Arnoldo und Mitch

Nachdem der nicaraguanische Präsident Alem‡n zunächst den Hurrikan verharmloste, versucht er jetzt, die Opfer politisch zu funktionalisieren

Als Nicaraguas Präsident Arnoldo Alem‡n das von der schweren Naturkatastrophe betroffene Gebiet im Norden des Landes besuchte, wurde er in der Provinzstadt Le-n mit Steinwürfen und wütenden Protesten empfangen. Ähnlich erging es ihm in Ciudad Dar'o und anderen Orten.

Während die Zahl der Opfer des Hurrikans Mitch in allen Ländern Zentralamerikas täglich steigt und sich nur langsam ein Bild des tatsächlichen Ausmaßes der Verwüstungen abzeichnet, werden zumindest in Nicaragua nach den Aufräumarbeiten heftige politische Auseinandersetzungen erwartet. Bürgermeister und Nichtregierungsorganisationen prangern das Verhalten der Regierung an, die nicht nur bei der Hilfeleistung versagt, sondern die Situation sogar verschlimmert habe.

Nach offiziellen Angaben sind in Honduras über 7 000 Menschen gestorben, in Nicaragua mindestens 4 000. In beiden Ländern werden noch immer Tausende Personen vermißt. Insgesamt haben schätzungsweise zwei Millionen Menschen in Zentralamerika ihr Obdach verloren. Die Verkehrsinfrastruktur und große Teile der Ernten sind zerstört. "Entwicklungsexperten" sprechen davon, daß beide Länder durch die Naturkatastrophe über ein Jahrzehnt zurückgeworfen worden seien.

Zumindest in Nicaragua haben Hunderte ihr Leben vermutlich nur deshalb verloren, weil die Regierung sich nach Berichten zahlreicher Betroffener weigerte, rechtzeitig Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten, obwohl die Gefährlichkeit des Wirbelsturmes längst bekannt war. Die Medien des Landes spielten eine mögliche Gefährdung sogar herunter und die offiziellen Stellen reagierten erst, als es bereits zu spät war.

Außerdem wird befürchtet, daß Seuchen, Diarrhöen und Hunger weiteren Tausenden das Leben kosten werden. Die Regierungsstellen blockierten nämlich auch nach der Katastrophe tagelang die Hilfeleistungen und Rettungsmaßnahmen. Denn die von der rechten Liberalen Partei geführte Regierung ängstigte sich zunächst offenbar um das Image des Landes, das Investoren als sicher, stabil und attraktiv präsentiert werden soll.

Deswegen bestätigte die Regierung in den ersten Tagen immer nur jene Schrekkensnachrichten, die ohnehin von Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen (NGO) vorher schon bekannt gemacht worden waren und sich nicht mehr verschweigen ließen. Hätte sie das Ausmaß der Katastrophe wirklich zur Kenntnis genommen, wäre die Ausrufung des Notstands unabdingbar gewesen. Dieser aber hätte sie dazu verpflichtet, Geldreserven für Hilfsmaßnahmen freizugeben.

Genau das sollte aber verhindert werden, weil Alem‡n dadurch die Konsolidierung der Staatsfinanzen gefährdet sieht, die ein Eckpunkt des mit internationalen Finanzorganisationen abgeschlossenen wirtschaftlichen Strukturanpassungsplans sind. Ohne strenge Haushaltsdisziplin geraten IWF-Kredite nämlich in weite Ferne und deshalb wurde der Notstand lieber nicht erklärt - so die einfache Regierungslogik.

Nachdem sich die Auswirkungen von Mitch aber nicht mehr herunterspielen ließen, fürchteten die Liberalen unter Präsident Alem‡n um ihre politische Macht, die jetzt mit der Kontrolle der Hilfsmaßnahmen steht und fällt. Deswegen wurden Nichtregierungsorganisationen, Genossenschaften und von der sandinistischen Opposition gestellte Gemeinderäte der betroffenen Dörfer von der Koordinierung der Notfallhilfe erst einmal ausgeschlossen. Die Regierung fürchtete offenbar, die eigenen Kontrollmöglichkeiten zu verlieren. Also unternahmen die Regierungsstellen so gut wie alles, um die gesamte auswärtige Hilfe in den eigenen Händen zu behalten und die Verteilungsmacht zu monopolisieren.

Eine zur Soforthilfe angebotene hundertköpfige kubanische Ärztebrigade wurde an der Grenze abgewiesen und engagiert sich nun statt dessen im Nachbarland Honduras. Diese Entscheidung mag man vielleicht noch mit rein ideologischen Gründen erklären, schließlich sah Alem‡n in Fidel Castros Kuba immer das "Reich des Bösen". Der katholische Alem‡n war während der Somoza-Diktatur Nationalgardist und verließ als eingeschworener Antikommunist nach der von der FSLN angeführten Revolution 1979 das Land.

Auch andere Hilfsmaßnahmen wurden von der Rechtsregierung behindert. Im Hafen von Corinto durfte ein Schiff mit Hilfsgütern nicht entladen werden, weil die Zollgebühren nicht bezahlt waren. Mit einem Erlaß hatte das Finanzministerium am 2. November nämlich sämtliche Hilfslieferungen, die nicht an Regierungsstellen adressiert waren, mit hohen Einfuhrsteuern belegt. Von dort gelangt sie aber nicht unbedingt zu den Betroffenen: Ein Teil der von Regierungsstellen zentralisierten Hilfe landete nach Augenzeugenberichten auf dem Schwarzmarkt und wurde dort zu horrenden Preisen verkauft. Erst nach Protesten von NGO wurde die Zollpflicht, die direkte Hilfe für Basisprojekte ausschließen sollte, zurückgezogen.

Wegen der offensichtlichen Untätigkeit der Regierungsstellen mußte Alem‡n am Donnerstag vergangener Woche in der Verteilungsfrage jedoch einen Kompromiß eingehen: Die katholische Kirche ist nun dafür zuständig - genauer gesagt der ultrakonservative Klerus um den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Bosco Vivas, ein Intimus des antisandinistischen Rechtsaußen und ehemaligen Contra-Freundes Kardinal Obando y Bravo. Bei sandinistischen Gemeinden und Stadtverwaltungen ist die Bischofskonferenz dafür bekannt, daß sie genauso wie die Regierung bei der Vergabe von Geldmitteln hauptsächlich die eigene - rechte - Klientel bedient, während sandinistisch regierte Landesteile vernachlässigt werden. Le-ns sandinistischer Bürgermeister Rigoberto Sampson reagierte entsetzt, als die Verteilungskompetenz dem Klerus übertragen wurde.

Seit dem hat de Regierung auch gar nicht mehr gegen Hilfsleistungen. Nun versucht Alem‡n mit den Opferzahlen zu spielen, um die internationale Hilfe zu erhöhen.