Luhmanns Humor

Ewiger Anschluß

Als der "Meister" (Peter Fuchs, taz) tot war, wurden die Schüler ganz ernst: "Luhmann war wahrscheinlich einer der größten Humoristen seiner Zunft, wenn nicht der Wissenschaft überhaupt." (Dirk Baecker, Berliner Zeitung)

Wie hatte man einst in sich hineingekichert, als man in einer Fußnote, welche Beispiele für das "Erzwingen nichtintegrierbarer Wahrnehmungen" aufführt, unter anderem auch das "Hineinschieben von Krüppeln auf Rollstühlen in den Sitzungsraum" gefunden hatte ("Soziale Systeme"). Und nun wurde aus solch gelungener Interpenetration von Schüler und Lehrer ein nicht mehr zu amplifizierender Superlativ: der "größte Humorist seiner Zunft", "die sich nicht vorstellen konnte, über irgend etwas in der Gesellschaft einen Witz zu machen". Nun nahm man von der Gemeinschaft der Kalten und Trockenen, die Luhmann mit seinen Anhängern bildete, doch Abschied, als könne es keine feuchtfröhlichen Abende mehr geben.

Derselbe Gustav Seibt, der kürzlich noch Schäubles Dialekt entzückend ironisch fand, schrieb, sich eine Träne aus dem Auge wischend: "Vor Empörung bebende Bundestagsabgeordnete der Grünen sprachen das Wort 'Angst' auf schwäbisch aus ('I heb Angscht'). Im Seminar erläuterte Luhmann währenddessen vor leeren Bänken den Unterschied zwischen verschiedenen soziologischen Theorien." (Berliner Zeitung)

Nun zeigte sich in der Erleichterung, es werde nichts nachkommen außer dem lächerlichen Nachlaß von höchstens "Tausenden unbearbeiteter Manuskriptseiten" (Detlef Horster, Süddeutsche), daß sie selbst von Angst nicht frei gewesen waren: "Mitunter schien es, als sei jede Fußnote die Ankündigung eines weiteren jener Dutzenden von Büchern und Hunderten von Aufsätzen, in denen er die Sozialwelt abschritt." (Jürgen Kaube, FAZ) Und kaum einer kam hinterher. "Auf die Frage 'Was machen Sie, wenn Sie gerade kein Buch schreiben?' antwortete er 'Dann schreibe ich ein anderes Buch.'" (Süddeutsche) Mag sein, daß das seine Weise war, die "Gesellschaft zu parodieren", seine "Anwendung des Endlichen auf das Unendliche" (FAZ).

Wenn durch den Tod das Unendliche sich als Endliches zeigt, weicht die Angst dem Gelächter. Es klingt merkwürdig verhalten: "Im Augenblick des Todes mag es schwierig sein, diesen heiteren Aspekt des Werkes festzuhalten. Als inhaltliches Moment seines Fortlebens wird er die Erinnerung an den bedeutendsten Soziologen dieses Jahrhunderts weiter bestimmen." (FAZ)

Die Heiterkeit als inhaltliches Moment des Fortlebens, da will keine rechte Freude aufkommen. Es dräut ein weiteres Mal die Unendlichkeit: "Dafür stehen auch Luhmanns Schüler ein", schreibt ein weiterer von ihnen, "die heute in beinahe jeder akademischen Disziplin zu finden sind." Sie können weitermachen, in allen Disziplinen und in allen Zeitungen und in alle Ewigkeit, und doch im Wissen, daß sie bei all der Anschlußfähigkeit ihrer Kommunikationen bloß schlechtere Nachkommen sind. "Ihren schärfsten Beobachter aber hat die Weltgesellschaft für immer verloren." (Niels Werber, FR) Die Beobachtung der Beobachtung setzt sich als Beobachtung der Beobachtung der Beobachtung fort, weniger scharf, weniger humoristisch; und für die schönste, nicht mehr zu übertreffende Pointe hat der Sterbende noch im Hinscheiden gesorgt: "Niklas Luhmann starb an den Folgen einer rätselhaften Erkrankung." (Harry Nutt, taz)