Quäkige Lilly Marleen

Die Frankfurter Ausstellung "Als Mickey Mouse nach Deutschland kam" dokumentiert die Einbürgerung der Walt Disney-Figur

Geben wir doch zu, wir mögen ihn nicht, Mickey, diesen kleinen besserwisserischen Streber und Denunzianten, der alle verdächtigen Regungen in der Nachbarschaft sofort Kommissar Hunter melden muß. Viel lieber ist uns Donald, dessen verwandtschaftliche Beziehung zu Mickey im dunklen bleibt.

Obzwar ein "faschistoider Kleinbürger", wie Grobian Gans in seiner brillanten Studie 1969 nachweisen konnte, ist Donald sympathisch, naiv und absolut erfolglos. Donald jedoch verdankt seine Existenz der vorangegangenen Urzeugung der Mickey Mouse aus dem Geiste des Walt Disney. Mickey wiederum hatte ursprünglich lange Ohren, hieß Oswald und lief als Hase herum.

Disney hatte neun erfolgreiche Zeichentrickfilme mit dem Hasen Lucky Oswald an den Universal-Filmverleih geliefert, und Universal rechnete sich auch für die Zukunft große Gewinne aus, beabsichtigte allerdings keineswegs, die Einnahmen mit dem Zeichenstudio zu teilen. Der ausgebootete Walt Disney reagierte schnell: Der Chefzeichner des Studios, Ub Iwerks, machte aus dem Hasen Oswald eine Maus, indem er die berühmten vier Kreise - Kopf, Rumpf und zwei große Ohren - zeichnete. Und Disneys Ehefrau taufte die bestechend einfache Konstruktion auf den Namen Mickey Mouse. Das war im Jahr 1928.

Mit diesem Jahr setzt auch die Ausstellung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt/Main ein; die Entwicklung der mageren Maus zum pausbackigen Ehrenbürger von Entenhausen umfaßt eine Zeitspanne von immerhin 70 Jahren. Was Mickey Mouse bei der Legion Condor zu suchen hatte und wie die US-amerikanische Comicfigur in Deutschland eingebürgert wurde, zeigen die Exponate aus drei Sammlungen, die noch bis Februar 1999 in Frankfurt zu sehen sind. Filmaufnahmen dokumentieren die Frühzeit des Trivialmythos; der junge Peter von Zahn spricht zu uns aus dem Jahr 1958; man lernt, wie in den Disney-Studios die Geräusche für den Tonfilm erzeugt wurden oder welche Möglichkeiten die CD-Rom-Animationen bieten.

Die Deutschen schlossen Mickey Mouse schon in den dreißiger Jahren fest in Herz. So steppte Mickey als Micky Maus auf sehr dünnen Beinen z.B. im Vorfilm zum "Blauen Engel" mit Marlene Dietrich. Bisweilen aber wurden die Sieben-Minuten-Clips auch zu abendfüllenden Kinofilmen zusammengefaßt. Die Erfolgsgeschichte der Comicfigur ist zugleich die Geschichte ihrer Vermarktung - jede Menge Merchandising ist in der Ausstellung zu sehen: Da ist der Micky-Wischmob; da sind Micky-Postkarten mit Lilian Harvey, Knöpfe, Spardosen etc.; flatterndes Zelluloid zeigt Filmsternchen Anni Ondra als Micky-Mausi; Porzellan-Mickys der Firma Rosenthal ähneln eher Loriots Knollennasen-Figuren.

Für Walt Disney war dies allerdings kein gutes Geschäft. Ohne Urheberschutz geltend machen zu können, mußte er zusehen, wie die deutschen Mickis sich auf seine Kosten durchs Leben schlugen und Dinge taten, an die die echte Maus nicht zu denken gewagt hätte. Ein deutscher Spielzeughersteller z.B. warb mit einer "originellen Neuheit", der "Rauchenden Micky-Maus mit wachsendem Schwänzchen".

Obgleich die populäre Comic-Figur von den USA im Zweiten Weltkrieg zur psychologischen Kriegsführung eingesetzt wurde, verhielt sich Nazi-Deutschland vergleichsweise tolerant gegenüber Walt Disney-Produktionen. Filme wie "Steamboat Willie" wurden bis 1941 in deutschen Kinos gezeigt. Und Reichspropaganda-Chef Joseph Goebbels wußte genau, was sich Hitler 1937 zu Weihnachten wünschte : "Ich schenke dem Führer 30 Klassefilme der letzten Jahre und 18 Micky-Maus-Filme. (...) Er freut sich darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz."

Nazi-Fliegerheld Generalleutnant Adolf Galland ließ ein martialisches Micky-Maus-Logo an den Heinkel-51-Flugzeugen der Jagdgruppe 88 anbringen; die Piloten der Legion Condor legten mit Mickey-Mouse-Bild an den Rümpfen ihrer Bomber Guernica in Schutt und Asche. "Daß Mickey auf beiden Seiten der Frontlinie von den Soldaten geschätzt wurde, ist wohl vergleichbar mit der Karriere des Liedes 'Lilly Marleen'", sagt dazu die Ausstellungsmacherin Daniela Dietrich.

Bevor Mickey Mouse zu einer Persönlichkeit wurde, tauchte die Figur bisweilen im Kollektiv z.B. musizierende Mäuse auf. Seine Individualität bildete sich erst allmählich durch Abspaltungen und Diversifizierungen heraus. Ihre Geschlechtsneutralität verliert die Figur, als Walt Disney ihr die weibliche Minnie Mouse an die Seite stellte; seitdem ist Mickey männlich definiert. Den Abschluß seiner Pubertät markiert der Auftritt des begriffsstutzig-infantilen Kumpels Goofy, und mit der Anschaffung von Hund Pluto wird Mickey Mouse endgültig vermenschlicht und verbürgerlicht.

Soziale Stabilität verschafft ihm der Gegenpart des ewigen Losers Donald. Zwar wurde die Maus jetzt ebenso bei fundamentalistischen McCarthy-Hausfrauenverbänden wie unter deutschen Studienräten populär, das große Publikum allerdings hatte ihm der Versager Donald Duck schnell ausgespannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehen die Deutschland-Rechte für Mickey an den dänischen Ehapa-Verlag, der die berüchtigte Sprachreform vornehmen läßt. Die Philologin Erika Fuchs übernimmt die Eindeutschung der amerikanischen Comics und erfindet viele neue Worte wie "Sproing" oder "Uah! Gik Gak!", und Donald muß sagen: "Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen".

"Als Mickey Mouse nach Deutschland kam". Deutsches Filmmuseum, Frankfurt/M. Bis 14. Februar 1999