Nationale Beichte

Der Nächste, bitte! Nach Horst Mahler setzt jetzt auch Ex-Apo-Ideologe Bernd Rabehl auf die nationale Revolution.

Wer hat unter Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt zwischen 1966 und 1969 in der CDU/CSU/SPD-Koalition mitgearbeitet? Schlag nach bei Rudi Dutschke: In der Großen Koalition "vereinigen sich zum Zwecke der Niederhaltung der Massen heute alle Fraktionen des Gesamtapparates, die ehemaligen Faschisten und bestimmte Sorten von Widerstandskämpfern, die staatlich-gesellschaftliche Bürokratie, umarmen sich die liberale Bourgeoisie, die Vertreter der Monopole, die Arbeiterverräter aus den Gewerkschaften, richten sich die Manipulationszentren, die Augsteins und Springers, ein. Zusammen bilden sie die anonyme Aktienkompanie, den subtilen und - wenn nötig - manifesten Terrorismus der Klassenherrschaft des Spätkapitalismus."

Eine bunt zusammengesetzte Truppe also, die zusammenfassend auch gerne als "Establishment" bezeichnet wurde. Im gleichen Zusammenhang - es ging um "Die geschichtlichen Bedingungen des internationalen Emanzipationskampfes" - ging Dutschke auf ein Defizit ein: "Es fehlen noch die Dialoge der Intellektuellen mit dem Volk, und zwar schon auf dem Standpunkt der wirklichen, das heißt der unmittelbaren und historischen Interessen des Volkes." Insofern hänge es "primär von unserem Willen ab, wie diese Periode der Geschichte enden wird."

Im vergangenen Jahr wurden solche Erkenntnisse 30 Jahre alt, und zum Jubiläum machten ehemalige Genossen Dutschkes deutlich, daß es im Fortgang der Geschichte immerhin gelungen ist, dem Volk seine unmittelbaren und historischen Interessen abzulauschen. Der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler (vgl. Jungle World, Nr.1/98), ehemals aktiv im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) sowie für die Rote Armee Fraktion (RAF), formulierte das vor einigen Tagen in einem Interview mit dem Magazin Focus so: "Vordringlichstes Ziel: Es muß die Staatsbürgerschaftsnovelle verhindert werden. Sie öffnet der Überfremdung Schleusen, die mit rechtlichen Mitteln nicht mehr zu schließen sind (...). Über Staatsbürgerschaftsrechte muß allein das Volk entscheiden, nicht die staatstragenden Parteien oder der Zentralrat der Juden."

Man sieht: ganz der alte Kämpe - rigoros im Habitus, klar in der Analyse, nicht zimperlich in der Feindbestimmung. Und philosophisch noch immer auf Augenhöhe mit dem deutschen Volk: "Daß ein Volk eine Heimat braucht und versucht, fremde Einflüsse zurückzudrängen, ist nicht Ausdruck einer unmenschlichen Ideologie, sondern normale Lebensäußerung." Und warum wird Martin Walser so kritisiert? "Martin Walser wird geschunden, weil er das allgemeine Unbehagen der Deutschen über die Moralkeule des Holocaust formuliert hat. Seine simpel argumentierenden Kritiker haben keinerlei Kontakt mit dem Volk. Diese Traumtänzer sollten mal hören, was Normalbürger sagen."

Sätze, die jeder versteht, hat jüngst auch ein anderer Weggefährte Dutschkes ausgesprochen - und das, obwohl er mittlerweile Soziologieprofessor ist. Bernd Rabehl, ehemals führendes Mitglied des SDS, referierte Anfang Dezember bei den "Bogenhausener Gesprächen", die von der Münchener Burschenschaft Danubia veranstaltet werden. Die Danubia wird von Kennern des studentischen Verbindungswesens als "eindeutig rechtsradikal" eingeordnet. Innerhalb des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft ist sie in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft fraktioniert, deren Mitglieder besondere Präferenzen für Nationalrevolutionäre hegen. Leute wie Henning Eichberg, der "Rudi Dutschke von rechts" (Günter Bartsch), standen dort schon in den siebziger Jahren hoch im Kurs.

Hier referierte Rabehl über "1968 - Symbol und Mythos", als Nachredner Mahlers, der auf der gleichen Veranstaltung einen Vortrag "Über Apo und RAF zu neuem Denken und neuer Politik" hielt. Rabehl, dessen Vortrag von der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit nachgedruckt wurde, machte den "ethischen und moralischen Zusammenhalt der zentraleuropäischen Völker" zu seinem Thema, warnte vor "politischer Überfremdung" durch die "Partisanenformationen der internationalen Bürgerkriege" und legte auch Zeugnis ab zur Historie: "Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im 2. Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen überdecken."

