Ausgeträumt und stillgestanden

Die rot-grüne Bundesregierung steht in Kriegszeiten treu zu den USA.

Noch Anfang November hatte Ludger Volmer einen Traum. Der mit der Wahl als Staatsminister ins Auswärtige Amt katapultierte Grüne kündigte neue Zeiten an. Sicherheitspolitische Diskussionen dürften nicht länger auf "militärische Mechanismen" beschränkt werden. Die neue Bundesregierung würde deshalb in Zukunft stärker auf zivile Vorbeugung und Beruhigung von Konflikten setzen statt auf militärische Lösungen. Für entsprechende Friedensmissionen wollte Volmer hochprofessionelle "Peacekeeper" ausbilden lassen - natürlich mit Geldern aus dem Wehretat. Volmers neue Zeiten endeten letzten Mittwoch gegen 23 Uhr mit dem Einschlag der ersten Marschflugkörper in Bagdad. Genau zu jenem Zeitpunkt begann für die neue Regierung ein für manche noch schmerzhafter Spagat. Schließlich wurde nach all den Beteuerungen transatlantischer Partnerschaft mit den USA während der letzten Woche nun auch Gefolgschaft erwartet. Zum anderen aber standen da die Träume aus guten alten Zeiten im Raum, und die geharnischten Worte, die man 1991 als Oppositionspolitiker für die US-Amerikaner und die Kohl-Regierung übrig hatte.

Glück hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Als die ersten Bomben fielen, saß er in Brüssel mit seinen Nato-Kollegen gerade beim Dessert. Vom Briten George Robertson waren sie zuvor vom Angriff informiert worden. Der zur Zeit in seinem Amt noch völlig überforderte Sozialdemokrat gab sich abgeklärt: "Wer ab gestern morgen die Entwicklung der Rohölpreise angeguckt hat, konnte eine leise Ahnung davon haben, was passiert ist."

Die USA und Großbritannien hätten ja zudem nie Zweifel daran gelassen, daß sie bei den nächsten Problemen der Zusammenarbeit von Vereinten Nationen und Irakern ohne Vorwarnung losschlagen würden. Nach dem Abzug der Kontrollteams habe er sich keine Illusionen mehr gemacht, was geschehen würde. Eine Beteiligung der Bundeswehr an den Militärschlägen schloß Scharping zwar aus, doch er machte klar, daß "unsere amerikanischen Freunde" natürlich ihre Militärbasen in der Bundesrepublik nutzen könnten.

Auch Außenminister Joseph Fischer reiste während der Angriffe gerade durch die Welt. Und er ließ in Dublin spürbar lange nichts von sich hören. Irgendwann letzten Donnerstag bedauerte er zwar den Militäreinsatz, gab dem Irak aber die volle Verantwortung dafür. Nach einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses wünschte sich der grüne Außenminister am Freitag ein "möglichst schnelles" Ende der Militärschläge. Für eine politische Lösung müßten danach alle Anstrengungen unternommen werden. Eine Hoffnung, die an der neuen Irak-Politik scheitern wird, die die USA am Sonntag nach Beendigung ihrer Attacke verkündeten. Danach soll künftig eine Militärstreitmacht am Golf präsent bleiben, um Saddam Hussein beim kleinsten Aufmucken ohne Vorwarnung züchtigen zu können.

Fischer hat ausgeträumt. Während des Golfkriegs 1991, da forderte sein Gewissen noch ein "Erwachen der Friedensbewegung". Von Kanzler Kohl verlangte er, den USA die Gefolgschaft zu verweigern. Noch im Dezember 1994 warnte er, daß die Bundesregierung Deutschland in den Bosnienkrieg ziehen wolle. Entscheidende Frage einer grünen Außenpolitik schien Fischer damals, wie eine "pazifistische und antinationalistische" Partei eine Politik zur Verteidigung bedrohter Menschen entwickeln kann, "ohne dabei ihre gewaltfreien Grundsätze aufzugeben". Diese Frage scheint auf fatale Weise beantwortet zu werden.

