Dimitroff liest Bubis

Willkommen am Stammtisch

Es ist schon eine Kunst, komplizierte Debatten aus dem Feuilleton der FAZ leicht faßlich aufzubereiten. Einer hat es versucht: "Bubis: Also, Walser, wenn Sie das nächste und das übernächste Gläschen bezahlen, nehme ich den 'Brandstifter' zurück. (...) Walser: Sie können das doch jetzt nicht einfach zurücknehmen. Das ist doch nicht koscher, alter Jud!"

So einfach ist das: Walser, ein Stammtischbruder, Bubis, ein Schacherer, der sich für ein paar Gläschen den Schneid abkaufen läßt. "Walser: (...) Nichts liegt mir ferner, als einen Schlußstrich zu ziehen. Aber wo finden Sie denn heutzutage noch ein ordentlich geführtes Judenlager? Da müssen Sie schon unwahrscheinlich Massel haben. Die Läger sind doch nun irgendwie völlig aus der Mode gekommen. Bubis: Schon wieder ein Mißverständnis zwischen uns beiden! Aber gut, wenn Sie den nächsten und den übernächsten Schoppen bezahlen, reden wir lieber von Frauen mit dicken Hintern." Eine mißglückte Satire, die nebenbei antisemitische Stereotype bedient? Die Stammkundschaft der jungen Welt wußte, wie sie den Text von Mathias Wedel zu interpretieren hatte. Ignatz Bubis, der korrupte Jude: Das Motiv war ihnen spätestens seit dem 22. August 1997 geläufig. Unter der Dachzeile "Ignatz Bubis und die Degussa einst und jetzt" breitete die Zeitung Spekulationen des Hobby-Historikers Hersch Fischler aus, Bubis habe früher Geschäfte mit der Degussa gemacht und wolle sie deshalb jetzt vor Entschädigungsforderungen in Schutz nehmen.

Antisemitismus? I wo, Hauptsache, der Klassenstandpunkt stimmt. Mit ihrem an Dimitroff geschulten untrüglichen Gespür für eben diesen Standpunkt fand die Zeitung dann ihren eigenen Zugang zur Bubis-Walser-Debatte. "Wer zuerst 'Faschist' schreit, hat recht", beginnt Arnold Schölzel seinen Artikel mit dem Untertitel "Martin Walser im Visier von Ignatz Bubis" und kommt zum Schluß - man ahnt es schon -, Bubis lenke nur von den wirklich Schuldigen ab: "Nicht die Antisemiten und Judenmörder in hohen und höchsten Funktionen des westdeutschen Gemeinwesens, einschließlich der Partei von Bubis, nicht die Weiterexistenz der Urheber und Profiteure von Krieg und Völkermord von Deutscher Bank bis Generalstab galten und gelten als Skandal." Im Grunde steckt der Jude mit dem Monopolkapital unter einer Decke, bzw. sitzt mit den Herrschenden an einem Tisch. Und beiden geht es nur ums Geld.

Vor diesem Hintergrund funktioniert auch Wedels Satire. Wedels Bubis-Karikatur geht es ausschließlich um finanzielle Wiedergutmachung. "Bubis: Wissen Sie, wenn Sie 'Schlußstrich' sagen, denke ich immer, Sie neiden meinen Glaubensbrüdern die Entschädigungszahlungen." Aber zufrieden wäre Wedels Bubis auch schon mit einer Einladung an den Stammtisch, und dort darf dann geflachst werden: "Walser: (...) Das ist ja hier trocken wie in der Gaskammer. Bubis: Das kenne ich - wenn man so richtigen Brand hat, das ist jedesmal wie ein kleiner ... Walser: Genau, wie ein kleiner Holocaust." Wenn Bubis' Geldgier gestillt wäre - so die Botschaft -, dann wäre der Holocaust für ihn kein Problem mehr. Da trifft sich der Kunst-Bubis paradoxerweise mit jW-Chefredakteur Holger Becker, für den der Holocaust schon immer ein überbewertetes Ereignis war: "Vorschub für die Instrumentalisierung von Auschwitz leistet im übrigen die Reduzierung des deutschen Faschismus auf Auschwitz. So läßt sich's an jedem 9. November, wenn von Hitler und den Deutschen die Rede ist, vom Kapitalismus gut schweigen." Hauptsache, der Klassenstandpunkt stimmt.