Fröhliche Regierungspartei

Auf ihrem Parteitag in Leipzig weichen die Grünen die Trennung von Amt und Mandat weiter auf

Der Bundesschatzmeister ist erleichtert. Die Basis hat ihm keinen Strich durch die Rechnung gemacht. Vor dem Pressezelt, gesponsert vom Tabakkonzern Reemtsma, erzählt Dietmar Strehl von seiner Angst, die Delegierten hätte ihm sein Finanzierungskonzept für den Parteitag kaputt machen können. "Das wäre hart geworden, dann hätten wir auch dieses Zelt abbauen müssen."

Es kam anders. Ein Antrag, die Zigaretten-Werbung vor der Tagungshalle des Parteitags der Grünen am letzten Wochenende in Leipzig abzubauen, lehnten die Delegierten mit großer Mehrheit ab. An der ersten gesponserten Presse-Lounge, bei anderen Parteien längst üblich, nahm gar niemand Anstoß.

Alles wie bei anderen Parteien auch? So wollte es Strehl nicht sehen, er betonte die Unterschiede. "Das unterscheidet uns von anderen Parteien, und das soll auch so bleiben", rief er am Samstag den Delegierten zu - und meinte damit die Finanzlage der einstigen Anti-Parteien-Partei. Keine Partei habe weniger Schulden im Verhältnis zu ihrem Vermögen. Und sonst?

Eine Strukturreform war Thema des Parteitags. Für den populärsten Politiker der Partei, Joseph Fischer, steht es schon lange fest: "Eine ganz normale Partei" müssen die Grünen werden. Mit Parteivorsitzendem und Präsidium. Eine Woche vor der Versammlung erst stand es wieder im Spiegel. Aber die Partei feierte in Leipzig ihren Außenminister. "Er ist schon heute das beliebteste Kabinettsmitglied. Wenn das kein Erfolg ist!" jubelte die Parteisprecherin Gunda Röstel ins Mikrofon und hatte den Applaus auf ihrer Seite.

Über alle Strömungsgrenzen hinweg war man sich mit Fischer einig, daß eine Parteireform nötig sei, um "den neuen Aufgaben als Regierungspartei gerecht zu werden". Von der notwendigen Vernetzung zwischen Regierung und Fraktion, der Bundespartei und den Landesverbänden war viel die Rede - von der Professionalisierung der Vorstandsarbeit. Aber eine ganz normale Partei, nein, das wollten die Delegierten nicht.

Ergebnis: Der Parteitag beschloß mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit einen Parteirat. Er soll die Partei enger an Fraktion und Regierung binden - oder umgekehrt, je nach Sichtweise. Für das neue Gremium ist die Trennung von Parteiamt und Mandat teilweise aufgehoben. Damit ist der auf fünf Personen verkleinerte Bundesvorstand das einzige Gremium der Bundespartei ohne Minister oder Abgeordnete. Der in Leipzig geschaffene Parteirat, der einmal im Monat tagt, hat offiziell nur beratende Funktion. An seinen Beschlüssen wird der Bundesvorstand in der Praxis aber kaum vorbei kommen.

Der neue Geschäftsführer Reinhard Bütikofer war zufrieden: "Wir haben gezeigt, daß eine Reformpartei reformfähig ist. Die Parteistruktur wurde weitgehend so beschlossen, wie der Bundesvorstand sie vorgeschlagen hatte." Auch bezahlte Aufsichtsratsposten für Vorstandsmitglieder sind jetzt erlaubt. Nur bei der Namensgebung wollte die Basis der Parteiführung nicht folgen: An der Spitze der Partei werden weiterhin SprecherInnen stehen, keine Vorsitzenden, und der Parteitag heißt weiterhin Bundesdelegiertenkonferenz.

Rückblende: Parteireform ist das Thema auf dem Parteitag 1991 in Neumünster. Eine Woche vorher zitiert der stern Joseph Fischer mit der zufriedenen Feststellung, die Grünen entwickelten sich zu einer "ganz normalen Partei". Beschlossen wird schließlich die Einführung eines Länderrats, für den die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben ist. Der Beschluß führt zu tumultartigen Szenen, eine Wasserpistole kommt zum Einsatz. Die Parteilinken um Jutta Ditfurth nehmen die Strukturveränderungen zum Anlaß, aus der Partei auszutreten. Mit der Reform seien die Grünen auf dem Weg zu einer "bürgerlich-dogmatischen Kaderpartei". Ziel sei die "Installierung einer immer herrschenden Parteielite".

Ähnlich argumentiert ein Delegierter am letzten Wochenende in Leipzig. Er will die strikte Trennung von Amt und Mandat für den Parteirat. Er scheint selbst zu merken, wie anachronistisch seine Position innerhalb der Grünen mittlerweile geworden ist. "Ich bin der Vertreter der letzten Mohikaner", beginnt er seinen Redebeitrag. Genauso unzeitgemäß scheint aber auch das Auftreten des Oberrealos Tom Koenigs. Er fordert auf dem Parteitag - wie sein Freund Fischer in den Medien - die völlig Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat, auch für die Parteisprecher. Doch es paßt nicht zum neuen grünen Stil, mit Maximalforderungen aufzutreten. Für Koenigs' Antrag stimmen weniger als ein Viertel der Delegierten.

