Mika statt Michel

Weltmeister in der Formel 1 ist, entgegen offiziellen Wünschen, Mika Häkkinen

Der Mann hat gelernt. So offensichtlich, daß es schon peinlich wirkt: Der neue Formel 1-Weltmeister Mika Häkkinen war am letzten Wochenende nach dem finalen Saisonrennen in Suzuka noch nicht aus seinem Auto ausgestiegen, als Michael Schumacher ihm schon demonstrativ lächelnd seine Glückwünsche aufdrängte. Dabei wissen Rennsport-Insider schon lange, daß Schumacher Häkkinen absolut nicht ausstehen kann - und vice versa. Vor Jahren hatte der Finne in der Formel 3 den Kerpener einmal besiegt, im nächsten Rennen wurde er von ihm daraufhin prompt von der Strecke gedrängt.

Diesmal hatte Schumacher jedoch viel Zeit, sich an die Niederlage zu gewöhnen: Das Rennen um den diesjährigen Großen Preis von Japan hatte für Schumacher auf die denkbar schlechteste Weise begonnen, denn beim zweiten Startversuch würgte er den Motor ab und mußte als Letzter in den Wettbewerb gehen. Das war zunächst kein besonderes Problem, denn das Gros der vor ihm Liegenden fuhr einfach viel langsamere Autos als er, so daß Schumacher schnell vierzehn Plätze gutmachen konnte. Dann aber waren mit Hill und Villeneuve gleich zwei Kollegen vor ihm, die er in den letzten Jahren schlecht behandelt hatte und die ihn nun einfach nicht vorbeiließen.

Während die RTL-Reporter noch begeistert die "unglaubliche Aufholjagd von Michael" feierten, erklärten britische Rundfunkreporter detailliert die Unsinnigkeit seiner Fahrweise: "Das kann nicht gutgehen, er fährt am Limit, macht jedoch keine Zeit gut. Damit vergeudet er nur Material." Schließlich war das Rennen für Schumacher dann aufgrund eines geplatzten Reifens vorzeitig vorbei.

Bruder Ralf hatte schon vorher eine formvollendete Dolchstoßlegende formuliert: "Anscheinend scheint der Haß gegen Michael so groß zu sein", bemerkte er zu dem Umstand, daß Damon Hill ihn nicht hatte vorbeilassen wollen, "das ist ein Trauerzeugnis." Diese Vorlage wurde vom Vizeweltmeister jedoch zunächst nicht aufgenommen. "Er ist Rennfahrer, er muß keinen Platz machen", erklärte Michael Schumacher nach Rennende mit ungewohnter Einsichtigkeit das Verhalten seines Intimfeindes, um dann doch noch, auf den Titelgewinn Häkkinens angesprochen, beinahe wieder zur alten Form aufzulaufen: "Er hat offensichtlich zu Recht gewonnen", sagte er so süffisant, daß nicht zu überhören war, was er dachte: "Er hat mir den Titel weggenommen und ihr scheint ja eher alle zu ihm zu halten, aber ich weiß, daß ihr unrecht habt und sag deswegen nichts mehr dazu."

Denn Michael Schumacher ist vor allem eins: äußerst ehrgeizig. Das könnte ja noch angehen, aber Ehrgeiz gepaart mit Nicht-verlieren-Können machte ihn in der Vergangenheit vollends unerträglich. Während sich seine absolute Unfähigkeit, mit Niederlagen fertig zu werden, an besseren Tagen nur in der Art zeigte, in der er als Zweit- oder Drittplazierter gequält lächelnd auf dem Siegerpodest herumsteht, war sie an schlechten Tagen, und da gab es schon einige, selbst für Fans nur schwer nachzuvollziehen. Denn Fehler zuzugeben war in seinem Programm nicht vorgesehen. Als er z.B. beim letzten Rennen der Saison 1996/97 Villeneuve abzuschießen versuchte (und sich dadurch selbst um den Titel brachte), dauerte es mehrere Tage, bis er sich zu einer Entschuldigung durchrang, der dann obendrein noch deutlich anzumerken war, daß sie in Wirklichkeit gar nicht so gemeint war.

Um den Titel zu gewinnen, ist Schumacher oft jedes Mittel recht gewesen - 1994 fuhr er z.B. seinem Rivalen Damon Hill WM-entscheidend gezielt in die Seite. Daß er in der diesjährigen Saison überhaupt die Chance hatte, bis zuletzt um die Weltmeisterschaft zu kämpfen, verdankt er weniger seinem Können, als der obersten Rennsportbehörde Fia, die auch aus Marketinggründen endlich einen Ferrari-fahrenden Weltmeister braucht. Bei korrekter Regelauslegung wäre Häkkinen schon lange vor dem Abschluß-Rennen in Japan Weltmeister geworden. Von der Fia begünstigt, war Schumacher in dieser Saison jedoch mit Aktionen durchgekommen, die für andere Fahrer die Disqualifikation nach sich gezogen hätten.

