Schutzmänner für Europa

Deutschland will seine Schengen-Präsidentschaft zum Ausbau der Überwachungspraxis nutzen

Eine deutsche Doppelspitze wird in der ersten Hälfte des nächsten Jahres den wichtigsten europäischen Institutionen vorsitzen. Während Außenminister Joseph Fischer, Finanzminister Oskar Lafontaine und Bundeskanzler Gerhard Schröder qua EU-Präsidentschaft der europäischen Wirtschafts-, Außen- und Militärpolitik ihren Stempel aufdrücken können, wird Deutschlands Innenminister Otto Schily als Präsident des Schengen-Abkommens die europäische Innenpolitik bestimmen. Sechs Monate lang wird damit der ohnehin mächtigste Staat in Europa zusätzliche Machtbefugnisse erhalten, wie sie in der Geschichte der europäischen Einigung noch nie in einem einzelnen Land vereint waren. Und er gedenkt, sie zu gebrauchen.

Welche Inhalte er während der nächsten sechs Monate durchsetzen will, machte Schily am 16. Dezember bei einer Tagung des Schengen-Exekutivausschusses in Berlin deutlich: Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit soll die Perfektionierung der Abwehrmechanismen an den Außengrenzen der Schengen-Staaten von Griechenland bis Island stehen. Diesem Gebot sollen sich auch die ostmitteleuropäischen EU-Beitrittskandidaten unterwerfen, da sie andernfalls, wie Claus Henning Schapper, Staatssekretär in Schilys Innenministerium ankündigte, nicht damit rechnen dürfen, "in die EU integriert zu werden".

Einen Rüffel von Schily erhielt Griechenland, das zwar bereits EU-Mitglied ist, dem es aber nicht gelingen will, seine 15 000 Kilometer Küstenlinie zu kontrollieren, wo immer wieder kurdische Flüchtlinge aus der Türkei und dem Irak an Land gehen. Da seien "Nachbesserungen nötig", so Schily. Vorher dürfe Griechenland auch nicht damit rechnen, daß die Personenkontrollen im Fährverkehr nach Italien aufgehoben würden.

Um nicht in den Verdacht zu kommen, nur immer von anderen die strenge Kontrolle ihrer Grenzen zu verlangen, kehrte Schily auch vor der eigenen Tür - oder besser vor der der Christenunion. An der Grenze zu Polen - sprich in den SPD-regierten Bundesländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern - habe sich ja einiges gebessert bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung, lobte der Bundesinnenminister. An der Grenze zu Tschechien aber - in CSU-Bayern und in Sachsen, wo die CDU regiert, also - gebe es noch Probleme. Deswegen werde er sich schon im Januar mit Bayern und Tschechien an einen Tisch setzen, um ein "Aktionsprogramm" auszuarbeiten. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber wird sich über die Ankündigung gefreut haben.

Doch damit nicht genug. Weil Grenzschützern und bayerischen Polizisten die verdeckte Ermittlung hinter den feindlichen Linien noch nicht erlaubt ist, soll, wie der neu ernannte BND-Chef August Hanning ankündigte, der Auslandsgeheimdienst die sogenannte Schleuserkriminalität künftig als neuen Arbeitsschwerpunkt begreifen. Da sich diese zum großen Teil in den östlichen Anrainerstaaten der Bundesrepublik abspielt, werden die beitrittswilligen Länder also auch die Aktivitäten des deutschen Auslandsgeheimdienstes auf ihrem Territorium hinzunehmen haben. Illegale Einwanderung, so Hanning, sei zu einem einträglichen Geschäft des organisierten Verbrechens geworden. Daß zu den notwendigen Rahmenbedingungen dieses Geschäfts eine funktionierende Abschottungspolitik gehört, erwähnte Hanning ebensowenig wie sein Vorgesetzter Gerhard Schröder, der bei Hannings Amtseinführung ebenfalls ankündigte, den Geheimdienst zur Bekämpfung "internationaler Wanderungsbewegungen" einzusetzen, die "von Geschäftemachern ausgenutzt" würden.

Als weitere Hauptaufgaben des Dienstes benannte Schröder bei dieser Gelegenheit die Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, den Kampf gegen internationalen Terrorismus sowie gegen "besondere Formen der Kriminalität" wie Drogenhandel und Geldwäsche. Das klassische Geheimdienst-Profil des BND soll in Zukunft also offenbar um die Aufgaben einer verdeckt arbeitenden Auslandspolizei ergänzt werden. Zu diesem Zweck soll der Dienst angelegentlich seines Umzugs nach Berlin, der gleichzeitig mit demjenigen der Regierung stattfinden soll, eine vergrößerte "Kopfstelle" in der Hauptstadt erhalten.

Diese künftige Nähe der BND-Zentrale zum Kanzleramt soll auch Schröders Wunsch entgegenkommen, von dem Geheimdienst jederzeit "umfassend und zeitgerecht" informiert zu werden, wenn es etwa darum geht, deutsche Soldaten zu Einsätzen in Krisengebiete zu entsenden. Und Krisengebiete nach jugoslawischem Muster, betont Hanning, gebe es ja immer mehr auf der Welt. Mehr, als irgend jemand geahnt hätte: Zwei Drittel der etwa 180 Staaten, die es derzeit auf der Erde gibt, so wurde am Rande des Karlsruher Verfahrens um den Nachrichtendienst bekannt, führt der BND seit einigen Monaten als "Gefahrengebiete", die angeblich einer Überwachung bedürfen.