Schindlers Kiste

Steven Spielberg stimmt die von der Denkmal-Debatte zermürbten Deutschen heiter.

Peter Schneider, Frontmann der "Sarajewo-Brigade" und Autor des Betroffenheits- und Identifikationsbuches "Vati", in dem es um die Schicksale von Naziverbrecherkindern geht, ist immer dabei, wenn deutsche Tabus gebrochen werden. "Eine lebendige Art der Vergegenwärtigung" sieht er im vielgelobten Vorschlag des Staatsministers für Kultur, Michael Naumann, statt eines Holocaust-Mahnmals für Steven Spielbergs Shoah-Stiftung ein Haus zu bauen. "Wir haben bei diesem Vorschlag mit lebenden Menschen, mit einzelnen Schicksalen und Personen zu tun, nicht nur mit einer großen Zahl von Toten." (Tagesspiegel)

Der Gründer der Shoah-Stiftung ist Träger des deutschen Verdienstordens mit Stern und Produzent eines Filmes, in dem dank deutscher Täter nicht gestorben, sondern überlebt wird: "Schindlers Liste". Die Stiftung dokumentiert die Erinnerungen nicht einer großen Zahl von Toten, sondern einer großen Zahl von lebenden Menschen. Immerhin 48 200 solcher Schicksale sind schon beieinander - jedes von ihnen erfreulicher als die jener sechs Millionen, mit denen man keine Interviews führen kann.

Naumanns Idee macht sich den intellektuellen Crash eines Regisseurs zunutze, der nicht nur dauernd die albernsten Märchen mit der blödesten Moral verfilmt, sondern genauso denkt. Zwar kann man Auschwitz nicht verfilmen, weil keine "einzelnen Schicksale" darin vorkommen und die Schufte Mord als Fließbandarbeit betreiben, aber als Hintergrund für eine Schnulze mit echten Schicksalen und einem bekehrten deutschen Täter, der ein Hintertürchen kennt, durch das man an den Gaskammern vorbei in die Freiheit kommt, eignet sich auch ein Vernichtungslager.

Als die Deutschen Spielbergs unfreiwillige Entlastungslüge für sich entdeckten, verwandelten sie sich ins Kollektiv der "Schindler-Deutschen" (Joachim Bruhn) und hängten dem dummen Mann aus Hollywood ihren höchsten Orden um.

Weil jede mit dem Namen Spielberg verbundene Dokumentation von Überlebenden-Schicksalen an den Schindler-Plot erinnern muß, stimmt Naumanns Vorschlag die von der Denkmaldebatte zermürbten Deutschen so heiter. Wie versöhnlich nimmt sich die Vorstellung eines Begegnungszentrums in gepflegtem Park aus, wo die Kids ihre Computerkenntnisse ausprobieren dürfen und alte Leute herbeizappen, die davon reden, wie sie davongekommen sind und kaum darüber, was sie erwartete. Ein kleines Videomuseum, das der Berliner Volksmund vielleicht liebevoll "Schindlers Kiste" nennen wird, ist der perfekte Ersatz für eine Zumutung, die ein anderer ausländischer Jude mit höchster Protektion den Deutschen in den Vorgarten pflanzen wollte, Richard Eisenmans Holocaust-Mahnmal.

Eisenmans Mahnmal wäre ein Anschlag auf die "lebendige Art der Vergegenwärtigung" gewesen, weil es allein die Vergegenwärtigung des Massenmords ausgelöst und die Frage nach den Tätern provoziert hätte. Dieser stilisierte Friedhof ohne Namen und kulturalistische Beigaben ist den Deutschen in den Worten ihres Lieblingsdichters Martin Walser "die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Albtraum".

Im Gegensatz zum Schindler-Museum wäre Eisenmanns Vorschlag ein Denkmal im traditionell autoritären Sinn. Für immer wäre festgeschrieben gewesen - unübersehbar in unmittelbarer Nachbarschaft zum deutschen Nationalmal par excellence, dem Brandenburger Tor -, daß in dieser Hauptstadt das größte Verbrechen geplant und organisiert wurde. In Eisenmans grauer Steinwüste wäre versinnbildlicht, daß nicht lauter Schindler-Juden mit "persönlichem Schicksal" dem Gas entronnen sind, sondern umgekehrt eine deutsche Vernichtungsmaschine jedes Persönlichkeitsmerkmal schon ausgelöscht hatte, bevor sie ihren Opfern das Leben nahm, mithin sich persönliche Schicksale im Plan, die Juden ausnahmslos zu vernichten, verloren hat.

Für alle, die wie Walser bis 1989 das Ihre dazu beitrugen, "die Wunde Deutschland offenzuhalten", gilt inzwischen der Leitspruch des unglücklichen Erich Honeckers "vorwärts immer, rückwärts nimmer", der sich zur Parole der Berliner Republik gemausert hat. Eisenmans Denkmalentwurf erinnert die Deutschen mit Schaudern, daß sie von übelnehmerischen Siegermächten 40 Jahre lang dazu gezwungen worden waren, die Litanei der Schuld runterzubeten und daß mit der "Wunde Deutschland" nicht einfach ein Klagelied über die verweigerte Gesamtstaatlichkeit

und die eingeschränkte Souveränität gemeint sein durfte, sondern immer auch Auschwitz. Vor lauter aufgezwungenem Erinnern war man nie dazu gekommen, ein ganz normales Land zu sein wie man heute noch sagt, weil das mit dem "wieder stolz sein dürfen, ein Deutscher zu sein" sich noch nicht ganz gehört.

Die Liquidierung auch nur der Idee eines Holocaust-Mahnmals ist die erste Tat der neuen Koalition. Und Ignatz Bubis, der den Chefideologen dieser Liquidierung, Martin Walser, völlig zu Recht einen Brandstifter genannt hatte, der erste Verlierer. Der Weg führt von Walsers Verteidigung der Gewissensfreiheit aller Deutschen, nicht an den Holocaust erinnert zu werden, zu Naumanns Schindler-Museum. Dazwischen liegt Bubis' einsamer Protest, den Walser prompt als "das Heraustreten aus dem Dialog zwischen Menschen" abgekanzelt hatte. Den vorläufigen Abschluß bildet eine Sau, die letzten Donnerstag über den Alexanderplatz getrieben wurde und auf deren Rücken ein Davidstern und der Name Bubis aufgemalt war.

Eine ausführliche Fassung erscheint unter dem Titel "Täter und nicht Opfer sein" in Bahamas Nr. 27