Von seinen Opfern lernen

Mit einer Sammelklage in den USA wollen die Sudetendeutschen Entschädigungszahlungen durchsetzen

Was den Überlebenden der Konzentrationslager endlich zu Entschädigungen verhelfen könnte, wollen nun auch die Verbündeten der Täter für sich nutzen: Die Landsmannschaft der Sudetendeutschen hat angekündigt, vor einem US-amerikanischen Gericht eine Sammelklage einzureichen, deren Ziel es sein soll, für nach 1945 einbehaltene Konten und Versicherungspolicen Entschädigung zu erhalten. Als Vorbild dienen dabei Sammelklagen, mit denen die Erben ermordeter KZ-Häftlinge gegenüber Banken und Versicherungen, vor allem in Deutschland und der Schweiz, erfolgreich Ansprüche geltend gemacht haben.

Die Klage soll sich gegen diejenigen tschechischen Banken und Versicherungen richten, die über Niederlassungen in den USA verfügen. Die Sudetendeutschen wollen sich mehrere Besonderheiten des US-amerikanischen Rechtssystems zunutze machen: Zum einen die Möglichkeit der Sammelklage, mit deren Hilfe einzelne auch stellvertretend für ganze Gruppen - etwa für die jüdischen oder eben auch die sudetendeutschen Versicherten eines Versicherungskonzerns - Entschädigung geltend machen können. Zum anderen die Tatsache, daß das angelsächsische Recht nicht wie das in Deutschland geltende romanische kodifiziert ist, sondern im wesentlichen auf vorangegangenen Gerichtsentscheidungen beruht.

Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die eigentlich relativ unverbindliche, an frühere realsozialistische Staaten gerichtete Aufforderung des amerikanischen Repräsentantenhauses an Bedeutung, "widerrechtlich enteigneten Besitz zurückzugeben" oder eine "rechtmäßige und rechtswirksame Entschädigung zu bezahlen".

Diese Resolution Nr. 562 zur "Wiedergutmachung von Enteignungen aus der Zeit des Kommunismus und Nationalsozialismus" wollen die Vertriebenen-Funktionäre nun gegen die osteuropäischen Staaten in Stellung bringen. Großzügig übersehen sie dabei, daß die US-Parlamentarier bei ihrem Plädoyer für die uneingeschränkte Wiedererrichtung des Privateigentums neben in Deutschland enteigneten Juden vor allem Grundbesitzer im Sinne hatten, die in sozialistischen Staaten der Zwangskollektivierung unterworfen wurden - und keinesfalls die Täter des NS-Staates.

Doch der Rollenwechsel vom Täter zum Opfer war seit Anbeginn eine beliebte Strategie der Berufsvertriebenen. Weil ihnen dies bekannt ist, befürchten nun die Regierungen in Prag und Warschau, daß die geschichtsrevisionistischen Kläger auch ihre Staatskassen ins Visier genommen haben könnten. In der Prager Tageszeitung Pravo kommentierte der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman die Ankündigung der Vertriebenen-Funktionäre: "Wenn man bedenkt, daß die Mehrheit der Sudetendeutschen das Hitler-Reich unterstützte, könnten sie froh sein, daß sie niemand wegen der Unterstützung des Nazismus verklagt."

Doch dieses Engagement der übergroßen Mehrheit der Sudetendeutschen für die nationalsozialistische Sache ist offenbar längst vergessen. Nach dem Krieg organisierten sie sich - zunächst halb konspirativ, schließlich waren sie den Alliierten als mögliche Keimzellen für ein Wiedererstarken des Nationalsozialismus verdächtig - in Landsmannschaften, deren Führungszirkel von früheren Nazi-Chargen wimmelten. Inzwischen beanspruchen diese Zirkel Ewiggestriger den Status von "Menschenrechtsorganisationen", wie Wolfgang Thüne, der Stellvertretende Bundessprecher der Landsmannschaft Ostpreußen im Spätsommer 1998 erklärte. Die Vertriebenenverbände, so Thüne, kämpften für die "individuellen Menschenrechte" ebenso wie für die "praktische Durchsetzung der Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts": "Die Menschenwürde ist unantastbar! Freiheit und Menschenwürde sind untrennbar miteinander verbunden. Vertreibung ist Freiheitsberaubung und die schlimmste Mißachtung der Menschenwürde."

Daher habe auch jeder "Vertriebene", so Thüne, das "Recht auf Rückkehr in seine angestammte Heimat und sein Eigentum". Und: "An diesem Friedensdienst werden wir als Menschenrechtsorganisation trotz aller Diskriminierungen unbeirrt festhalten. An der gehorsamen Verfolgung der Gebote Gottes kann uns niemand hindern."

Als sich der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel im Frühjahr 1996 dieser Interpretation göttlicher Gebote anschloß und die völkerrechtliche Legalität des Artikels XIII des Potsdamer Abkommens anzweifelte, bekam er einen deutlichen Rüffel. Einträchtig wie selten wiesen England, Rußland und die USA deutsche Ansprüche zurück. Dieser Artikel XIII regelt eben jene "Umsiedlung deutscher Bevölkerung": "Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Umsiedlung deutscher Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß."

Der polnische Wissenschaftler Alfons Klafkowski schrieb in einer Abhandlung zur Rechtsgrundlage der Oder-Neisse-Linie, daß die Festlegung des Bevölkerungstransfers einen "kategorischen Charakter" habe und "keiner interpretativen Elastizität fähig" sei. Trotzdem wurden und werden die Vertriebenen von der Bundesrepublik auch in finanziellen Angelegenheiten immer gehätschelt. Ein Jahr vor der Einrichtung des "Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge", dem "Bundesvertriebenengesetz" (BVFG), trat 1952 das "Lastenausgleichsgesetz" (LAG) in Kraft. Während in Paragraph 96 BVFG die künftige finanzielle Förderung der Vertriebenen festgelegt wurde, war als Hauptziel des LAG die "Abgeltung von Schäden und Verlusten, die sich infolge der Vertreibungen und Zerstörungen der Kriegs- und Nachkriegszeit ergeben haben", definiert worden. Das LAG hatte bisher ein Leistungsvolumen von mehr als 130 Milliarden Mark. Bis weit ins nächste Jahrhundert hinein müssen noch Lastenausgleichszahlungen erbracht werden. Unter den bereits gezahlten Finanzmitteln befanden sich beispielsweise 770 Millionen Mark in den Jahren 1953 und 1954 für den "Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener".

Doch damit wollen sich die Vertriebenen nicht zufriedengeben. Was könnte da näherliegen als ein erneuter Verweis der Sudetendeutschen Landsmannschaft darauf, daß bei "der Vertreibung nach dem Krieg Konten, Policen und Schließfächer" der "Vertriebenen" einbehalten worden seien.