Die Anti-Quoten-Frau

One for Two - Christa Müller ist die "Frau von Lafontaine".

Weil sie der Zielgruppe offenbar nicht zutrauten, daß diese eine Zahnärztin verkraften würde, erfanden die Werbefilmer für einen Spot der Marke Perlweiß die molluskenhafte Figur der Zahnarztfrau, die kraft ihrer Autorität als Frau des Zahnarzts zum Kauf des entsprechenden Produktes rät. Wieso ist Gudrun T.B., Zahnarztfrau, für semi-medizinische Tips besonders qualifiziert, und wieso z.B. nicht die Frau des Schusters?

Möglicherweise ist die Schusterfrau eine Arzthelferin, während die Zahnarztfrau vielleicht Germanistin ist und von Zähnen gar nichts versteht? Oder ist die Frau des Zahnarztes auch die Assistentin des Zahnarztes? fragt man sich bzw. man fragt es sich eben nicht, denn der Spot ist so plemplem wie Zahncremewerbung eben ist.

Wirklichkeit und Medienrealität halten aber noch ganz andere Zumutungen bereit, z.B. die an eine Frau, die Steuerreform ihres Mannes zu verteidigen. Christa Müller, Frau von Lafontaine, blendet die Redaktion der Talkshow "Vorsicht, Friedman" (27. Oktober) ein, um den Gast vorzustellen. Obgleich jeder weiß, daß sie hochqualifiziert ist, kommt Müller aus dem Dilemma die Frau von zu sein, nicht heraus.

Wenn Müller "wir" sagt, so wie ein SPD-Parteimitglied eben "wir" sagt, um Geschlossenheit zu demonstrieren, fragt der Moderator nach, was heißt wir, wer sind wir, und Müller muß aufzählen, mein Mann und ich, Gerhard Schröder, die SPD, denn Müller ist nicht eingeladen worden, weil sie Wirtschaftswissenschaften studiert, ein Buch geschrieben und an der Steuerreform mitgearbeitet hat, sondern als Politikerfrau, die an der Steuerreform mitgearbeitet, Wirtschaftswissenschaft studiert und ein Buch geschrieben hat. Eingezwängt ins Rollenkorsett, achtet Müller darauf, von der Steuerreform "ihres Mannes" zu sprechen.

Dem Solo-Auftritt bei Friedman folgt ein Interview, das Müller und Lafontaine in der ZDF-Sendung "halb zwölf" gemeinsam geben, und eine Geste Lafontaines beschäftigt seither die Öffentlichkeit: der Finanzminister "nickt" (Bild) zu den Ausführungen seiner Frau. Und auf die Frage, ob Christa Müller seine wichtigste Beraterin ist, bestätigt Lafontaine, dies sei "uneingeschränkt richtig"."Schröders Schattenmann hat eine Schattenfrau", moniert die Berliner Morgenpost; sie ist die "Drahtzieherin", die ihrem Mann "linke wirtschaftspolitische Ideen einflüstert", warnt die Weltwoche; die Times schaudert: "Der Buhmann der Banker kriegt ein paar Tips von seiner Lady Macbeth"; und Bild formuliert einen Satz, der gerahmt über den Stammtisch paßt, Müller, die Wirtschaftswissenschaftlerin, habe "von Wirtschaft keine Ahnung".

Wäre der Furor, den Springer und Freunde enfalten, ein Maßstab, markierte die mediale Intervention Christa Müllers den Anfang vom Ende des Bonner Partriarchats. Sie spricht über Finanzpolitik und fordert, die Geldpolitik von Bundesbank und Europäischer Zentralbank dürfe "nicht sakrosankt sein", statt über saarländische Spezialitäten zu plaudern und wie es so ist, mit einem Politiker zu leben.

"Lafontaine - Regiert seine Frau jetzt mit?" fragt Bild am Sonntag, wissend, daß es für seine Leser eine tolldreiste Vorstellung ist - seine Steuern werden jetzt am Küchentisch oder gar im "Ehebett" verhökert. Von einer Frau! Macht "Er" den Abwasch, geht "Sie" zwei Prozentpunkte runter! Denn Müller hat nicht zu irgendwas gesprochen, sondern über das neurotisch besetzte Thema Geld, Finanzen, Stabilitätskriterien, Deutsche Mark und Euro, da können ihre Ausführungen mit viel Mühe als Kastrationsdrohung inszeniert werden.

