Die Rechnung, bitte!

Nach der Raubkunst-Konferenz in Washington geht es Deutschland besser.

Woran lag es denn nun, daß auf der Washingtoner Raubkunst-Konferenz alle so nett zu den Deutschen waren?

An der "Mischung aus Moral und Pragmatismus", mit der die neue deutsche Bundesregierung "ihre nationalen Interessen und die Verpflichtungen aus der Nazi-Vergangenheit" (Spiegel) definierte? An der "Schlußpunkt"-Mentalität, die der Leiter der deutschen Delegation beim Organisator der Konferenz, dem US-Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat, ausgemacht haben wollte? Resultierte das für die Deutschen "unerwartet angenehme Klima" (Stuttgarter Zeitung) gar daraus, daß die Bundesrepublik bereits mit dem Bundesentschädigungsgesetz ihren Beitrag zur Wiederbeschaffung von Raubkunst geleistet habe, wie zahlreiche deutsche Kommentatoren meinten?

Nichts von alledem trifft zu. Obwohl sich auf der dreitägigen Konferenz vergangene Woche in Washington vieles um die von Deutschen zwischen 1933 und 1945 im In- und Ausland geraubte Kunst drehte.

Bis heute ist der Verbleib vieler geraubter Kunstgegenstände unklar; Schätzungen gehen davon aus, daß zwischen 100 000 und 220 000 Werke, die von Deutschen geraubt wurden, nicht wieder auftauchten. Mit Hilfe mehrerer internationaler Datenbanken soll die Identifikation der fehlenden Kunstwerke künftig erleichtert werden, so die Absichtserklärung aller Konferenzteilnehmer. Alle Museen und Galerien sind aufgefordert, ihre Bestände erneut zu überprüfen und bereits vorliegende Listen privater und öffentlicher Kunstgegenstände digital registrieren zu lassen.

Doch um die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches geht es dabei kaum noch. Kritisiert wurden in Washington andere: der Vatikan, weil dieser seine Archive immer noch verschlossen hält. Und die französische Regierung, der mangelnde Kooperation bei der Rückgabe geraubter Kunst vorgeworfen wurde.

Die Deutschen waren schon deshalb fein raus, weil viele der geraubten Kunstwerke, die sich 1945 in deutschen Museen, Galerien und staatlichen Sammlungen finden ließen, von den Alliierten in den Räumen des IG-Farben-Konzerns in Offenbach zusammengetragen, im Detail katalogisiert und - sofern möglich - an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben worden waren.

Doch das Gros der geraubten Kunstwerke ging nicht in staatlichen oder halbstaatlichen Besitz über, sondern verschwand in den Privatsammlungen von Nazi-Funktionären und anderen deutschen Schnäppchenjägern. Ein

Umstand, der den Alliierten bereits bei Kriegsende bekannt war. Doch die Rückgabe der zusammengetragenen fast dreieinhalb Millionen Kunstwerke aus den staatlichen Sammlungen gestaltete sich schon schwierig genug.

Eindeutige Hinweise zum Verbleib der Beutekunst gibt es nur, wenn die Kunstwerke aus offiziellen Beständen im Ausland geraubt wurden. Was jüdischen Bürgern in Deutschland genommen oder jüdischen Emigranten abgezwungen wurde, die die sogenannte Reichsfluchtsteuer bezahlen mußten, war lediglich dann zu ermitteln, wenn die Opfer zu den Überlebenden der Shoah gehörten. Und zu fast allem, was Juden in Osteuropa - gezielt von SS-Sonderkommandos, mehr oder weniger spontan von Wehrmachtssoldaten - geraubt wurde, fehlt bis heute so gut wie jeder Hinweis. Fand sich nach vielen Jahren eventuell doch eine Spur, weil ein Alt-Nazi gestorben war und seine Angehörigen die "Judenschnäppchen" nun verkaufen wollten, war der Anspruch des früheren Besitzers oder seiner Erben längst verjährt.

Zudem befanden sich viele der Privatsammlungen bereits vor Kriegsende - nicht selten mitsamt der neuen Besitzer - auf dem Weg ins Ausland oder waren bereits in Argentinien, Uruguay oder Ägypten eingetroffen. Häufig führte der Weg dorthin über den Vatikan.

"Wir sind sicher, daß in den Vatikan nicht nur SS-Leute auf ihrem Weg (aus Deutschland heraus) kamen, sondern auch (geraubtes) Eigentum, Kunst, Gegenstände. Wir wissen nicht, was", kritisierte am Mittwoch vergangener Woche beispielsweise Lord Janner, der Vorsitzende des britischen Holocaust Educational Trust. Wenn der Vatikan nichts zu verbergen habe, solle er endlich seine Archive öffnen.