Eine riskante Ausfahrt Schumachers aus der Box während des Grand Prix von Kanada, bei dem er ganz zufällig seinen Rivalen Heinz-Harald Frentzen von der Strecke drängelte, blieb z.B. ohne Strafe. Dabei hatte selbst der Motorsport-Experte von RTL, Christian Danner, hinterher erklärt: "Die Aktion mit Frentzen hat mir nicht gefallen. Mag sein, daß er Frentzen nicht gesehen hat, wie er sagt, doch er weiß genau, er hätte ihn sehen sollen." Schumacher reagierte wie immer in solchen Situationen, er gab zunächst die ob der Vorwürfe überraschte Unschuld und konterte mit Gegenvorwürfen, um sich später, nach vermutlich massivem Druck seines Managements, zu entschuldigen.

Am deutlichsten zeigte sich die Parteilichkeit der Fia im Sommer beim Rennen in Silverstone: Michael Schumacher war während einer Pace-Car-Phase, in der jegliches Überholen streng verboten ist, an Giancarlo Fisichella vorbeigezogen. Das führt, laut dem Fia-Reglement, eigentlich zu einer in der Box abzustehenden mindestens zehnsekündigen Zeitstrafe, von der jedoch kurz vor Schluß eines Rennens auch abgesehen werden kann, dann wird die Strafzeit einfach zum Rennergebnis addiert. Für den zu diesem Zeitpunkt vor Häkkinen in Führung liegenden Schumacher hätte dies den zweiten Platz bedeutet, wohl deswegen griff die Fia zu einem Trick: Sie verkündete die Strafe, entgegen ihren eigenen Regeln, einfach viel zu spät, so daß Schumacher erst in der letzten Runde in die Box fuhr, seine Strafe in der Boxengasse absaß und, sich so eine Boxenausfahrt sparend, vor Mika Häkkinen gewann.

"Schumacher hat sein Rennen nicht ordnungsgemäß beendet. Er kam nicht durchs Ziel. Und es kann nicht angehen, daß der eine Fahrer ein Ziel ansteuert und der nächste ein anderes", schrieb der ehemalige Formel 1-Weltmeister Keke Rosberg in der Welt. Es gebe, so Rosberg weiter, in diesem Fall nur zwei gerechte Entscheidungen der Fia: Entweder müsse sie das Rennen annullieren oder Schumacher disqualifizieren. Die Fia wies wenig später den Protest von Häkkinens Rennstall McLaren als unbegründet ab.

Schumacher äußerte sich damals nicht weiter zu dem Vorfall, sein Manager Willi Weber hatte wohl dazugelernt. Denn wann immer sein Fahrer nicht über Rundenzeiten oder die eigene Unschuld redete, dann kann man sich darauf verlassen, daß mindestens Blödsinn dabei herauskam. Als z.B. Anfang April 1996 anläßlich des Grand Prix von Spa eine obskure belgische Tageszeitung mit der Schlagzeile "PKK - Morddrohungen gegen Schumacher" erschien - ein Quatsch, den niemand außer RTL weiter ernst nahm - erklärte Schumacher sofort, daß er einen ausländischen Masseur habe, der "ein ganz lieber Mensch" sei. Schon im nächsten Satz nahm er dann gleich alle in der BRD beheimateten Nicht-Deutschen vorsorglich in moralische Sippenhaft, indem er ankündigte, daß "alle Ausländer jetzt für ein paar Verwirrte büßen müssen".

Zwei Jahre später äußerte er sich über die Hooligans, die den französischen Gendarmen Nivel ins Koma geprügelt hatten, in bester Stammtisch-Manier: "Ich weiß nicht, ob man die auch Menschen nennen darf - also bei einem Tier geht man hin und schläfert es ein", erklärte er in einem später wie üblich heftig bedauerten Statement.

Aber wahrscheinlich wird Michael Schumacher auch dafür noch von seinen Anhängern geliebt, denn schließlich "spricht er aus, was andere denken" (ein Fan). Seine, so Schumacher im Gespräch mit RTL, "Supporter, äh, mir fällt jetzt das deutsche Wort nicht ein", RTL: "Fans", Schumacher: "Ja, genau, Fans", mögen wohl seine Art, immer recht zu haben, und auch, daß für ihn viel Geld zu verdienen nicht automatisch bedeutet, daß man nicht immer noch Mittel und Wege findet, noch mehr Geld zu verdienen.

Auf diesem Niveau bewegt sich die gesamte Familie Schumacher: Als Michael und Jacques Villeneuve im letzten Jahr Versöhnung feierten, wurden sie von Corinna ausführlich dabei fotografiert. Die Schnappschüsse landeten schließlich, teuer bezahlt, bei einer Illustrierten. Mit solcher kleinbürgerlichen Raffke-Mentalität hatte Villeneuve nicht gerechnet, er sei davon ausgegangen, daß die Fotos privat seien, erklärte er später, im übrigen könne er sich nicht vorstellen, daß eine Millionärsfamilie auf Kinkerlitzchen wie das Illustrierten-Honorar nicht verzichten könne.

Der neue Formel 1-Weltmeister kann mit solchen Geschichten wohl wenig anfangen, immerhin hat er im Verlauf seiner siebenjährigen Karriere noch keinen einzigen Skandal verursacht. "Mika ist ein feiner Mensch und hinterläßt weniger Flurschaden als Schumacher", erklärte Keke Rosberg schon vor einigen Monaten, Häkkinen selbst sagte über den Rennsport einmal, es sei "manchmal besser, zur Seite zu schauen und das eigentliche Leben zu betrachten".