Otranto - hin und zurück

Mit einem Fährdienst nach Albanien versucht ein italienisches Sozialbündnis, gegen die staatliche Flüchtlingspolitik zu demonstrieren

Im Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es, niemandem dürfe das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln. Dieser Forderung spricht allerdings die Praxis aller Staaten Hohn. Die repressive Flüchtlingspolitik fordert an den Außengrenzen der europäischen "Kernstaaten", an ihren Flüssen und Meerengen, beinahe täglich einen hohen und oft tödlichen Preis.

Der Kanal von Otranto etwa, der das italienische Brindisi vom albanischen Vlore trennt, ist häufig Schauplatz von Flüchtlingstragödien gewesen. Zuletzt fanden vor zwei Wochen wieder drei Albaner statt der Aufnahme im Bel Paese Italien den Tod im Meer. Und auch der bisherige Höhepunkt der staatlich verursachten Unglückskette nahe Otranto liegt noch nicht weit zurück: 1997 rammte ein Schiff der italienischen Küstenwache das Motorboot "Kater I Rades" - 80 Menschen kamen dabei zu Tode.

Während bislang Proteste und Aktionen meist lokal oder regional beschränkt blieben, versucht sich seit Oktober ein überregionales Bündnis an gemeinsamen Anstrengungen: In der Charta von Mailand haben sich Centri Sociali (Soziale Zentren) des italienischen Nordostens mit Centri Sociali der mittleren Adriaküste, der Assoziation Ya basta! aus der Solibewegung zu Chiapas sowie der Zeitschrift Derive Approdi zusammengeschlossen. Und am vorvergangenen Wochenende wurde die erste grenzüberschreitende kollektive Aktion durchgeführt. Das Bündnis charterte das Fährschiff "Illaria" und verließ mit vierhundert Menschen an Bord den Hafen von Brindisi. Mit dieser Verbindung nach Vlore (italienisch: Valona) sollte symbolisch ein Fährdienst für das Recht auf eine Allgemeine Staatsbürgerschaft und damit für die Legalisierung der Einreise von Albanien nach Italien oder sonstwohin aufgenommen werden. Ähnlich wie bei der Legalisierung von Drogen würde mit einem solchen Schritt den verschiedenen mafiösen Organisationen, die an der Notlage der Einwanderer verdienen, das Handwerk gelegt, argumentierten die Teilnehmer.

Ungewohnt bei der Ankunft in Vlore: Die albanischen Behörden verzichteten nach vorherigen Absprachen auf Paßkontrollen, so daß der Demonstrationszug rasch zum Kundgebungsort, die Sporthalle von Vlore, gelangen konnte. Dort warteten bereits etwa tausend Albaner, unter ihnen Kulturminister Edi Rama und eine Handvoll weiterer Staatsfunktionäre, darauf, daß Beppe Caccia, ein grüner Stadtrat aus Venedig und zugleich Vertreter der Centri Sociali des Nordostens, den Text des gemeinsamen "Paktes von Valona" verlesen würde.

Der Pakt verlangt von allen Regierungen der Europäischen Union eine Revision des restriktiven Schengener Abkommens. Auch sei es für die europäischen Regierungen und die des Mittelmeerraums an der Zeit, sich mit Vertretern der sogenannten Zivilgesellschaften an einen Runden Tisch zu setzen. Dort solle dann die Neuregelung des Rechtsanspruchs zur Wahl der Staatsbürgerschaft und damit die Revision der jeweiligen nationalen Gesetzgebungen diskutiert werden. Weitere Forderungen: Mit sofortiger Wirkung müßten alle Lager für Flüchtlinge geschlossen und positive Änderungen in der Asylpolitik rasch umgesetzt werden - vor allem bei Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen.

Stil und Diktion dieser Erklärung - wie auch der gesamte Charakter der eintägigen Aktion - erinnern stark an die Verhandlungen der Zapatisten mit der mexikanischen Regierung und an ihre Ansprachen an die Zivilgesellschaft. Es scheint, als habe ein Bündnispartner der Aktion "Eine Fähre nach Albanien" eigene Erfahrungen weitergegeben. Die italienische Solidaritätsinitiative Ya basta! hatte in Chiapas nach dem Massaker von Acteal Ende letzten Jahres interveniert - bevor sie kollektiv aus Mexiko ausgewiesen wurde. In Italien schloß sie sich mit den Centri Sociali des Nordostens zusammen und organisierten einen Aktionstag gegen die italienische Flüchtlingspolitik.

Zwar bezogen dabei die Demonstranten vor dem Auffanglager in Triest Prügel von der Polizei. Doch verschaffte ihnen dies gleichzeitig öffentliche Beachtung: Innenminister Giorgio Napolitano mußte sich schließlich für den Einsatz seiner Beamten entschuldigen. In Turin zeigte sich sogar ein Staatssekretär aus dem Innenministerium dialogbereit und ließ sich bei einem Treffen mit Vertretern des Centro Sociale Gabrio an dem neu errichteten Flüchtlingslager an der Via Brunelleschi ablichten.

Einen institutionellen Spielraum für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen sehen die autonomen Kritiker nicht. Sie lehnen weiterhin jeden Versuch einer Vermittlung zwischen ihren Lebensvorstellungen und den bestenfalls reformistischen Absichten der Regierung ab. Ihre Geschichte sei von jeher eine des Konflikts und der (Massen-)Bewegungen gewesen. Das Vorgehen der Centri Sociali des Nordostens würde nur dazu führen, die Institutionen zu stärken, wobei schließlich nicht mehr das Soziale, sondern allein die Regierung zum Bezugspunkt würde.