Neue Kämpfe im Kosovo

Teil des Problems

Eigentlich wollte er den Job schon im Oktober an den Nagel hängen. Richard Holbrooke, der US-amerikanische Sonderdiplomat für den Balkan, hatte den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gerade wieder einmal zum Einlenken bewegt. Diesmal in der Kosovo-Krise. Die schon in Alarmbereitschaft versetzten Nato-Flieger blieben nach dem Deal vorerst auf dem Boden. Was genau der US-Troubleshooter mit Milosevic ausgehandelt hat, ist bis heute unklar. Gegenüber Newsweek dementierte der jugoslawische Präsident letzte Woche, daß in dem Abkommen jemals vom Einsatz ausländischer Truppen auf dem Territorium Jugoslawiens die Rede gewesen sei - auch nicht zum Schutz der 2 000 in die Krisenprovinz entsandten Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Klar war nach dem Treffen Mitte Oktober nur: Um die Vermittlung zwischen den Separatisten der Kosovo-"Befreiungsarmee" UCK und der jugoslawischen Regierung sollte sich künftig der US-Botschafter in Mazedonien, Christopher Hill, kümmern, die OSZE den von Holbrooke ausgehandelten Waffenstillstand überwachen. Holbrooke selbst war für neue Aufgaben auserkoren: Washington hält für ihn den Posten als US-Botschafter bei den Vereinten Nationen parat.

Doch es kam anders. Mitte letzter Woche tauchte Holbrooke erneut in Belgrad auf. Milosevic begrüßte ihn mit der Frage: "Sechs getötete Jugendliche. Und, was halten Sie davon?" Am Montag vor dem Besuch hatten zwei maskierte Männer in einem Café in Pec sechs serbische Schüler ermordet. Kurz zuvor waren bei einem Gefecht im Grenzgebirge zu Albanien 36 in UCK-Uniformen gekleidete Männer von serbischen Einheiten erschossen worden. In einem mehr als 100 Mann starken Trupp hatten die UCK-Kämpfer versucht, die Grenze von Albanien in die serbische Provinz zu überqueren. Nachdem Holbrooke abgereist war, kam es zu einer weiteren Ermordung: Der serbische Bezirksbürgermeister des Distrikts Kosovo Polje wurde am Freitag tot aufgefunden.

Das, was die OSZE-Beobachter und die Balkan-Kontaktgruppe erst für das Frühjahr prognostiziert hatten, ist nun schon drei Monate früher eingetreten: Der Konflikt um das Kosovo wird wieder militärisch ausgetragen. Beide Seiten rüsten auf. Diplomatische Versuche, die Konfliktparteien rechtzeitig vor einem Wiederaufflammen der Kämpfe an den Verhandlungstisch zu bringen, sind gescheitert. So haben beide Seiten die verschiedenen von Hill vorgelegten Entwürfe für eine Autonomie-Lösung abgelehnt: Die Delegation der Kosovo-Albaner, weil sie nur unter internationaler Vermittlung verhandeln wollen. Milosevic, weil er die Nato verdächtigt, mit ihrer in Mazedonien stationierten Schutztruppe für die OSZE-Beobachter eine "Aggression gegen Jugoslawien" vorzubereiten.

Und in der Tat könnte sich die ab Silvester einsatzbereite Nato-Sondereinheit bald zwischen allen Stühlen wiederfinden. Aufgestellt, um die OSZE-Beobachter vor Angriffen der Konfliktparteien zu schützen, ist sie nur einen Schritt davon entfernt, bei einem Eingreifen selbst zur Konfliktpartei zu werden. Bodentruppen wie Kampfjets sind - daran erinnerte Holbrooke Milosevic auch - weiter in Alarmbereitschaft. Die im Oktober vom Nato-Rat beschlossene "activation order" ist nie zurückgenommen worden.

Mit dem Verweis auf die Geiselnahme unbewaffneter Blauhelm-Soldaten durch bosnisch-serbische Einheiten zu Beginn des Bosnien-Krieges machte der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping am Wochenende Milosevic schon vorab für ein mögliches Scheitern der OSZE-Mission verantwortlich. Der jugoslawische Präsident beabsichtige, die Beobachter "nicht etwa Teil der Lösung des Problems werden zu lassen, sondern zum Teil des Problems zu machen". Dabei sind es vor allem die zerstrittenen kosovo-albanischen Kräfte, die einen Nato-Einsatz im Kosovo provozieren könnten.

Das belegt auch ein internes Dokument der Deutschen Botschaft in Belgrad: "Den aggressiven Part spielen eindeutig die Gruppen der UCK, die regelmäßig Polizeipatrouillen und Militärkonvois überfallen. Dadurch sind neue Zwischenfälle vorprogrammiert", berichtete der deutsche Militärattaché in Belgrad schon Ende November.

"Teil des Problems" dürfte deshalb weniger die mangelnde Bereitschaft Milosevics sein, den Übergriffen der UCK Einhalt zu gebieten, als der fehlende Willen Bonns, die Geld-Transfers der Exil-Kosovo-Albaner an die UCK zu stoppen.