Gennadij, der Schreckliche

Während sich ein Mitte-Rechts-Bündnis zu etablieren sucht, setzen Rußlands Kommunisten auf die autoritäre Karte

Je härter die sozialen Auswirkungen des gesellschaftlichen Desasters in Rußland werden, desto lauter melden sich autoritäre Stimmen zu Wort. Anfang vergangener Woche meldete sich Wladimir Kartaschin, Leiter der staatlichen Menschenrechtskommission, warnend zu Wort. Die Regierung erwäge, trotz ihres Versprechens beim Beitritt zum Europarat im Jahr 1996, die Todesstrafe nicht abzuschaffen. Und immer mehr ranghohe Polizisten, Staatsanwälte und Richter, so Kartaschkin weiter, drängten auf die Wiederaufnahme von Hinrichtungen.

Mitte der Woche wurde in der Duma munter debattiert. Es ging um die Wiedererrichtung des Denkmals von Felix Dserschinskij, dem Gründer der russischen Geheimpolizei. Sein Denkmal war im August 1991 vom Sockel gekippt worden. Nun soll es wieder errichtet werden. In der mit 237 gegen 69 Stimmen in der Duma grundsätzlich angenommenen Resolution wurde als Begründung angeführt, die russischen Bürger forderten nachdrücklich, "dem ausschweifenden Verbrechertum Einhalt zu gebieten".

Am vergangenen Freitag brillierte dann Gennadij Selesnjow (KP), der Präsident des russischen Parlaments, mit Vorschlägen zum russischen Strafvollzug. An die Stelle der Todesstrafe für Schwerverbrecher sollten Straflager nach Art des alten Gulag treten. "Die Verbrecher müssen nach und nach durch Zwangsarbeit in Steinbrüchen oder beim Holzschlagen sterben", zitierten ihn Nachrichtenagenturen. Die Gefangenen müßten "jeden Tag beten, daß man sie endlich tötet", so sein Resozialisierungskonzept.

Während die KP-Kreise sich über eine autoritäre Krisenverwaltung den Kopf zerbrechen, bereiten die ausgebooteten "Reformer" ihr politisches Comeback vor. So kündigte der stellvertretende Leiter der Kreml-Verwaltung, Oleg Sysujew, in der vergangenen Woche einen "Gründungskongreß" an, auf dem sich in naher Zukunft mehrere Gruppen zu einem Mitte-Rechts-Bündnis zusammenschließen wollen. Neben ihm gehören zu den Initiatoren des Bündnisses, das auch des Präsidenten Boris Jelzin Segen haben soll, einige der seit dem ökonomischen Crash in diesem Sommer vollständig diskreditierten "Wirtschaftsreformer": die ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten Anatoli Tschubais und Boris Nemzow, Ex-Ministerpräsident Jegor Gaidar und der von Jelzin in diesem Jahr vorübergehend als Regierungschef installierte Sergej Kirijenko.

Dessen Nachfolger, Ministerpräsident Jewgenij Primakow, hat mit dem Erbe der "Reformer" alle Hände voll zu tun. Letzte Woche versuchte er, mit dem Internationalen Währungsfonds zu neuen Vereinbarungen zu kommen. Am Wochenende davor hatte er einige IWF-Mitarbeiter als "Kinder, die fast nichts im Leben gesehen haben", bezeichnet. Aber bei dem Rußland-Besuch des IWF-Direktors Michel Camdessus in der vergangenen Woche bemühten sich beide, gut Wetter zu machen.

Nach zweitägigen Gesprächen, an denen der angeschlagene Präsident Boris Jelzin gar nicht erst beteiligt war, sagte Camdessus, Rußland könne Anfang nächsten Jahres weitere Unterstützung vom IWF erhalten, wenn die Regierung eine glaubwürdige und pragmatische Wirtschaftspolitik präsentiere. Über weitere Kredite gab es keine Aussagen, und ebensowenig gab es eine Zusage, die seit September eingefrorenen Tranchen eines Hilfspakets von IWF und anderen freizugeben. Im Januar, so Camdessus, würden einige IWF-Experten zu "detaillierten politischen Diskussionen" nach Moskau zurückkehren.