Die dreiköpfige deutsche Delegation konnte aufatmen. "Es läuft wie am Schnürchen", zitierte die Nachrichtenagentur dpa am vergangenen Mittwoch den deutschen Verhandlungsleiter und früheren deutschen Botschafter bei der Uno, Antonius Eitel. Dies liege vor allem an der guten Vorbereitung der Gastgeber aus den USA - und am Bestreben Eizenstats, "einen Schlußpunkt" zu setzen.

Dieser Punkt wurde von fast allen deutschen Medien vergangene Woche herausgehoben: Eizenstat wolle "bis zum Ende des Jahrhunderts die noch unerledigten Fragen, die aus der Mitte des Jahrhunderts datieren, abschließend aufarbeiten", erklärte beispielsweise die FAZ. Und deutete damit den Versuch des Washingtoner Unterstaatssekretärs, die Diskussion um Erinnerung und Entschädigung auf internationaler Ebene gegen allerlei Widerstände in Gang zu halten, auf deutsche Art: Schlußstrich!

"Schuld und Schlußstrich" - ohne Fragezeichen - hatte der Spiegel bereits wenige Tage zuvor einen Beitrag zur deutschen Normalisierungsdebatte überschrieben. Die Schuld liege, daran mag das Magazin gar nicht rütteln, bei den Deutschen. Aber eben nicht allein: "In den USA wurden nach 1945 für geraubte Kunst gute Preise geboten", heißt es einige Seiten weiter.

Auch für den schleppenden Verlauf der Entschädigungsdiskussion sind Schuldige schnell gefunden: zum Beispiel der New Yorker Anwalt Edward Fagan, der jüdische Mandanten bei ihrer Klage gegen deutsche Banken, Versicherungen und andere Großunternehmen vertritt. "Fagan, der mit den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik viel Geld zu machen" suche, habe an den Schweizer Banken quasi nur geübt, suggerierte die Stuttgarter Zeitung. Und nun komme, was kommen mußte: Fagan nehme sich nun "auch deutsche Konzerne vor".

Auch der Spiegel mag Fagan nicht: Einige "New Yorker Anwälte" instrumentalisierten Auschwitz, schreibt Rudolf Augstein, um gleich darauf die Befürchtung zu äußern, es werde "mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand" in Berlin ein "Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland" errichtet. Da klingt die Interviewfrage an Ignatz Bubis scheinheilig: "Ist es schon antisemitisch, wenn man kritisiert, wie (...) Fagan an die Entschädigungsfrage herangeht?"

Natürlich kennt man in Hamburg die Kritik von Bubis an Fagan: Dieser stelle überzogene Forderungen, "zum Beispiel die Enteignung der Degussa", und wolle "sich auf Kosten der Opfer bereichern", erneuerte Bubis vergangene Woche seine Vorwürfe. Doch dürfe es nicht "zu Antisemitismus führen, wenn sich ein jüdischer Anwalt" danebenbenehme, konkretisierte Bubis seine Kritik an Edward Fagan, genauer: an Fagan in seiner Funktion als Anwalt.

Diese Kritik an den Methoden eines Anwalts unterscheidet sich fundamental vom Mainstream der deutschen Diskussion. In seiner Verteidigungsrede für Martin Walser hatte beispielsweise Klaus von Dohnanyi von dem "Versuch anderer" gesprochen, "aus unserem Gewissen eigene Vorteile zu schlagen, es zu mißbrauchen, zu manipulieren". Bei ihm stand nicht die Kritik an der Arbeitsweise eines Justitiars im Vordergrund, sondern der Versuch, ein in Deutschland gängiges Klischee zur rechten Zeit auch wieder in der Diskussion zu etablieren: Der Jude, der aus allem Geld machen will, und der, ebenso typisch, den Deutschen mißbraucht.

Wenn, um ein anderes Beispiel zu nehmen, in Israel vermehrt davor gewarnt wird, die Shoah am Ende des Jahrhunderts "auf die Frage von Geld und Entschädigung" zu reduzieren (Uzi Arad, ein Vertrauter von Premier Benjamin Netanjahu), richtet sich dies hauptsächlich gegen die Art und Weise, wie Deutschland bereits in den fünfziger Jahren alles wieder gut machen wollte, wie die Schweiz bei der Raubgold-Diskussion dem deutschen Beispiel folgte und wie sich Deutschland nun wieder anschickt, es dem Nachbarland nachzumachen: Wenn es denn unbedingt sein muß, wird bezahlt. Doch nach dem "Ablaßhandel" (FAZ) muß es "einen geordneten Abschluß der Wiedergutmachungsdebatte" (Spiegel) geben.

Doch manche Fragen bleiben auch in Hamburg offen: Wann genau denn die Debatte um die Entschädigung von Zwangsarbeitern beendet sei, wurde Bubis gefragt. "Um das Jahr 2030, wenn auch die jüngsten Überlebenden gestorben sein werden, beziehungsweise solange es Überlebende geben wird, die aus irgendeinem Grund nicht entschädigt werden", antwortete Bubis.

Anscheinend wird es für Deutschland zur Jahrtausendwende nichts mit dem erwünschten Start in die Normalität.