Schlacht für die Arbeit

Der große "Wechsel" ist nur ein kleiner Dreh: Der Eurokeynesianismus wird mehr Zwangsarbeit und weniger Sozialleistungen bringen. Eine Antwort auf Rudolf Hickel

Geld gab's an jeder Ecke. Wer den richtigen Ausweis zeigte, bekam die blauen Scheine einfach in die Hand gedrückt. Die Kassen in den Kaufhäusern krachten, die Binnenkonjunktur schoß wie eine Rakete in die Höhe. Eine prima keynesianische Sache, wäre da nicht ein kleiner Schönheitsfehler im Programm gewesen. Getragen wurde der staatliche Konsumrausch von einer Koalition, die ursprünglich genau das Gegenteil des Keynesianismus vertrat.

Die Liberal-Konservativen waren Anfang der Achtziger mit dem Versprechen angetreten, die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie abzulösen: Senkung des Staatsdefizits, nur noch "moderate" Lohnerhöhung und alles zum Wohle der Unternehmer. Doch dann kam alles anders. Kohl wurde nicht der Kanzler einer monetaristischen Revolution, sondern ungewollter König gigantischer Staatsausgaben. Nachfrage gab es nach der "Wende" ohne Ende: Mehr als 1,5 Billionen Mark wurde bisher in den "Aufbau Ost" investiert.

Nicht nur die "Wiedervereinigung" vermasselte den liberalen Wirtschaftspolitikern ihren ideologisch einwandfreien Auftritt. Die fünf Weisen von den zumeist stockkonservativen Instituten kritisierten regelmäßig die Regierung Kohl: Ihre angebotsorientierte Politik bleibe in einem Sumpf aus Subventionen und Klientelbedienung stecken.

Vor dem umgekehrten Problem könnte nun bald die Sozialdemokraten stehen - und sich am Ende als die besseren Neoliberalen erweisen. Denn der Gegensatz zwischen einer angebots- und einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik existiert vornehmlich in den Köpfen der Volkswirtschaftslehrer. Von der angekündigten Wende in der Wirtschaftspolitik, wie sie auch Rudolf Hickel (Jungle World, Nr. 48/98) in seinem Plädoyer verkündete, wird am Ende vor allem eines übrig bleiben: eine Lawine von sozialen Grausamkeiten, wie sie sich selbst die alte Koalition nicht loszutreten traute.

Der große "Wechsel" des Rudolf Hickel ist ein kleiner Dreh. Die alte Angebotspolitik wird durch nachfrageorientierte Elemente nur ergänzt. Das alte Geldstück wird umgedreht und anschließend kühn behauptet, anstatt um die andere Seite handele es sich um eine völlig neue Münze. Wie dieses Schauspiel der modernen Sozialdemokratie funktioniert, hat bereits Tony Blair ausgiebig demonstriert.

Auf einem ähnlichen Mißverständnis beruhen auch die meisten Kommentare über die neue Republik. Der rote Teufel und die Schrecken eines Keynesianismus werden an die Wand gepinselt. "Das ist der gefährlichste Mann Europas", titelte kürzlich die Sun, mit einem Bild von Oskar Lafontaine auf der ersten Seite. Die Sozis wollen europaweit Steuern erhöhen und die Zinsen senken, das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster werfen, nur um ein Fossil der ökonomischen Theorie zu beleben: Eine staatlich regulierte Finanz- und Beschäftigungspolitik solle der alten Welt wieder neues Wachstum bringen.

Auf den ersten Blick scheinen Hickels Thesen das konservative Schreckensbild zu bestätigen. Die Finanzpolitik müsse antizyklisch reagieren, eine "steigende Neuverschuldung" sei dafür in Kauf zu nehmen. Die Geldpolitik dürfe nicht nur der Inflationsbekämpfung dienen, sondern habe auch endlich für Beschäftigungswachstum zu sorgen; die Lohnpolitik solle wieder ihren "Part zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage übernehmen". Das angebotsorientierte Paradigma habe die Wirtschaft jahrelang auf Globalisierung und Weltmarkt und damit fast ausschließlich am Exportmarkt ausgerichtet. Nun, nach Asien- und Rußlandkrise, und spätestens mit der Rezession in den USA im kommenden Jahr, werde es höchste Zeit, auf die Binnenkonjunktur zu setzen.

