Versöhnung mit Apartheid

Die südafrikanische Wahrheitskommission hat ihren Abschlußbericht vorgelegt

Ja, wie denn nun? Geht es um "Einheit und Aussöhnung" oder eher um "Gesten der Versöhnung" bzw. doch ganz anders um "Versöhnung und Bildung unserer Nation"? Was sich hier wie eine gesamtdeutsche Debatte zwischen Roman Herzog, Wolfgang Thierse und Rita Süssmuth acht Jahre nach der Einheit anhört, vermögen aber auch andere zu diskutieren.

Am Donnerstag vergangener Woche hat die Südafrikanische Kommission für Wahrheit und Versöhnung (TRC), kurz Wahrheitskommission, ihren Abschlußbericht an Präsident Nelson Mandela übergeben. Die ersten beiden Zitate stammen vom Vorsitzenden der Kommission, Erzbischof Desmond Tutu, der bereits die Übergabe als "Akt der Aussöhnung" darzustellen versuchte. Das letzte von Nelson Mandela, der den Bericht als Hilfe der Kommission für ganz Südafrika verstehen wollte.

Die Hauptaussage des TRC-Berichtes lautet kurz und treffend: Der Apartheidstaat "war in der Zeit von 1960 bis 1994" - dem Untersuchungszeitraum der Kommission, denn die mehr als hundertjährige rassistische Herrschaft verschiedener Buren-Clans war von vornherein ausgeblendet worden - "der Hauptverantwortliche für schwere Menschenrechtsverletzungen"; das System der Apartheid sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gewesen.

Als politische Funktionäre dieses "Staates des Terrors" werden in erster Linie der frühere Staatspräsident Pieter Willem Botha, der ehemalige Verteidigungsminister Magnus Malan, Ex-Armeechef Constand Viljoen und der ehemaligen Polizeichef Johan van der Merwe namentlich benannt. Der Führer der völkisch-nazistischen Burenorganisation "Afrikaner Weerstandsbeweging", Eugene TerreBlanche, habe die staatliche Repression durch "systematische Terrorakte" quasi außerinstitutionell unterstützt und sei dabei von Armee-, Polizei- und Geheimdienstkräften gedeckt worden.

Botha, der sich stets geweigert hatte, vor der Wahrheitskommission auszusagen, und dafür mittlerweile zu einer Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt wurde, wird indirekt für zahlreiche Folterungen, Entführungen und Morde verantwortlich gemacht. Er und andere Mitglieder der Staatsführung hätten "vorhersehen können, daß die nachgewiesene Verwendung von Begriffen wie 'auslöschen', 'ausradieren' und 'eliminieren' zur Ermordung politischer Gegner führen würde", heißt es im TRC-Bericht.

Auf jeden Fall stehe fest, daß Botha in den achtziger Jahren Bombenattentate auf die Hauptquartiere des Südafrikanischen Kirchenrates, wo die Staatsführung ein geheimes Büro des African National Congress (ANC) vermutete, und des Gewerkschaftsdachverbandes persönlich in Auftrag gegeben habe.

Schwere Vorwürfe werden aber auch gegen den ANC und dessen Bündnispartner erhoben. Zwar sei der Kampf gegen das Apartheidsregime - und somit auch der des ANC - "generell legitim" gewesen. Doch seien insbesondere Sicherheitskräfte des ANC, des Pan-Afrikanischen Kongresses und der mittlerweile aufgelösten Befreiungsbewegung Vereinigte Demokratische Front (UDF) für die Tötung, Folterung und Entführung von "Kollaborateuren", Überläufern oder solchen Personen, die für Dissidenten gehalten wurden, verantwortlich.

Auch habe die "Speer der Nation" genannte Sicherheitsabteilung des ANC insgesamt mehr Zivilisten als staatliche Sicherheitskräfte getötet, führt der Bericht weiterhin aus. Der ANC solle sich deswegen heute bei seinen Opfern entschuldigen, forderte Tutu. Der künftige Nachfolger Mandelas als Staatspräsident und heutige ANC-Chef Thabo Mbeki kritisierte dies am Wochenende in der Johannesburger Tageszeitung The Star als "skurrile Versuche, den heroischen Befreiungskampf zu kriminalisieren".

