Die Eurotik des Geldes

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht unter dem Vorzeichen harter finanzpolitischer Verteilungskämpfe

Ein neues "linkes Europa" sahen viele Kommentatoren heraufziehen, als nach Großbritannien und Frankreich mit Deutschland der dritte große EU-Staat eine linke, sprich sozialdemokratische, Regierung bekam. Endlich eine EU also, die sich aus der Fesselung der neo-liberalen Pensée unique, post-thatcheristischer Europhobie und Waigelscher Stabilitätsbeschwörungen lösen würde? Eine EU, die sich auf der Suche nach "Jobs, Jobs, Jobs" auf den "dritten Weg" begibt?

Wohl kaum. Zwar erklären Joseph Fischer und Gerhard Schröder unisono, die Beschäftigungspolitik werde "erstes und wichtigstes Anliegen" der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, tatsächlich aber wird EU-Politik in den kommenden Monaten vor allem um ein Thema kreisen: Geld, Geld, Geld.

Dabei wird der Euro gar nicht mal mehr das wichtigste Thema sein. Die Tagesordnung bestimmen werden zumindest bis zum Brüsseler Sondergipfel Ende März die "wichtigen Reformen", die Kanzler Schröder der deutschen Fernsehnation in seiner Neujahrsansprache ankündigte: Unter deutscher Präsidentschaft will die EU das Reformprogramm "Agenda 2000" verabschieden, um die Erweiterung vorzubereiten. Erst dann will sich die Bundesregierung um einen neuen Beschäftigungspakt kümmern, der die deutsche Präsidentschaft krönen und auf dem Kölner EU-Gipfel im Juni verabschiedet werden soll.

Doch zunächst steht die Reform der EU-Agrar- und Strukturpolitik sowie die mittelfristige Finanzplanung auf der Tagesordnung - und damit verbunden der sogenannte "Nettobeitrag" Deutschlands. Die Aufgabe, diese Streitthemen bis Ende März vom Tisch zu bekommen, ist, wie Außenminister Fischer selbst einräumt, "ein dicker Brocken" - an dem sich die österreichische Präsidentschaft trotz großspuriger Ankündigungen verhoben hat. Bei jedem einzelnen Reformthema stehen wichtige Mitgliedsstaaten einer raschen Einigung im Wege. So sperrt sich bei der Strukturpolitik vor allem Spanien gegen eine Reduzierung der Förderung schwächerer Regionen mit Geldern aus dem EU-Haushalt.

Die in der Agenda 2000 enthaltenen Vorschläge von EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies sehen hingegen eine stärkere Konzentration der Mittel auf die bedürftigsten Regionen vor: Während bisher über die Hälfte aller EU-Bürger in geförderten Gebieten leben, sollen es künftig nur noch rund ein Drittel sein. Während Irland zukünftig wohl mit rückläufigen Strukturfondsmitteln leben muß, dürfte der deutsche Osten auch weiterhin zu den am stärksten geförderten Regionen gehören. Der sogenannte Kohäsionfonds, aus dem Griechenland, Spanien, Portugal und Irland bedient werden, wird wohl in eine zweite Runde gehen, obwohl er 1993 geschaffen wurde, um diese Länder für die Währungsunion fit zu machen. Die reicheren nördlichen Länder könnten sich im Gegenzug zusätzliche Mittel für die sogenannten Transeuropäischen Netze (Verkehrs-Infrastrukturprojekte) heraushandeln und für den Kohäsionsfonds eine eindeutige Befristung verlangen.

Die Vorschläge der Kommission zur Reform der Agrarpolitik, die immer noch fast die Hälfte des 170 Milliarden-Mark-Haushalts der EU ausmacht, stoßen vor allem auf den Widerstand Frankreichs. Die Schrödersche Bundesregierung hat hier die bisherige deutsche Haltung korrigiert, die sich mit der wenig logischen Maxime "Weniger Futter für die Kuh, gleich viel Milch für den Bauern" beschreiben ließe. Kohl, Borchert und Waigel wollten weniger nach Brüssel abführen, aber an der teueren EU-Politik kaum etwas ändern, um die Pfründe deutscher Bauern nicht zu gefährden. Die EU-Kommission will die Garantiepreise, die die Landwirte für ihre Produkte kassieren, absenken und dafür verstärkt auf direkte Einkommensbeihilfen setzen.

Der Vorteil: Erstens würden nur bedürftige Landwirte solche Hilfen erhalten und zweitens ließen sich Einkommensbeihilfen leichter nationalisieren bzw. nationalstaatlich ko-finanzieren. Die Chancen, daß Agrarkommissar Franz Fischler einen Teil seiner Pläne realisieren kann, sind durch den Regierungswechsel in Deutschland deutlich gestiegen. Aber auch die neue italienische Linksregierung definiert das "nationale Interesse" Italiens anders, als das ihre Vorgänger taten und unterstützt eine umfassende Reform des EU-Agrarmarktes. Die Gegner solcher Reformen, allen voran Frankreich, könnten sich ihre Zustimmung damit abkaufen lassen, daß die Umstellung auf nationale Ko-Finanzierung der Beihilfen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.