Die dürften spannend werden. Denn der für die Wirtschaftspolitik zuständige Erste Stellvertretende Ministerpräsident Jurij Masljukow, ein gemäßigtes KP-Mitglied, hat in einer Adresse an den Föderationsrat zu Beginn der Debatte über die Wirtschaftspolitik der Primakow-Regierung angekündigt, das Ziel sei eine "soziale Reorientierung der Marktwirtschaft". Dies, so Masljukow weiter, werde die Repräsentanten des IWF und einige Teile der russischen Gesellschaft beunruhigen. Jedenfalls sackte der Rubel am Donnerstag auf den niedrigsten Stand seit Monaten, und der Bankier George Soros sagte in Washington, die Situation in Rußland sei "außer Kontrolle".

Während in Moskau politisches "business as usual" simuliert wurde, ging in Petersburg ein Wahlkampf weiter, der es in sich hat. Knapp 600 Kandidaten aus rund einem Dutzend Parteien bewerben sich in 50 Wahlkreisen um die Mandate zum Stadtparlament. Die beiden jeweils Bestplazierten treten dann zur Stichwahl an.

Während des Wahlkampfs wurden in Petersburg neben der am 20. November ermordeten demokratischen Politikerin Galina Starowoitowa in den vergangenen zwei Monaten drei weitere Menschen umgebracht, zwei von ihnen standen dem Duma-Vorsitzenden Selesnjow nahe. Keiner der Anschläge konnte bislang aufgeklärt werden. Seit der Ermordung von Frau Starowojtowa ist die Situation weiter eskaliert. "Dieser Mord war wie eine Ankündigung der Kriminellen, daß sie die Dinge auf eine ganz neue Ebene bringen. Sie sagen: 'Jetzt sind wir an der Macht'", zitierte die St. Petersburg Times in der vergangenen Woche einen lokalen Abgeordneten.

Im Wahlkampf wurden zudem originelle Methoden des Machterwerbs weiterentwickelt. Einige Kandidaten-Doubles wurden aufgestellt, um die Wähler zu verwirren, Todesdrohungen und Gewaltanwendung gegen Kandidaten kamen ebenso vor. Nun wurde in einigen Distrikten Wählern für ihr Votum zugunsten bestimmter Kandidaten Geld geboten, mit dem Versprechen einer zweiten "Spende", sollte der entsprechende Auserwählte gewinnen. In einem anderen Fall wurden Rentner zu "Gratis-Ausflügen" mit Bussen eingeladen und mit Geschenken und Wodkaflaschen bedacht. Der Ausflug führte zu einem Wahllokal, den Rentnern wurde mitgeteilt, daß der Ausflug von einem bestimmten Kandidaten gesponsert worden sei. Und es wurde ihnen nahegelegt, ihn doch zu wählen.

Die meisten dieser Interventionen fanden bei den vorgezogenen Wahlen statt, in denen diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen am Wahltag selbst ihre Stimme nicht abgeben können, schon zuvor wählen können. Nun sollen die Ergebnisse dieser Vorwahlen von der Zentralen Wahlkommission besonders eingehend untersucht werden, um sie in einigen Wahlkreisen möglicherweise zu annullieren. Gegen zwei Kandidaten wurden bereits Ermittlungen wegen Stimmenkaufs eingeleitet.

Der Gouverneur von Petersburg, Vladimir Yakowlew, sieht da keine großen Probleme. Er beschuldigte nicht näher benannte Politiker, den Mord an Starowoitowa zu einer Schmierenkampagne gegen ihn zu nutzen. Er denke nicht, daß Petersburg eine Stadt des Verbrechens geworden sei. Und jene, die dies dächten, seien der "Respektlosigkeit gegenüber dem Vaterland" schuldig.