Zugleich beklagte er eine "grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur", ferner die "Zersetzung der nationalen Identität" durch die "kapitalistische Umwertung der Werte in Deutschland", um schließlich leicht resignativ zu enden: "Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von 'Eliten' beherrscht wird, die von 'außen' geprägt sind und keine innere Verantwortung haben."

Damit hatte Rabehl genau jenen Gedankenschutt abgeladen, der den politischen Vorlieben und Kapazitäten seines Auditoriums entsprach, denn im gesamten Nazi-Kosmos dürfte die nationalrevolutionäre Idee die dümmste und die gefährlichste sein: Dumm, weil die um den Leitbegriff "Identität" gruppierte Agitation sich auf die Kategorien "Selbst" und "Fremd" beschränkt und damit von der begrifflichen Ausstattung her etwas ärmlich geraten ist; gefährlich, weil die völkischen Wahrheiten mit ihrem egalitären und gegen die "wirklich Verantwortlichen da oben" gerichteten Gestus rasch in Rebellion umschlagen können - die Riots in Hoyerswerda und Rostock waren nichts anderes.

Der Politikwissenschaftler Reinhard Opitz hatte bereits Mitte der achtziger Jahre kritisch auf die "alte nationalrevolutionäre Devise" hingewiesen, "daß 'Widerstand' schon alles sei, was das Bewußtsein der volklichen 'Eigenart' gegenüber dem 'Fremden' wiedererwecke."

Daß (ehemalige) linke Widerstandskämpfer mit denen von rechts zusammenkommen, ist nicht neu. Das Medium solcher Symbiosen ist in aller Regel der Kampf um "nationale Befreiung" und/oder "nationale Identität", der in dezentralisierter Form als heimattümelnder Naturkitsch oder als regionale Lebensraumphantasie daherkommt; eine Vor-Ort-Attitüde, die jungen deutschen Revolutionären in ihrem Verlangen nach Unmittelbarkeit entgegenkommt und in ihren Auswüchsen Anfang der achtziger Jahre dazu führte, daß sich jede zweite westdeutsche Ortschaft zur "atomwaffenfreien Zone" erklären mußte.

Dies war meist links gemeint, wurde aber von rechts begrüßt, weil sich die Aktionen gegen die militärpolitische Kolonisierung Deutschlands durch die Supermächte USA und UdSSR richteten. Ein Horror, der auch Rudi Dutschke in seinen letzten Lebensjahren umtrieb: In der Zeitschrift Das Da - Avanti beklagte er 1977/78 einen "Auflösungsprozeß der geschichtlichen und nationalen Identität", gleichzeitig agitierte er - unter dem Beifall des prominenten Nationalrevolutionärs Henning Eichberg - für eine deutsche "Wiedervereinigung" und gegen die "Amerikanisierung und Russifizierung" der deutschen Heimat.

Mit Blick auf die individuellen und kollektiven Metamorphosen der Apo-Aktivisten ist im gerade abgelaufenen Jubiläumsjahr auch die Frage gestellt worden, ob sich Anzeichen für Dutschkes nationale Wendung bereits "in seiner internationalistischen Phase auffinden lassen"? Jürgen Elsässer (Jungle World, Nr.17/98) findet sie in einer Imperialismus-Theorie, die, anstelle der über das Wertgesetz vermittelten, die politisch-militärischen Aspekte von Herrschaft betont, sowie in Dutschkes Weigerung, sich mit den Besonderheiten der deutschen Geschichte zu befassen.

Was Elsässer fast pietätvoll als "Irrtümer" bezeichnet, macht für Professor Rabehl das bleibende Verdienst der Apo aus: Diese habe, so Rabehl in seinem Vortrag, die "nationale Frage" bereits in ihrer Konstituierungsphase erkannt, und "antiamerikanisch und antirussisch" beantwortet. "So gesehen gehörten die 'Nationalrevolutionäre' Dutschke und Rabehl zu keinem Zeitpunkt zur traditionellen Linken (...). Zurückzufinden zu den nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit war ein Anliegen des antiautoritären Aufbruchs dieser Zeit".

Die "Intelligenz", so Rabehl, habe damals die im Aufstand vom 17. Juni 1953 symbolisierte "Erbschaft der Arbeiterbewegung übernehmen" müssen. "Sie war so etwas wie Übersetzer, Bewahrer und Verkünder und legte dadurch den Keim eines nationalrevolutionären Aufbruchs. Aus der sozialen Mitte kamen schon deshalb keinerlei Impulse, weil der Mittelstand durch die NS-Diktatur kompromittiert war, im Osten enteignet wurde und im Westen sich dem Diktat der Besatzungsmächte unterwarf. Er war fett und impotent."