Grundsätzlich sind sich Deutschland und Frankreich und mit ihnen der Club der "Nettozahler" (Großbritannien, Finnland, Niederlande, Österreich und Schweden) einig, daß die EU-Ausgaben anders als bisher nicht mehr steigen, sondern auf dem bisherigen Stand von etwas mehr als 1,2 Prozent des Unions-Bruttosozialprodukts eingefroren werden sollen. Frankreich will dadurch vermeiden, stärker an den Kosten der Nettotransfers beteiligt zu werden. Die anderen hoffen, ihren "Nettobeitrag" - also die Differenz zwischen Abführungen an den EU-Haushalt und Rückflüssen in den jeweiligen Mitgliedsstaat - zumindest begrenzen zu können. Dafür müßte jedoch Frankreich seinen Beitrag erhöhen, und der Sonderrabatt für Großbritannien, den Margaret Thatcher 1988 handtaschenschwingend durchgesetzt hatte, müßte abgeschafft werden. Der britische Finanzminister Gordon Brown hat den Thatcher-Rabatt allerdings bereits für "non-negotiable" erklärt, während Staatspräsident Chirac unverblümt erklärte, er wisse nicht, warum Frankreich mehr zahlen solle.

Daß sich Nuancen im rot-grünen Dreigestirn erkennen lassen, dürfte die deutsche Verhandlungsposition kaum stärken: Fischer und Lafontaine geben sich kompromißbereit, während Schröder - wie schon seit Jahren und im Verein mit den Länderfinanzministern - fordert, Brüssel müsse mit geringeren Überweisungen aus Deutschland auskommen. Wie der deutsche Beitrag verringert werden soll, schweigt die Bundesregierung - genauso darüber, wie mit einem konstanten Haushalt und mäßigen Reformen die EU-Erweiterung gemeistert werden soll.

Grundsätzlich unstrittig im sozialdemokratischen Europa ist immerhin, daß mit der Einführung der Währungsunion eine Harmonisierung der Steuern notwendig wird, wenn die EU-Staaten die verschärfte Konkurrenz im Euro-Währungsraum nicht über einen Wettbewerb in der Disziplin Steuer-Dumping austragen wollen. Dabei stehen vor allem die weitere Harmonisierung der Mehrwertsteuer, aber auch - wesentlich wichtiger - eine EU-weite Besteuerung von Kapitalerträgen mittels einer Zinsabschlagssteuer zur Diskussion.

Daneben rückt 1999 eine EU-weite Einführung von Steuern auf den Energieverbrauch in den Bereich des Möglichen. Die Zinssteuer allerdings stößt nach wie vor in Luxemburg und Großbritannien auf wenig Gegenliebe. Die Briten sehen darin eine Gefahr für den Finanzplatz London und ihre Steuerparadies-Inseln im Ärmelkanal; Grund genug für die englische Sun, Steuerharmonisierer Lafontaine zum "gefährlichsten Mann Europas" zu erklären und so die auf diplomatischem Parkett bereits erreichte Annäherung zu torpedieren.

Bei all diesen Themen dürfte Solidarität unter den sozialdemokratischen Regierungschefs nur schwer erkennbar werden. Dabei wäre sie um so notwendiger, als die beiden EU-Institutionen, die sonst den Gemeinschaftszusammenhalt im Alltagsgeschäft verkörpern, im kommenden Jahr mehr oder weniger ausfallen: Die EU-Kommission geht wegen der vom Europaparlament verweigerten Haushaltsentlastung als "lame duck" in ihr letztes Jahr - spätestens im Herbst müssen sich die Staats- und Regierungschefs auf neues Personal für die 20 Kommissionsposten einigen.

Außerdem steht der Kommission ein Mißtrauensvotum bevor. Es ist zwar kaum wahrscheinlich, daß ein Mißtrauensantrag die notwendige Zweidrittelmehrheit erhält, um die Kommission abzusetzen. Aber selbst eine einfache Mehrheit gegen die Kommission käme ihrem politischen Todesurteil gleich.

Für die Abgeordneten des Europaparlaments selbst hat schon der Wahlkampf für die Wahlen im Juni begonnen. Da voraussichtlich im Mai der Vertrag von Amsterdam in Kraft treten wird, der die Rechte des Parlaments abermals erweitert, wird das neue Europaparlament allerdings mächtiger als jedes vor ihm. Und, ach ja, die neuen Europa-Parlamentarier werden erstmals alle gleich viel verdienen, wenn die sozialdemokratischen Herrscher der Mitgliedsstaaten diesem großen Schritt in Richtung Gleichheit nicht doch noch ihren Segen verwehren.