startete, ging man auf das New Yorker Angebot ein. "Wir sind von RTL nicht abhängig", erklärt Volker Lauster, Produktmanager bei Dino, "wir kooperieren nur miteinander. Wir adaptieren Fernseh-Sendungen für den Comicbereich, aber das werden nicht nur, wie im ersten Heft, RTL-Produktionen sein. Im nächsten wird die Pro 7-Serie 'Al Bundy' dran sein."

Lauster ist überzeugt davon, daß Mad ein Erfolg wird, nicht zuletzt, weil auf RTL auch für das Heft geworben wird. Der ehemalige Leser ("Natürlich habe ich früher auch Mad gelesen, es hat meine Jugend mitgeprägt, ich bin von Mad sozialisiert worden") erklärt jedoch auch, daß sich einiges ändern mußte, denn alte Fans werden ihr Mad nicht unbedingt sofort wiedererkennen. "Wir dürfen als einzige Mad-Ausgabe farbig sein."

Mad, bis auf die Umschlagseiten früher schwarzweiß, erscheint nur in Deutschland farbig. Und mit Anzeigen: "Wir leben Ende der Neunziger, ohne Werbung wäre das Heft nicht machbar, die Kosten wären nicht aufzufangen. Immerhin drucken wir jetzt auch auf besserem Papier als früher. Die Reaktionen sind durchweg positiv, vor allem die amerikanischen Zeichner und die jungen Fans sind begeistert. Für die alten Fans ist es allerdings schwierig, plötzlich farbig zu sehen."

Man rechnet mit hohen Verkaufszahlen, 200 000 Exemplare wurden vom ersten Heft, dem keine Nullnummer vorausging, gedruckt. Herbert Feuerstein, der frühere Mad-Herausgeber, konnte allerdings nicht zur Mitarbeit gewonnen werden. "Er sagte, er habe keine Lust, mit einem 2o Jahre alten Baby zu arbeiten", so Lauster. Vielleicht ist Feuerstein inzwischen auch von Mad gelangweilt. Denn außer den farbigen Seiten hat sich im Heft nicht viel geändert - lediglich die neue, unglaublich blutrünstige Kurzserie "Der maskierte Mountie und sein treuer Hund Bisskwitt" fällt auf.

Der Rest dagegen ist bekannt: "Rotzilla" heißt die Persiflage auf den Kinofilm "Godzilla", die genauso vorhersehbar ist wie man die Abteilung Film-Comics in Erinnerung hat; Dave Bergs Kurzcomics enden immer noch mit Pointen, die langweilig und absehbar sind: "Lehrerin: 'George Washington war unser erster Präsident. Er war berühmt dafür, niemals zu lügen!' Schüler: 'Und wie hat er es geschafft, gewählt zu werden?' Und das Faltbild auf der vorletzten Seite muß man nicht extra knicken, um herauszufinden, welchen Witz es enthält.

Das könnte noch angehen, denn mehr als Mad kann man auch von einer neu gestarteten Mad-Ausgabe nicht mehr erwarten. Unerträglich wird es jedoch im Mittelteil, wo tv-Mad mit RTL-Logo sich breitmacht. Dort gibt es eine News-Seite, von Bildern der RTL-Samstag Nacht-Crew verziert, die den schlechtesten Clinton-Witz der Welt und allerhand anderes unlustiges Zeugs enthält, eine Doppelseite über Verona Feldbusch ("Sie zeigt sich ungern von hinten, denn dann könnte man den Schlüssel zum Aufziehen sehen") und eine schlecht gezeichnete Persiflage der Talkshow "T.V. Kaiser", die so unglaublich mies ist, daß man sie einfach nicht zu Ende lesen mag.

Aber vielleicht wird Mad trotzdem wieder ein Erfolg. Da draußen sind immerhin jede Menge Nostalgiker unterwegs.