Palästinenser-Bündnis gegen Israel und Arafat

Wessen Charta ist die Charta?

"Diese Charta wurde mit Blut geschrieben, aus Blut geboren und wird mit Blut verteidigt werden."

Scheich Hassan Nasrallah, Chef der vom Iran gesponserten libanesischen Hisbollah (Partei Gottes), lobte die PLO-Charta in ihrer ursprünglichen Form offiziell nur für seine eigene Schlächter-Combo. Doch inoffiziell sprach Nasrallah für alle, die am Wochenende nach Gaza gekommen waren - zum Oppositionskongreß gegen den Palästinensischen Nationalrat, der am Montag alle israelfeindlichen Passagen aus der Charta von 1964 streichen sollte.

Anwesend waren die Führungsriegen der marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) samt dem PFLP-Generalkommando; der DFLP (das D steht für Demokratisch statt Volk, alles andere ist wie bei der PFLP); der Killerorganisation Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) und Abgesandte des islamistischen Jihad (Islamischer Heiliger Krieg), Sektion Palästina.

Die säkulare PFLP, einstiger Hoffnungsträger der deutschen Linken im Kampf gegen Israel, hat bereits öfter das Bündnis mit der religiösen Hamas gesucht. Zuletzt hatte sich PFLP-Chef George Habash im Mai diesen Jahres mit dem Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin getroffen. Offizielles Ziel: Ein Bündnis zu bilden, um Israel "mit allen Mitteln zu bekämpfen"; Ergebnis: "Die politischen Ansichten beider Gruppen", zitierte damals die Nachrichtenagentur Reuters Habash, seien "identisch".

Und doch waren solche Bündnisse bislang zeitlich und örtlich beschränkt. Mal kooperierte die Führung des weltlichen mit dem des geistlichen Flügels des arabischen Anti-Imperialismus zwecks Informationsaustausch, mal verteilte die Basis der beiden Organisationen in Gaza, Jericho und Ramallah zusammen Suppe und Brot an die Armen oder warf Steine auf Israelis.

Lange hielt das Bündnis nie, denn zu groß war die Konkurrenz, wenn es darum ging, neben den verhaßten Juden auch die PLO und mit ihr die palästinensische Autonomiebehörde zu bekämpfen.

Denn in der Politik Yassir Arafats sehen die Teilnehmer des Oppositionskongresses nur Verrat: "Die Palästinensische Nationalcharta wird leben, solange es ein Messer in der Hand einer palästinensischen Frau gibt, mit dem sie einen israelischen Soldaten oder Siedler niedersticht, solange es Selbstmord-Attentäter in Jerusalem und Tel Aviv gibt, solange da ein Kind ist, das einen Stein in das Gesicht eines israelischen Soldaten wirft", formulierte Hisbollah-Chef Nasrallah am Samstag die Grundlage für das neue Bündnis gegen Israel, den Frieden und die Autonomiebehörde.

Man muß von der korrupten und machtbesessenen Clique um Arafat nicht besonders viel halten. Aber wenigstens hat sich Arafat für die Änderung der PLO-Charta eingesetzt - und damit eine wesentliche Bedingung für die mögliche Koexistenz mit Israel gesichert. Entgegen den zahlreichen Angriffen aus Palästina und den Schikanen der israelischen Rechten sowie der jüdischen Siedlerverbände, die den Friedensprozeß ebenfalls scheitern lassen wollen.

Eine andere Bedingung zur Fortsetzung des Friedensprozesses ist jedoch noch nicht erfüllt: Die in Wye beschlossene Freilassung von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen. Von den bereits Entlassenen seien nur 100 "politische" und 150 andere Gefangene gewesen, kritisierte letzte Woche ein Sprecher Arafats.

Bei diesen Vorwürfen folgt die Autonomiebehörde bewußt der israelischen Sprachregelung: Unterschieden werden "politische Gefangene" - in der Mehrzahl Anhänger der Hamas, aber eben auch einige Mitarbeiter Arafats - von sogenannten "einfachen Kriminellen", meist Palästinensern, die wegen Autodiebstahls verurteilt wurden. Diese sollen bei einer eventuellen Entlassung hinter den politischen oder "Kriegs"-Gefangenen zurückstehen.

Daran aber ist Israel überhaupt nicht interessiert. Und auch Arafat käme - entgegen seiner offiziellen Forderung - eine Freilassung aller politischen Gefangenen nicht unbedingt gelegen: Denn die meisten Freigelassen würden künftig als Mitglieder des neuen Anti-Israel-und-Arafat-Bündnisses auf der anderen Seite der Barrikade stehen.

Arafat sollte sich überlegen, nicht nur die PLO-Charta, sondern auch seine Freilassungsforderung zu modifizieren. Wie wäre es mit "Freiheit für die sozialen Gefangenen"?