Kanzler Gerhard Schröder kann mit seiner Regierungsmannschaft zufrieden sein. Nach kurzer Irritation waren sich Grüne und Sozialdemokraten im Kern einig, daß Hussein mit seiner Hinhaltetaktik die militärische Abstrafung verdient habe. Kein Wort über die unvermeidlichen Opfer unter der ohnehin gebeutelten Bevölkerung Iraks. Auch wenn sich zahlreiche Staaten durch den neuerlichen Auftritt des Weltpolizisten brüskiert fühlen - Schröder gab sich unbeirrt: "Unsere Solidarität mit der internationalen Staatengemeinschaft und mit unseren Bündnispartnern, den Vereinigten Staaten und Großbritannien, steht außer Frage." Ein Kanzlerwort - ohne Wenn und Aber. Und wohl auch die Endfassung einer Expreßdiskussion, schließlich war in ersten Äußerungen des Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye noch vom Bedauern der Regierung die Rede, daß es angesichts der Haltung der irakischen Führung zur Anwendung "militärischer Maßnahmen kommen mußte". Ein schnelles Ende wurde erhofft.

Was ist Präsident Clinton, eine Naturgewalt, die man so oder so ertragen muß? Warum kann ein sozialdemokratischer Kanzler nicht wie UN-Generalsekretär Kofi Annan sagen: "Dies ist ein trauriger Tag für die Vereinten Nationen und den Rest der Welt. Meine Gedanken sind heute abend bei der irakischen Bevölkerung und den 370 UN-Mitarbeitern, die in Irak geblieben sind. Es ist ein trauriger Tag für mich persönlich"? Schröder hält sich an die Starken, an sein Vorbild Tony Blair. So erscheint selbst der "junge" Schröder nachträglich ziemlich unglaubwürdig, der noch im Januar 1991 als Ministerpräsident sofortige Verhandlungen der Golfkriegsparteien über einen Waffenstillstand verlangt hatte.

Wo wohnt die Vernunft heute? In SPD-Reihen ist sie selten geworden. Hans-Ulrich Klose, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, war das US-freundliche Wortgeklingel aus dem Kanzleramt sogar etwas zu leise, er forderte die Regierung auf, die Militärschläge gegen den Irak zumindest logistisch zu unterstützen. Dagegen meinte Günter Verheugen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, die Haltung "strenger Pazifisten", die sich in den Fraktionen von SPD und Grünen noch strikt gegen jeglichen Militäreinsatz aussprächen, würde "respektiert". Noch geduldet also. Auch bei den Grünen sind die Reaktionen kunstvoll gedrechselt, um den Außenminister nicht zu beschädigen. Volmer ist längst auf Linie: "Wir sagen eindeutig, die Letztverantwortung für diese Zuspitzung hat Saddam Hussein." Im atlantischen Bündnis könne man allerdings darüber reden, "ob bestimmte Aktionen zu bestimmten Zeitpunkten sinnvoll sind". Als Kritik an "militärischen Mechanismen" kann derartiges Gewürge kaum bezeichnet werden.

Selbst der Verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, rutschte bei aller Kritik am Angriff, für den es "kein politisches Ziel" gebe, irgendwann doch heraus, daß der Militärschlag "riskant, aber verständlich" sei. Die Klemme, in die sich die Grünen manövriert haben, lassen Worte des außenpolitischen Sprechers Helmut Lippelt ahnen, den letzten Donnerstag sein Unbehagen über den "hoch riskanten" Angriff der US-Amerikaner immerhin dazu trieb, für "einen schmalen Raum zur Äußerung von Kritik und Skepsis kämpfen" zu wollen.

Allein die PDS - noch nicht in Regierungsämtern - sprach offen von einer "Aggression" der USA. Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher im Bundestag, verlangte von der Bundesregierung, für ein sofortiges Ende der Bombardierungen einzutreten. Eine Regierung, die sich nicht die leiseste Kritik am Bruch des Völkerrechts durch die USA und Großbritannien traue, liefere ein "erbärmliches Schauspiel". Mit dem Abstand von der Macht scheint die Klarheit der Worte zu wachsen. So konstatierte der Frankfurter Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel: Die Amerikaner verfolgen eine neue sicherheitspolitische Strategie: weg von der Uno und der Kooperation mit den Verbündeten, "hin zu Gewalt". "Heute nacht wurde eine neue Weltordnung in die Welt gebombt."