Den richtigen Ton trifft Umweltminister Trittin. "Ich will die Auseinandersetzung um Amt und Mandat nicht mehr ideologisch führen", sagt er. Zwar ist er noch gegen Minister oder Abgeordnete als Parteivorsitzende, aber nicht um Machtkonzentration in einer Hand zu verhindern oder weil grüne Politik einen außerparlamentarischen Schwerpunkt haben sollte. Nein, wegen der zu großen Arbeitsbelastung seien die zwei Posten ohnehin nicht miteinander zu vereinbaren.

Die Auseinandersetzung um die Parteistrukturen ist in Leipzig keine mehr zwischen den Parteiströmungen. Welchen Sinn macht es auch, den Einfluß von Parlamentariern auf die Partei zu begrenzen, wenn das Parlament im Zentrum der Parteipolitik steht? Auch die große Mehrheit des linken Babelsberger Kreises unterstützt die neuen Strukturen. Umgekehrt ist es die Reala Röstel, die mit der Reform ein deutlicheres Profil für die Partei verspricht. "Bündnis 90/Die Grünen haben keine Zukunft als bloßer Vizekanzler-Wahlverein."

Scharfe Töne hört man in der Leipziger Messehalle nur, wenn es gilt, grüne Politik gegen den gemeinsamen Feind zu verteidigen. "Eine unverantwortliche Abzockermentalität" wirft Fraktionssprecherin Kerstin Müller Ärztepräsident Karsten Vilmar vor. Mit seinem Angriff auf die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer habe er "seine Patienten als ideologisches Kanonenfutter" mißbraucht.

Innerparteilich geht man vorsichtig miteinander um. Bei der einzigen wirklichen Kampfabstimmung auf dem Parteitag, der Wahl des politischen Geschäftsführers, geben sich beide Kandidaten ausgleichend. Barbara Graf, die vom Babelsberger Kreis unterstützt wird, stellt sich als strömungsunabhängig dar. Und Reinhard Bütikofer, Oberrealo und Landesvorstand aus Baden-Württemberg, verspricht, als er schließlich im dritten Wahlgang gewählt wird, die zum linken Flügel zählende neue Vorstandssprecherin Antje Radcke genauso zu unterstützen wie die wiedergewählte Reala Gunda Röstel.

Irgendwann am Samstag abend geht den Delegierten der Diskussionsstoff aus. Die Parteireform ist beschlossen, die weibliche Doppelspitze gewählt - ein Ausgleich für die verletzte Frauenquote bei der Besetzung der Ministerämter. Auch Resolutionen zur Havarie der Pallas und der Ermordung von Oppositionellen im Iran sind verabschiedet. Alle warten nur noch auf die Wahlergebnisse für den neuen Parteirat. 62 Kandidaten für 25 Plätze. Stundenlange Pausen zwischen den Wahlgängen. Da ergreift die Basis die Initiative. Erst stellt eine Delegierte den Antrag auf Freibier, dann erobert ein Delegierten-Chor die Bühne und singt "Auf der BDK nachts um halb zwölf." Und jetzt geht es nach Landesverbänden weiter: Ein Bayer jodelt. Der Landesverband Rheinland-Pfalz besingt den Moselwein. Und der KV Aachen singt: "Wir machen jeden Schmu - für uns ist nichts tabu." Als das Präsidium schließlich die Wahlergebnisse bekanntgeben will, muß es erst noch die Einlagen aus dem Saarland ("Mein kleiner grüner Kaktus") und Berlin ("Mein kleiner grüner Igel") abwarten.

Das Ergebnis selbst fällt unspektakulär aus. Die Strömungen sind nahezu gleich stark vertreten, die Frauenquote wird übererfüllt und auch die neu beschlossene Ostquote nimmt der Parteitag spielend. Auch die angetretene Parteiprominenz schafft ohne Schwierigkeiten den Einzug in das neue Gremium: Die Fraktionsspitze mit Rezzo Schlauch und Kerstin Müller ist gleich im ersten Wahlgang erfolgreich, ebenso Bundesumweltminister Trittin und Gesundheitsministerin Fischer.

Außenminister Joseph Fischer war nicht angetreten. Er hat nur ein kurzes Gastspiel auf der Bundesdelegiertenkonferenz. Begleitet von einem großen Kameratroß zieht er in der Halle ein und nimmt für eine Stunde Platz auf der Bühne. Bei seinem Weg vom Ehrenplatz in die Presse-Lounge zur Parteireform befragt, lächelt er milde. Sie sei ein Schritt in die richtige Richtung. Ob die Reform allerdings ausreiche, müsse die Zukunft zeigen.