Ihre Medienauftritte haben der "ausgewiesenen Wirtschaftsexpertin" (Berliner Zeitung) Häme, aber auch Sympathie und Respekt eingebracht; ignorieren konnte sie niemand, denn Müllers Ausbruch aus dem Damenprogramm - ganz ohne Quotenkrampf - haben Modellcharakter. Daß die Zeiten vorbei sind, da Politikerfrauen sich einer gefährlichen Krankheit besannen, eine Stiftung gründeten und Schirmherrinnen wurden, scheint inzwischen allen klar zu sein. Die Strategien der Ridikülisierung, mit der noch in den Siebzigern die Frau des damaligen Wirtschaftsministers Etta Schiller zur durchgeknallten Person erklärt werden konnte, greifen nicht mehr, denn seit Hillary Clinton das Onefor-Two-Amt popularisiert hat, liegt ein anderes Script vor.

Christa Müller ist gleich der US-Präsidentengattin - das Role-Model des mitarbeitenden Familienmitglieds - die Anti-Quotenfrau und ein Glücksfall für das SPD-Casting-Büro. Schönere Politiker waren versprochen und erwünscht, unverbrauchte Gesichter, unkonventionelle Ansätze, Quereinsteiger und natürlich Frauen, aber nur ein paar und bitte keine Quote. Selbst das Springer-Publikum weiß "One-for-Two" längst zu goutieren, und sei es nur als Horror-light mit allerhöchstem Unterhaltungswert und einem Hauch von Anarchie mitten in Deutschland.

Frauen fordern politische Repräsentation, und die politische Repräsentation verlangt Frauen; sie müssen vorkommen; selbst Ignoranten reagieren inzwischen gereizt, wenn man ihnen die immergleichen Elefantenbullenkämpfe präsentiert. Daß eine Partei, die die Anrufung von Frauen politikfähig gemacht hat, im Moment der Machtübernahme demonstriert, jetzt gebe es Wichtigeres zu tun, als Politikerinnen Jobs zu beschaffen, ist ein Treppenwitz der Grünengeschichte. Frauen eine gewisses Maß an medienpluralistischer Beachtung zuzugestehen, sie vorzuschicken, ist da ein Kompromiß. Vorteil SPD: Müller und Lafontaine lassen vergessen, daß sich die Doppelspitze erledigt hat. So gibt es zwar keine Jobs, aber ein paar Rollen zu verteilen.

Spätestens am Wahlabend, als das Siegerpaar Schröder und Lafontaine vor die jubelnde Menge trat und im Hintergrund Doris Köpf zwischen all den designierten Ministern mehr taumelte als stand und versuchte, irgendwie "da zu sein" und zu lächeln, war klar, daß die Frau des Kanzlers den vakanten Posten der deutschen Hillary Clinton nicht übernehmen wird.

Die Bunte half mit einem Rollenangebot aus und ließ die Ex-Focus-Journalistin Schröder-Köpf von Lord Snowdon als Prinzessin Di inszenieren, jenem präpolitischen Modell pathetischer weiblicher Subversion, mit Ohnmacht, Tränen, Krankheiten, Hysterie und Bulimie.

"Oskars Hillary" (Zeit) scheint dagegen zu verkörpern, was gern mit der "Hälfte der Macht" umschrieben ist; sie hat den Frauenjob des Drinnen-Waltens aufgegeben und ihren Anteil an den Leistungen Oskar Lafontaines für sich reklamiert und sichtbar gemacht. Die Wirtschaftsexpertin hat, soviel ist bekannt, an der Steuerreform mitgearbeitet, und nichts spricht dagegen, daß Christa Müller die Architektin des ganzen Projektes ist, so wie Hillary Clinton den Hauptanteil an der (gekippten) Gesundheitsreform hat. Und weiter? Über Hillary Clinton wurde oft behauptet, es sei ihr ohne weiteres zuzutrauen, das Amt zu bekleiden, ein folgenloser Satz. Die Frau des Präsidenten ist eine mächtige Frau, die ihre Karriere untrennbar mit der ihres Ehemanns verknüpft hat.

"Wählt Hillarys Ehemann", forderten US-amerikanische Frauenverbände, die das Pärchen-Modell mit der Absicht unterstützten, durch Hillary Clinton einen direkten Draht ins Weiße Haus zu bekommen, und die Machtfrage pragmatischen Überlegungen unterordneten. Heute fragen die Unterstützerinnen schon mal, warum sich Hillary bloß in diesen "Idioten verknallen" mußte. Seit ihr Mann durch die Lewinsky-Affäre angeschlagen ist, hat Hillary Clinton zwar "ihre größte Rolle" (Zeit) übernommen, allerdings eine, in der sie vor auf Tugenden wie Charakterstärke und familiy values festgelegt ist.

Die Diffamierungen widerlich und die Männerwitze über Christa Müller wirklich lächerlich zu finden, heißt nicht unbedingt, daß man ein Modell rasend aufregend findet, das affirmative action mit "Eheleute unterstützen sich" übersetzt.