Lügen für ’nen Hunderter

Polygraphen taugen nicht zur Wahrheitsfindung, entschied jetzt der Bundesgerichtshof und lehnte den Einsatz der Detektoren in Strafverfahren ab

Geht Doug Williams nun der deutsche Markt flöten? Für rund 70 Mark bietet der ehemalige Kriminalbeamte im Internet Anleitungen mit den besten Tips an, um Lügendetektoren auszutricksen. Williams ist sich sicher: Innerhalb weniger Stunden könne er jedem die notwendigen Kniffe beibringen, um die Maschine zu hintergehen. Sein Credo: "It can be beaten rather easily."

Doch seine Empfehlungen sind ausgerechnet dort auf Zustimmung gestoßen, wo sie Williams nicht unbedingt sehen wollte: bei Deutschlands höchsten Richtern. Daß der Bundesgerichtshof (BGH) seiner Einschätzung folgte und dem Lügendetektor das Siegel "wissenschaftlich nicht abgesichert" verlieh, könnte nun nicht nur in Williams Kassen negativ zu Buche schlagen.

Auch Professor Udo Undeutsch muß sich möglicherweise beruflich neu orientieren. Der Kölner Lobbyist in Sachen Polygraph, wie der Detektor in der Fachsprache genannt wird, besitzt ein solches Gerät und macht sich seit Jahren für seinen Einsatz stark. Zwei seiner Kunden waren es denn auch, die vor dem obersten Gericht in einem Revisionsverfahren geklagt hatten. Die beiden Männer wollten mit Hilfe des Detektors den Vorwurf entkräften, sie hätten Kinder sexuell mißbraucht.

Nach mehreren Gutachter-Anhörungen fällten die Karlsruher Juristen nun am Freitag vergangener Woche ihr Urteil. Demnach sind Lügendetektoren als Beweismittel "völlig ungeeignet" und dürfen in Strafverfahren nicht mehr verwendet werden. Der Senatsvorsitzende Gerhard Schäfer erteilte sogenannten Tatwissens- und Kontrollfragen-Verfahren, mit denen bei polygraphischen Untersuchungen gearbeitet wird, eine klare Absage.

Schon die Prämisse des Kontrollfragen-Tests, die einen Zusammenhang zwischen emotionalen Zuständen und körperlichen Reaktionen im vegetativen Nervensystem unterstellt, sei wissenschaftlich nicht nachzuweisen. Allein mit dieser Schlußfolgerung wird freiweg die gesamte Grundlage des Lügendetektors ad absurdum geführt. Schließlich soll mit dem Gerät anhand vermeintlicher Veränderungen etwa bei Atmung, Blutdruck oder Schweißabsonderung festgestellt werden, ob Befragte lügen. Diese Vorstellung sei zwar "nicht unplausibel", räumte Schäfer ein, sie ignoriere jedoch Ängste, die Angeklagte unabhängig von Schuld oder Unschuld entwickelten. Ein strafrechtlicher Verdacht bedrohe schließlich auch "den Unschuldigen in seiner Existenz". Nicht weniger vernichtend die BGH-Einschätzung zum Tatwissen-Verfahren: Die hier angewendeten Tests, bei denen Reaktionen auf Fragen zur Tat gemessen werden, funktionierten nur, wenn Verdächtige "exklusives Täterwissen" hätten. Das aber sei bei Strafverfahren allein deshalb nicht gegeben, weil Angeklagte grundsätzlich über die Tatumstände umfassend informiert seien.

Schäfers Konsequenz: "Dem Ergebnis eines Polygraphentests kommt nicht einmal minimale Indizwirkung zu." Dennoch lieferte der Karlsruher Senat mit seiner Begründung zum Tatwissen-Verfahren nebenbei ein Einfallstor für künftige Polygraphen-Anwendungen: Polizeiliche Ermittlungsverfahren, in denen Verdächtige über "exklusives Täterwissen" befragt werden können. Gerade hierfür spricht ein weiterer Aspekt des Urteils. Die BGH-Richter revidierten eine Entscheidung ihrer Vorgänger aus dem Jahre 1954, in der die Nutzung des Detektors mit Blick auf verfassungsrechtliche Bedenken abgelehnt wurde. Damit hatte man vergangene Woche jedoch keine Probleme mehr. Da die Untersuchungen "keinen Einblick in die Seele" böten, werde durch polygraphische Untersuchungen weder die Menschenwürde noch die Freiheit der Willensentschließung verletzt.

Ein ambivalenter Urteilsspruch, dessen Auswirkungen aber auch nur in Strafverfahren ihre Wirkung haben. Denn ausschließlich über diesen Bereich hatte der BGH zu entscheiden. Da der Lügendetektor jedoch bislang vor allem im Familienrecht angewandt wurde, um Väter in Sorgerechtsverfahren vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs zu entlasten, bleibt Doug Williams zumindest dieser Internet-Geschäftszweig erhalten. Udo Undeutsch hingegen wird sich jetzt anstrengen müssen, um seinen schlechten Ruf wieder loszuwerden.

Die Studien des Psychologieprofessors konnten die Karlsruher Richter kaum überzeugen. Im Gegenteil: Sie warfen dem Polygraphen-Besitzer eine "selektive Verzerrung der Testergebnisse" vor. Undeutsch hatte Testpersonen 100 Mark versprochen, wenn es ihnen gelänge, seinen Lügendetektor zu überlisten.