Der Vietnam-Kongreß von 1968, so Rabehl, habe die "Keimformen einer europäischen Befreiungsfront" gelegt, "um die Großmächte und ihre Kollaborateure aus Europa zurückzudrängen". Erste "Anzeichen einer deutsch-deutschen Revolte" habe man aber bereits 1967 beobachten können: Als der Leichnam Benno Ohnesorgs von Berlin nach Hannover überführt wurde, hätten "DDR-Jugendliche" auf den Autobahnbrücken gestanden und "den West-Berliner Studenten ihr Mitgefühl" mitgeteilt. Zerschlagen wurde die Apo-"Radikalopposition" von "traditionellen Sozialisten, Parteigängern der SEW und SED oder der illegalen KPD" sowie durch "die unterschiedlichen Geheimdienste in Ost und West".

So habe dann Dutschke bis zu seinem Tod 1979 versucht, die von den "amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944/45" initiierte Zerstörung der "nationalen Identität" aufzuhalten und zu diesem Zwecke die "konservativen Tugenden von Verläßlichkeit, Aufrichtigkeit, Verantwortung, aber auch tiefe Verbundenheit zu Natur und Heimat" entdeckt.

Daß in Deutschland ein Professor solche Positionen vertritt, ist nicht ungewöhnlich. Bei Rabehl war es abzusehen. Hatte noch im Januar 1997 der Münchener CSU-Chef Peter Gauweiler in der FAZ mißtrauisch darüber räsoniert, ob des Professors kurz zuvor abgelegtes Bekenntnis zu einer "nationalen Rückbesinnung" glaubhaft sei, drängt Rabehl nun mit Vehemenz darauf, zu den Veteranen der Bewegung gezählt zu werden. Das wirkt wie ein vorauseilender Treueschwur, ist aber grotesk. Rabehls frühere Schriften jedenfalls geizen mit nationalen Inhalten weit mehr als die Dutschkes; auffällig ist allenfalls eine Vorliebe für alles Substantielle, die sich in einer Kritik der Dominanz der "Waren-Sphäre" und des Reklamewesens äußert.

Der Aufsatz "Von der antiautoritären Bewegung zur sozialistischen Opposition" ist von keinerlei nationalrevolutionären Gedanken getrübt, im Gegenteil: "Während die akademische Jugend in den Freikorps direkt die deutsche sozialistische Revolution niedermetzelte, baute sie die Universitäten zu Hochburgen des antidemokratischen Denkens und der völkischen Propaganda aus, die die 'Schande' von Versailles nicht hinnehmen wollte und sich nach einem völkischen Führerstaat sehnte". Der gleiche Aufsatz fordert allerdings, "nach Auschwitz" dürfe über die US-Verbrechen in Vietnam nicht nur "moralisch dahergeschwafelt" werden.

Auch während der siebziger Jahre, Dutschke war auf dem Weg zu den National-Ökologen Herbert Gruhl und Baldur von Springmann, hat sich Rabehl nicht als Nationalrevolutionär ausweisen können. Er veröffentlichte regelmäßig in der Zeitschrift Probleme des Klassenkampfes, wo er 1976 zur Unterstützung der vietnamesischen Revolution für eine "Einheitsfront" votierte, die - unter Ausschluß der K-Gruppen - "von der linken Sozialdemokratie, über linke Gewerkschaftler bis zur DKP" reichen sollte: ein Spektrum, das unter Nationalrevolutionären verhaßt war wie kein anderes.

Fast schon tragikomisch, daß die Redakteure der Jungen Freiheit dem neuen Mitstreiter nicht einmal zuhören mögen. Rabehls Münchener Vortrag wird dort so resümiert: "Die Studentenbewegung hätte die bislang nur punktuell erfolgreiche reeducation der Deutschen durch die amerikanische Besatzungsmacht de facto fortgesetzt und popularisiert. Dadurch sei Deutschland von seinen alten Eliten getrennt und zunehmend seiner Identität beraubt worden."

So klingt Rabehls Angebot, die ganze Apo-Geschichte neu zu lesen, wie eine Beichte ohne Ablaß. Denn in der Diskussion über seinen Vortrag herrschte (laut Junge Freiheit) unter den jungen Nationalen Einigkeit, daß eine neue Elite "dem heute von alten 68ern geprägten Establishment zum kulturellen Kampf um die Hegemonie entgegentreten" müsse. Hier gilt - vorerst - weiter, was die in Westberlin ansässige nationalrevolutionäre Basisgruppe namens Außerparlamentarische Mitarbeit seinerzeit forderte: "Zerschlagung der Apo auf der Straße und in den Institutionen.