Umsonst telefonieren? Umsonst arbeiten!

Ein Jahr freier Markt: Die Geschäfte mit Telekommunikationsdienstleistungen laufen prima

Sirenen heulen, Scheiben klirren, Flics rennen, Autos brennen, Jungs jubeln, Granaten qualmen, Steine fliegen - Neujahr. Strasbourg sagt Bonjour. Bon, denkt Michel und dreht den Punksong lauter, denn Michel Bon, Direktor der France Télécom, hat viel Spaß beim Neujahrspogo. Wieder neun Telefonzellen weniger. Unrentable Glaskästen in den Banlieues, die nur Ärger machen. Ständig vollgetagt, aufgebrochen, vollgepißt. Weg damit. Das spart Kosten. Wessen Straße ist die Straße? Bon. Wer kein Handy hat, was muß der quatschen?

Berlin, Brandenburger Tor. Rote Bäckchen schlürfen Rotkäppchen. Auch die Deutschen lieben an Neujahr den Kampf - den Preiskampf der Telefonanbieter. Umsonst telefonieren mit Mobilcom. Am Abend, aber fasse dich kurz, denn in 60 Sekunden muß alles gesagt sein. Elegant, daß die Abmahnung von der Zentralstelle zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs prompt kommt. Und Zentralstellen-Sprecher Hans-Frieder Schönheit darf zeigen, daß nicht nur Banker zwischen den Jahren arbeiteten. "Für den Verbraucher war nicht erkennbar genug, wann die kostenlose Telefoniermöglichkeit endete." Außerdem sei das "Verschenken einer Originaldienstleistung" nur in bestimmten engen Grenzen möglich.

Das Einsparen von ungefähr zwölf Pfennig oder gut sechs Cents an Telefongebühren zählt offenbar nicht dazu. Den geizigen Deutschen, die nun von der Kundenakquise-Abteilung genervt werden, da sie für das Mobilcom-Schnäppchen ihren Namen, Adresse und Rufnummer preisgeben mußten, war das allerdings einige Mühe wert. Lange Wartezeiten gab es an den nur 23 Übergabepunkten von Mobilcom in das Festnetz der Telekom.

Wenn es allen besser gehen wird, muß selbstverständlich einer nörgeln. Kurt van Haaren, Chef der Deutschen Postgewerkschaft, hat einen "völlig irrsinnigen Preiskrieg und Unterbietungswettbewerb um das Telefonieren" entdeckt. Die "billigen Jakobs auf dem Telefonmarkt", so der Pazifist, gefährdeten in hohem Maße Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Telekommunikationsbranche. Auch sei die Qualität der Dienstleistungen bedroht, da die Billiganbieter nicht in die Technik investierten.

Auch in Frankreich meckern Gewerkschafter. Ihnen geht die Privatisierungspolitik der sozialistischen Regierung zu weit. Bereits im Herbst 1997 wurde rund ein Drittel der Télécom-Aktien an der Börse verscherbelt - 7,5 Prozent an die Deutsche Telekom, die seit längerem eine strategische Allianz namens Global One mit der französischen Gesellschaft und dem US-Anbieter Sprint bildet. Ein Jahr später wurden weitere Prozente verkauft. Opponiert haben diesmal nur die kommunistische CGT und die linke Basisgewerkschaft Sud. Auch die Télécom-Beschäftigten, die ursprünglich gegen die Privatisierung eingestellt gewesen waren, blieben ruhig. Grund war der Kursanstieg der Aktie, die für die Wertpapiere besitzenden Beschäftigten seit ihrer Ausgabe 140 Prozent Gewinn gebracht hat.

Die Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaften ist dabei weder ein französisches noch ein deutsches Phänomen, sondern ein globales. Seit den achtziger Jahren wurden die ehemals staatlichen Verwaltungen zu Unternehmen ohne öffentliche Förderung umgewandelt. In vielen Ländern - insbesondere in Europa - wurde in einem ersten Schritt die Telekommunikation von der Post abgespalten, um sie vom personal- und somit kostenintensiven Brief- und Paketdienst zu trennen, eine flexiblere Arbeitsorganisation durchzusetzen und Quersubventionierungen zu verhindern. Freier Markt bedeutet damit auch höhere Gebühren: zum Beispiel bei der Auskunft der Deutschen Telekom, der kartellrechtlich aufgetragen wurde, kostendeckend zu arbeiten.