Mit der Einführung des Euro ab 1999 wird erstmals ein einheitlicher Wirtschaftsraum in Europa geschaffen; rund 80 Prozent aller Exporte der Mitgliedstaaten laufen innerhalb der EU. Wenn es gelinge - so die Eurokeynesianer -, die europäische Binnenökonomie entsprechend anzukurbeln, dann sei selbst eine Weltmarktkrise in der Festung Europa verhältnismäßig gelassen zu ertragen.

Kommen also höhere Einkommen und mehr Jobs, wie es sich Gewerkschaften und linke Sozialdemokraten bis hin zur PDS erhoffen? Das erste Versprechen, höhere Einkommen, wird durch Kürzungen von Sozialleistungen erkauft.

Wenn Nachfrage durch höhere Einkommen geschaffen werden soll, gleichzeitig aber kein Wettbewerbsnachteil entstehen darf, dann kann dies nur durch die Senkung der Lohnnebenkosten geschehen. Nur damit ist das Wunder der Nachfrage zu erreichen: Den Faktor "Arbeit" für die Unternehmer zu verbilligen und gleichzeitig Lohnerhöhungen für die Gewerkschaften zu versprechen.

Wie ist dieses Paradox zu realisieren? Den Weg dahin hat Lafontaine schon vorgezeichnet: Er schlägt vor, die Sozialversicherungspflicht abzuschaffen und die Sozialleistungen statt dessen über Steuern zu finanziert. Was Guido Westerwelle nicht laut zu sagen wagte und Nobert Blüm nur um den Preis seiner politischen Selbstzerstörung hätte präsentieren können, im künftigen sozialdemokratischen Modell soll es möglich sein.

Werden Sozialleistungen über höhere Verbauchssteuern finanziert, würde dies höchstens noch für eine dürftige Grundsicherung reichen. Der Rest wäre dann über private Zusatzversicherungen abzudecken. Werden die Lohnnebenkosten durch eine Umfinanzierung der Sozialleistungen reduziert, hat die deutsche Wirtschaft einen deutlichen Wettbewerbsvorteil in Europa.

Voraussetzung dafür ist ein gemeinsame europäische Zinspolitik: Nur wenn Zinsen und Steuern eine gemeinsames Niveau erreichen, kommt die Entlastung der Wirtschaft voll zum Tragen. Nur dann kann ein Konjunkturaufschwung durch steigenden Konsum und steigende Exporte in Deutschland höher ausfallen als in den anderen Ländern der Union. Wenn Schröder auch sonst nicht viel weiß, eines weiß er mit Sicherheit: Als deutscher Bundeskanzler hat er das nationale Interesse zu vertreten. Vor allem dafür dient der Euro-Keynes: Die Deutschland AG soll weiterhin das führende Unternehmen in Europa bleiben.

Auch das zweite Versprechen der Neokeynesianer - Arbeit, Arbeit, Arbeit - ist mehr als Drohung zu verstehen. Zu viele unproduktive Müßiggänger werden noch über staatliche Alimente finanziert - wer jedoch die "Schlacht für die Arbeit" (Lionel Jospin) gewinnen will, muß ihnen zuerst das Leben madig machen. "Die Debatte über die Frage, ob nicht jeder Job besser ist als gar keiner, hat uns bereits erreicht. Das Ziel ist klar: Wir können es uns nicht mehr leisten, Dauerarbeitslosigkeit zu alimentieren, anstatt Arbeit zu finanzieren", erklärt mit dankenswerter Offenheit Kanzleramtsminister Bodo Hombach und erklärt damit, wohin die Reise geht.

Erste Station: Der Kombi-Lohn. Der Lohn für miese Jobs, die bisher aus gutem Grund niemand machen wollte, wird durch staatliche Zuzahlungen knapp über den Sozialhilfesatz angehoben, so werden neue Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich geschaffen. Wer ablehnt, hat schlechte Karten. Allen "arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger sollen Arbeit, Umschulung oder Weiterbildung angeboten werden (...). Wir werden dafür sorgen, daß Sozialhilfeempfänger angebotene Arbeitsplätze auch annehmen", drohte Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits im Wahlkampf. Die Logik entspricht dem gesunden Volksempfinden: Wer keinen Job will, soll auch keine Stütze bekommen.

Hier führen die sozialdemokratischen Beschäftigungsfetischisten nur fort, was von der alte Koalition begonnen wurde. Also, Arbeitslose, aufgepaßt: Endlich freie Bahn für eine Karriere als Müllsortierer oder für Umschulungen zum Autowäscher.

Der Aufbruch zum "Euro-Keynes" bedeutet daher vor allem eins: Ein Bündnis für mehr Schufterei, statt sich endlich vom Fetisch der Arbeit zu trennen.