Schallplatten, die keiner bestellt hat

Neues vom Polarkreis

Waren Sie schon mal in Finnland? Ich auch nicht, muß ich gestehen. Was soll man da auch? Überhaupt: Ich kann gar kein Finnisch. Außer ein paar Zahlen vielleicht (üxi, kaxi, kalme) und einer kapitalismuskritischen Spruchweisheit ("Rahalla eole isamaata", Geld regiert die Welt). In der Regel kennen die Leute von Finnland nur Mika Häkkinen, Aki Kaurismäki und die vielen Seen und denken daher, daß die Finnen schnell Auto fahren, in einem extrem tristen Land leben und ständig baden gehen.

Ob das alles so stimmt? Immerhin gibt es einige Indizien: Finnland ist zwar fast so groß wie Deutschland, doch leben dort nur rund fünf Millionen Menschen. Ist also nicht viel los da. Zehn Prozent der Fläche sind von Wasser bedeckt: 55 000 Seen, von denen die meisten auch noch ganz hübsch sein sollen. Außerdem ist Finnland 1 200 Kilometer lang und 500 Kilometer breit. Da muß man manchmal ganz schön schnell fahren, wenn man zum Abendessen rechtzeitig ankommen will.

Noch zwei gängige Vorurteile: Finnen sind ständig deprimiert, weil es in ihrem Land immer Winter und dunkel ist. Und Finnen trinken alles, was ihnen zwischen die Finger kommt, weil Alkohol bei ihnen so gut wie verboten ist.

Über finnische Musik gehen die Meinungen auseinander. Viele Leute sagen, daß finnische Musiker grundsätzlich verrückt seien. Um diese Behauptung möglichst plausibel klingen zu lassen, führen sie meistens Namen wie Jimi Tenor, Panasonic und Walthari an. Von Värttinä schweigen sie aber in der Regel.

Värttinä machen nämlich wunderbare Popmusik, die auf finnischer Folklore basiert. Vor 15 Jahren fing eine Handvoll Leute in dem kleinen karelischen Dörfchen Rääkkylä an, sich mit der Musik ihrer Gegend zu beschäftigen. Die Gruppe wuchs bis Anfang der Neunziger auf 21 Mitglieder - in der überwiegenden Mehrheit Sängerinnen - an, um dann wieder bis auf die heutigen zehn zusammenzuschrumpfen. Das konnte aber schon auf ihrem letzten Album "Kokko" den Spaß nicht mindern.

Vielleicht sollte man noch kurz erklären, wie das bei Värttinä funktioniert. Es gibt einen Grundstock an traditionellen karelischen Instrumenten mit Akkordeon, Baß, Kantele, Barimbau und Perkussion. Dazu kommt der klare und bisweilen zerhackte Chorgesang, der so schön ist, daß es manchmal schon wehtut. Zusammen mit einem konventionellen Rhythmus und der entsprechenden Geschwindigkeit kann man das guten Gewissens Pop nennen.

Värttinä singen über Regen, das Leben in der Fremde, Dunkelheit, die Suche nach Sinn in der Dunkelheit, Trinken und Tanzen, Depressionen, Einsamkeit, das Leben in der Fremde, Frost und Frust, Warten auf die Hochzeit, das Morgengrauen, die lange Reise in die Zukunft und Regen (Remix). Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Typisch finnische Themen also. Die Tristesse, die man sich darunter vorstellt, steht jedoch in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Fröhlichkeit der Musik.

Ganz anders dagegen Vic Chesnutt. Der wohnt in einem viel lustigeren Land, macht aber viel traurigere Lieder, die zudem noch so leise aufgenommen sind, daß man extra nochmal aufstehen muß, um den Verstärker etwas lauter zu drehen, damit man überhaupt etwas hört. Nicht auszudenken, was passierte, wenn Chesnutt in Finnland wohnen würde.

Värttinä: Vihma. Wicklow / BMG Vic Chesnutt and Lambchop: The Salesman and Bernadette. Rough Trade