Die Quote, sonst gibt's Tote

Was nützen Gleichstellungsregelungen, wenn nicht mal Frauen sie wahrnehmen?

Als Feministinnen die Quotenregelung durchsetzten, taten sie dies natürlich in der utopischen Hoffnung, daß sie die Quotierten sein würden. Als dann immer deutlicher wurde, daß nicht sie, sondern weniger gefährliche Frauen die Jobs bekamen, übten sich die Feministinnen in solidarischer Zurückhaltung, denn es waren ja nun doch immerhin Frauen, die mehr und mehr in Männerdomänen Einzug hielten. Das, so zeigt sich an der neuen Regierung, war ein Fehler.

Fünf von 15 Ministerposten - das erfüllt weder die von der SPD beschlossene 40prozentige Frauenquote, noch gar die der Bündnis-Grünen von 50 Prozent. Die Ursache für dieses Desaster - der Mittelbau hat ganz doll viele Frauen aufzuweisen und es gibt eine noch nie dagewesene Rekordzahl an Ministerinnen -, dieses Desaster hat damit zu tun, daß 109 Frauen der SPD-Fraktion und 27 Frauen der Bündnis-Grünen - die die Mehrheit der Fraktion bilden - es nicht für nötig hielten, sich und die feministische Arbeit der letzten 30 Jahre ernst zu nehmen.

Denn wem zum Teufel haben sie es denn zu verdanken, daß sie dort gelandet sind? Ihrer Fachkompetenz? Lächerlich! Die hatten Frauen schon, als sie bloß eine klägliche Minderheit im Bundestag bildeten. Dem Wohlwollen der Männer, die freiwillig ihre Posten räumten?! Nein, diese Frauen sind im neuen Bundestag deshalb so zahlreich vertreten, weil es Frauen gab und gibt, die dafür gekämpft haben. Ohne die feministische Bewegung wären sie nicht da, wo sie sind.

Geradezu schmerzhaft peinlich war das Auftreten von Politikerinnen in Talkshows, z.B. bei "Sabine Christiansen", weil die Argumente zeigten, daß die Frage um den quotierten Frauenanteil nicht mehr als politische Position besprochen wird. Die Entscheidung für ein Amt wurde als Privatangelegenheit diskutiert, als hätte Christel Hanewinckel nicht dem Druck aus der Partei nachgeben müssen, als wäre nicht immer nur Rezzo Schlauch als Fraktionssprecher

in den Medien, nicht aber die - so heißt es doch - gleichberechtigte Kerstin Müller.

Wo kommen wir denn da hin, wenn wir uns bei Profipolitikerinnen, die sich ihren Job freiwillig ausgesucht haben, nicht mehr sicher sein können, daß sie ihre Arbeit erledigen? Das wäre ja so, als würde eine Sekretärin, ganz aus privaten Gründen, beschließen, daß die notwendigen Unterlagen für die Sitzung am nächsten Tag eben nicht vorliegen - pöh! Die Überlegung, ein Regierungsamt zu übernehmen, hat zweifelsohne private Konsequenzen, die bedacht sein müssen, aber sie ist doch grundsätzlich keine private, sondern eine politische Entscheidung.

Das, was sich die Frauen von der SPD und den Bündnis-Grünen da geleistet haben, hat Folgen für die Zukunft von weit mehr als nur 136 Frauen. Matthias Matussek schreibt im Spiegel den kleinen, brandgefährlichen Satz: "Die Quotenfrau ist erledigt" und meint damit, sie hat sich erledigt. Noch aber kämpfen Frauen in Betrieben und öffentlichen Institutionen darum, überhaupt mal so viele zu werden, daß sie an Einfluß gewinnen, und da liegt die Quote erfahrungsgemäß bei mindestens 30 Prozent. Der Kampf dieser Frauen wird durch die grandiose - was war es? - Überheblichkeit? Dummheit? der SPD - und Bündnis-Grünen-Frauen nachhaltig und empfindlich geschwächt.

Und mehr noch. Daß die neue Männerriege nun den Frauen eine lange Nase zeigen kann, hat ebenso Folgen für die Zukunft. Jürgen Trittin und Joseph Fischer, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder beweisen, daß wir es mit völlig neu organisierten Männerbündeleien zu tun bekommen werden, die ihre eigene Lehre aus 30 Jahren feministischer Bewegung gezogen haben. Es werden die West-Männer der Nachkriegsgeneration sein, die nun endlich bereit sind, ihren Vätern zu zeigen, daß sie es besser können, und in diesem Generationenkampf werden Frauen vertröstet oder ihrem Frauenkram überlassen, und Ostler sind nicht gefragt.

Da klingt es wie ein kläglicher Ruf aus früheren Zeiten, wenn Renate Künast fordert: "Wir müssen Netzwerke bilden" und Alice Schwarzer feststellt: "Frauen haben Probleme mit der Macht." Beides sind 20 Jahre alte Erkenntnisse, die künftig nicht mehr ausreichen werden.

In der Tat muß die Quotenfrage neu diskutiert werden, radikaler und perspektivischer, weil sich an ihrer Durchsetzung zeigen wird, ob es in Deutschland jemals eine ernstzunehmende Lobbypolitik einerseits für politische Ansprüche und Forderungen und andererseits für Interessengruppen geben wird. Frauen sind der größte Interessenverband. Können nicht mal sie die Quotierung durchsetzen, werden es andere zukünftig ungleich schwerer haben.

Dann wird sich entscheiden, ob die Staatsbürgerschaft für AusländerInnen der dritten Generation bloß taktisch mit Blick auf Wahlbeteiligungen bleibt, oder ein lebendiges Einflußmittel wird, ob Afro-Deutsche, Juden und Jüdinnen, iranische und andere EmigrantInnen, Lesben und Schwule ihre Interessen wirkungsvoll zur alltagspolitischen Sache machen können.

Diese politische Dimension, nämlich zu begreifen, daß Deutschland nicht nur aus deutschen Männern und einer zahlenmäßig großen Frauenlobby besteht, sondern aus diversen Bevölkerungsgruppen, die von Rechts wegen in allen öffentlichen Einrichtungen Präsenz, Sitz und Stimme verlangen können, diese politische Dimension ist bei der zusehends nurmehr biologistischen Debatte, ob wir einen männlichen oder weiblichen Bundespräsidenten bekommen, verloren gegangen.

Es reicht mitnichten, daß Männer vor laufender Kamera sagen, sie könnten sich Frauen auf allen Hierachie-Ebenen vorstellen. Das heißt noch nichts und zieht auch nichts nach sich. Die Frauenquote aber war und ist ein politisches Mittel, um gesellschaftliche Veränderungen durchzufechten, und diese Arbeit ist noch lange nicht erledigt, nur weil Deutschland jetzt einen grünen Außenminister und einen ehemaligen RAF-Anwalt als Innenminister hat.