Die privatisierten Telefongesellschaften geraten zunehmend unter den Druck der Kapitalverwertung. Folge sind einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen - bis zum Jahr 2000 will beispielsweise die Deutsche Telekom 20 000 Arbeitsplätze abbauen. Darüber hinaus ändert sich die Unternehmenspolitik grundlegend.

Stand früher die Ausrichtung auf die nationale Telefonversorgung im Vordergrund, so geht es nun um den Kampf um Anteile an einem immer noch weltweit wachsenden Telekommunikationsmarkt. Allein in der EU werden nach Angaben der Brüsseler Kommission derzeit rund 140 Milliarden Euro mit Telekommunikationsdienstleistungen jährlich umgesetzt. Tendenz steigend. Kein Wunder, daß sich internationale Verbindungen und strategische Allianzen bilden, um von dem großen Kuchen ein Stückchen abzubekommen.

Für Global One sprach bereits 1994 der damalige Telekom-Chef Helmut Ricke eine deutliche Sprache. Der Kommunikationskonzern werde sich "zu einem weltweiten Diensteanbieter mit europäischer Basis" wandeln. Dem deutsch-französischen Block gelingt es dabei relativ gut, sich der amerikanischen (AT&T) und britischen (BT) Konkurrenz zu erwehren. Auch ein Jahr nach der deutschen Marktliberalisierung hat die Deutsche Telekom noch einen Anteil von mehr als drei Vierteln, während sich die Konkurrenz, die zum Teil mit den angelsächsischen Konzernen zusammenarbeitet, mit dem Rest begnügen muß.

Forciert wird diese Entwicklung durch die internationale Telekommunikationspolitik. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen trat im Februar 1998 das Telekommunikationsabkommen der Welthandelsorganisation WTO in Kraft. Darin versuchten die Verhandler aus den USA, Europa und Japan, im Sinne ihrer nationalen Konzerne die weitgehende Öffnung fremder bei relativer Abschottung der Heimmärkte durchzusetzen. So kommt denn auch in Europa die vollständige Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte, die seit einem Jahr laut EU-Richtlinie verwirklicht sein müßte, immer wieder ins Stocken. 1997 mußte die EU-Kommission gar Vertragsverletzungsverfahren einleiten, um Druck gegenüber Belgien, Griechenland, Irland, Luxemburg und Portugal aufzubauen.

In Deutschland hingegen gibt es kaum Probleme bei der Umsetzung der von EU-Kommissar Martin Bangemann überwachten Richtlinien. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, dem auch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RTP) untersteht, meinte vor dem Jahreswechsel, daß Änderungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) nicht notwendig seien. Vorrangiges Ziel des Gesetzes, das die alte Bundesregierung durchsetzte, ist es laut Präambel, einen "chancengleichen Wettbewerb" herzustellen und einen "funktionsfähigen Wettbewerb" zu sichern. Ausdrücklich ist der Wettbewerb also nicht Mittel zu irgendeinem Zweck - z.B. eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu garantieren -, er ist selbst das Ziel.

Die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind offenkundig: Die von den neuen Anbietern geschaffenen Jobs - zumeist tariflich nicht abgesichert - werden nicht den Verlust an Arbeitsplätzen ausgleichen, der durch die Rationalisierungen bei der Deutschen Telekom entsteht - gleichzeitig steigen Umsätze und Gewinne der Telekommunikationskonzerne.

Damit dies auch in Zukunft so bleibt, locken nun alle mit verwirrenden Sonderangeboten. Umsonst telefonieren - daß das funktioniert, glaubt nicht einmal der vehementeste Verfechter des freien Marktes. Umsonst arbeiten schon eher.