Ein Teil der ANC-Parteiführung hatte bis zuletzt das Erscheinen des 3 500-Seiten-Berichts durch einen gerichtlichem Eilantrag zu verhindern versucht. Dabei war man dem Beispiel des letzten weißen Präsidenten des Landes, Frederik de Klerk, gefolgt. Der konnte - juristisch legitimiert - die vorläufige Nichtveröffentlichung aller Passagen, in denen sein Name genannt wurde, veranlassen. Ein vollständiges Kapitel, das die Rolle de Klerks als Mitwisser bei zwei Bombenanschlägen der Geheimpolizei zum Thema hat, wird nur erscheinen können, wenn das höchste Gericht Südafrikas die Einstweilige Verfügung wieder kassieren sollte. Dann könnten auch andere Kapitel mit Bezug auf de Klerk ohne seitenlange Schwärzungen veröffentlicht werden. Der Eilantrag des ANC hingegen wurde von einem Gericht in Kapstadt abgelehnt.

Der nun vorgelegte Abschlußbericht der seit 1996 arbeitenden Kommission ist eigentlich kein Abschluß. Im kommenden Jahr soll ein weiterer Report zu möglichen Amnestierungen folgen. Bislang haben rund 7 000 Südafrikaner um Amnestie nachgesucht. Nur ein Viertel davon waren Angehörige des Regimes. Straffreiheit wurde in 125 Fällen zugesichert. Alle, die sich bis zur vergangenen Woche nicht um Amnestie bemüht hätten, sollten - wenn es nach dem Wunsch Tutus geht - nun vor Gericht gestellt werden.

Als weitere wichtige Forderung der TRC benannte Tutu in der Tageszeitung Electronic Mail and Guardian die Einführung einer "Apartheidssteuer". So solle einerseits die noch aus der Apartheids-Ära stammende, ungleiche Verteilung des Wohlstandes geändert werden. Zum anderen könnten, wenn auch nur ein Prozent aller Erträge aus Handel und Wirtschaft als Extra-Steuer abgeführt würde, zahlreiche der vom TRC anerkannten 30 000 Opfer des Apartheidsregimes staatlich unterstützt werden. Bisher erhalten lediglich 800 Menschen Entschädigungszahlungen zwischen 2 000 und 6 000 Rand (55o bis 1 700 Mark). Sprecher verschiedener Unternehmerverbände lehnten den Vorschlag Tutus jedoch umgehend als "undurchführbar" ab.

Kritik an der TRC wurde aber auch von anderer Seite formuliert. Der Electronic Mail and Guardian kritisierte am Wochende die im Bericht stellenweise vorgenommene Gleichsetzung von Regime und Befreiungsbewegung: "Wir wollten der Welt und uns selbst zeigen, daß wir unsere gewalttätige und unmenschliche Vergangenheit bewältigen können, ihr ins Gesicht sehen, sie anerkennen und uns von ihr fortbewegen. Stattdessen haben wir uns lächerlich gemacht."

Zahlreiche Opfer des Apartheidsregimes erkennen die Arbeit der Wahrheitskommission ohnehin nicht an. Diese fordere "Versöhnung mit den Tätern", sehe "Amnestie für Mörder und Folterer" vor und vermische "systematisch Täter und Opfer", so der Tenor einer Internet-Diskussion, die vor einem halben Jahr von der Tageszeitung Johannesburg Star organisiert wurde.

In vielen deutschen Tageszeitungen hingegen wurde der Bericht und die neuerliche Versöhnungsofferte als "Sieg für die Wahrheit und die Menschenrechte" abgefeiert: "Die Idee der Kommission Versöhnung durch Wahrheitsfindung, Heilung der Gesellschaft durch Bekenntnis, Reue und Vergebung war stets ein zutiefst religiöses und politisches Anliegen", erklärte beispielsweise die Berliner Zeitung. "Auf die Wahrheit muß die Versöhnung folgen", forderte die taz, "Versöhnung statt Siegerjustiz", lautete am vergangenen Freitag die Überschrift eines Kommentars der FAZ. Und die ist, wenn es um "Siegerjustiz" geht, ja nicht ganz unerfahren.