Ein Türke auf dem Hellweg

Baran Acar ist zwar kein Serientäter, aber vorbestraft und Ausländer. Deswegen will das Ausländeramt Bochum den gebürtigen Pöttler abschieben

Ein Kind von Traurigkeit ist der heute 21jährige Bochumer Baran Acar* vor seiner Volljährigkeit wahrlich nicht gewesen. Geprügelt hat er sich, gestohlen hat er - und sich erwischen lassen. Da war er gerade mal 13. Zur Strafe haben sie ihn ins Erziehungsheim gesteckt. Doch genützt hat es nichts. Als er wieder rauskam, "war mir alles ziemlich egal", erzählt er. Auf die Schule hatte der Junge keinen Bock mehr, machte oft blau. Mit Mühe und Not hat er noch seinen Hauptschulabschluß geschafft. Den anschließenden Schweißerlehrgang hätte er sich gut sparen können, einen Job fand er selbstverständlich nicht. Statt dessen machte er mit Kumpels die Gegend unsicher: "Da ging es härter zur Sache."

Was er damit meint? Eine breit gefächerte Palette sogenannter milieubedingter Straftaten, alle begangen zwischen April und November 1994: Diebstähle, Körperverletzungen, einfacher und schließlich schwerer Raub - er hatte jemanden mit Reizgas bedroht, um an einen Walkman zu kommen. Und natürlich haben sie ihn wieder erwischt. Nun war Knast angesagt. Zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilte ihn das Amtsgericht Bochum im April 1995. Im Januar 1997 wurde er vorzeitig auf Bewährung entlassen.

Seitdem ist der 1977 in Witten Geborene nicht mehr straffällig geworden. Doch dem Ausländeramt der Stadt Bochum reicht das nicht. Denn dem Ruhrpottler mit der kriminellen Vergangenheit fehlt zu einer anerkennenswerten Resozialisierung ein entscheidendes Detail: die deutsche Staatsbürgerschaft. Baran Acar ist dem Gesetz nach Türke - also ein "krimineller Ausländer". Und was mit denen geschehen soll, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits vor Amtsantritt unmißverständlich deutlich gemacht: "Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: Raus und zwar schnell." So sieht das auch die Ausländerbehörde im sozialdemokratisch regierten Bochum. Am 23. Juni 1997, ein halbes Jahr nach Arcans Haftentlassung, verfügte sie die Ausweisung. Seitdem kämpft der Jugendliche um seinen Verbleib in der Bundesrepublik. Seit Ende letzten Jahres berät das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht über den Fall. Mit einer Entscheidung wird in den nächsten Wochen gerechnet. "Ich habe viel Mist gebaut - und dafür war ich im Knast", meint Baran Acar heute.

Daß er für seine Taten ein zweites Mal bestraft werden soll, versteht er nicht. Er will die Chance für einen Neuanfang. "Ich lebe in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden", sagt Baran Acar. In der Türkei zu leben, ist für ihn unvorstellbar. Was soll er dort? Es ist für ihn ein fremdes Land und Türkisch eine fremde Sprache, die er nur schlecht beherrscht. Die letzte Verbindung in das Land seiner Vorfahren war sein Vater gewesen. Doch der ist gestorben, während sein Sohn im Knast saß. Das letzte Mal hatte Baran Acar ihn vor 18 Jahren gesehen - damals war er drei Jahre alt gewesen. 1978 ist der Vater in die Türkei zurückgegangen. Seine Frau und ihre sechs Kinder folgten kurze Zeit später. Aber das Familienglück in der neuen, alten Heimat hielt nur zwei Jahre.

Die Mutter wollte wieder nach Deutschland. Sie verließ ihren Mann und kehrte 1980 mit den Kindern zurück ins Ruhrgebiet. Seitdem hat Baran Acar die Türkei nicht mehr gesehen. Daß das sein "Heimatland" sein soll, kann er nicht begreifen. Seit seiner Haftentlassung hat sich viel im Leben Baran Acar geändert. "Den Kontakt mit den alten Kollegen habe ich abgebrochen", erzählt Baran Acar. Er hat sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Inzwischen ist er Familienvater: Im März letzten Jahres heiratete er seine Lebensgefährtin Melanie; im September wurde ihr Sohn geboren. Auch beruflich sieht es nicht schlecht für ihn aus: Noch im Knast hatte Baran Acar seinen Berufsschulabschluß gemacht und eine Lehre zum Hochbaufacharbeiter absolviert. Er hat sogar die feste Zusage eines Bauunternehmers, bei dem er sofort anfangen könnte - wenn das Ausländeramt ihn denn ließe.

Doch Acar darf nicht arbeiten. Die Behörde verbietet ihm jede Erwerbstätigkeit. "Baran ist nach seiner Entlassung nicht mehr straffällig geworden, hat einen Beruf erlernt und eine Familie gegründet - mehr kann man eigentlich nicht machen." Für Acars Anwalt Heinz Weißenberg ist das Verhalten des Ausländeramts ein Skandal. Er sieht Parallelen zum Fall "Mehmet" - nur daß eine mögliche Abschiebung seinen Mandanten noch härter treffen würde, so Weißenberg. Schließlich habe Arcan Frau und Kind, die er zurücklassen müßte. "Das Interesse an der Entfernung ist anscheinend höher als das an der Wandlung meines Mandanten", konstatiert der Anwalt bitter. "Man fragt sich doch, warum man jemanden resozialisiert, wenn man ihn anschließend ausweist?" Das Ausländeramt will diese Frage zur Zeit nicht beantworten. Mit Hinweis auf das laufende Verfahren verweigert es jede Stellungnahme zum "Fall Arcan".

* Name von der Redaktion geändert.