Der Zorn einer Kommunistin

Aufregung in der DKP: Eine zaghafte Kritik am Antisemitismus der russischen Genossen sorgt für Streit

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) steht für Kontinuität. Dies gilt besonders für ihr Organ Unsere Zeit (UZ). Wer das Blatt kennt, weiß, daß zwischen den Zeilen lesen muß, wer Interessantes aus dem Innenleben der Partei erfahren will. So meldete die Zeitung am 4. Dezember Ungewöhnliches über die Parteivorstandstagung: Das einleitende Referat der stellvertretenden Parteichefin Bruni Steiniger sei nicht gebilligt worden.

Warum? "Falsche Schwerpunktsetzung", hieß es. Zudem sei die "reale Entwicklung der DKP nicht erfaßt" worden. Manches Detail wollten die UZ-Redakteure jedoch nicht erwähnen. So sucht man nach dem wohl entscheidenden Vorwurf gegen Steinigers Vortrag vergeblich: "Verkürzte Bewertungen von außenpolitischen Prozessen sowie verkürzte sowie verklärte Darstellung der Entwicklung anderer kommunistischer Parteien nahmen einen zu breiten Raum gegenüber den inneren politischen Fragen ein."

Was sich hier wie üblicher Kaderkauderwelsch liest, trifft einen wunden Punkt der Partei. Steiniger hatte der Kommunistischen Partei Rußlands (KPRF) einen "spürbaren Aufschwung" bescheinigt und zur "gegenwärtigen Antisemitismus-Kampagne innerer und äußerer Kräfte gegen die KPRF" kategorisch erklärt: "An diese Frage muß man klassenmäßig herangehen. Wir sind für jüdische Werktätige und gegen jüdische Kapitalisten wie wir gegen deutsche, russische und französische Ausbeuter sind."

Zwei Wochen später meldet die UZ den Rücktritt Steinigers. Dieser Schritt sei "aus Protest gegen die vom Parteivorstand gebilligte Haltung des DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr zur verleumderischen Kampagne gegen die KPRF" erfolgt, ließ die Politikerin wissen. Dieser Punkt, dem sich Steiniger in ihrem Rücktrittsschreiben vor allem widmet, wird in der UZ nur kurz erwähnt. Anlaß des Zorns der Kommunistin ist ein Brief des Parteivorsitzenden Stehr an seinen russischen Amtskollegen Gennadi Sjuganow vom 18. November. Der Kern seines Anliegens: die Presseberichte über die antisemitischen Positionen in der KPRF. Von Vorsitzendem zu Vorsitzendem schreibt Stehr in devotem Ton: "Du wirst verstehen können, daß bei der Geschichte unseres Landes die Haltung zum Antisemitismus für die Glaubwürdigkeit unserer Politik insgesamt eine große Rolle spielt. Selbstverständlich wissen wir, daß Medien im Imperialismus genutzt werden für Desorientierung und Diskreditierung kommunistischer Politik. Daher bitten wir Dich und Euch um Aufklärung."

Stehr wollte wohl den Bären waschen, ohne ihm den Pelz naß zu machen. So jedenfalls muß man die Begründung seines Briefes interpretieren: "Lieber Genosse Gennadi Sjuganow, wir bitten um schnellstmögliche Antwort, auch um denjenigen entegegenzutreten, die mit dem Hinweis auf scheinbar vorhandenen Antisemitismus in der KPRF die DKP diskreditieren wollen."

Zwar ging mit Stehrs Brief der innerparteiliche Eiertanz erst richtig los, für Stimmung hatte vorher jedoch schon der alte Antifaschist Emil Carlebach gesorgt: Noch vor der Parteivorstandstagung schlußfolgerte er in einer UZ-Kolumne: "Sollten die Berichte aber auf Wahrheit beruhen, so kann die DKP nur eine Haltung einnehmen: Entweder die KP Rußlands trennt sich von den Rassisten, oder sie kann nicht als Kommunistische Partei angesehen und behandelt werden."

Resultat dieser Analyse war eine Flut von Leserbriefen. Während einige Carlebachs Kritik zustimmten, kam Widerspruch gerade von den ostdeutschen Mitgliedern. Sie warfen der UZ-Redaktion vor, sie stelle sich "in eine Reihe mit Herrn Bubis als einen der Wortführer, wenn es gegen Kommunisten geht". Stehrs Brief unterstütze "die antikommunistische Kampagne nationalistischer Kräfte gegen die aufstrebenden Linken in Rußland". Die antisemitischen Ausfälle des Duma-Abgeordneten Albert Makaschow seien ein Einzelfall gewesen, der die KP nun mit Hilfe einer Medienkampagne in Verruf bringe. Bruni Steinigers Ehemann Klaus sprach gar von einer "fast alle großen Moskauer Privatbanken kontrollierenden Zionistenmafia". Und: "Daß sich der FDP-Spitzenpolitiker, Immobiliengroßhändler und Multimillionär Ignatz Bubis (...) an dieser Verleumdungskampagne beteiligt, erscheint mir nur allzu verständlich."

Dem Frankfurter Kommunisten Peter Gingold "stockt der Atem" bei solchen Parolen. Andere (west-)deutsche Parteigänger forderten, die DKP müsse "Glaubwürdigkeit zurückgewinnen", und warfen dem Blatt vor, daß kritische Leserbriefe zum Verhältnis der russischen KP zur faschistischen Russischen Nationalen Einheit nicht veröffentlicht worden seien. Die Redaktion der UZ reagierte nicht auf solche Mahnungen. Im Gegenteil. Als wolle man dem selektiven Umgang mit der Wirklichkeit nachträglich Rückendeckung geben, wurde eine Stellungnahme der nordkoreanischen Botschaft im Auftrag des Zentralkomitees der dortigen Partei der Arbeit kommentarlos abgedruckt. Man habe selbstverständlich, so war dort zu lesen, "mit faschistischen Kräften weder in Deutschland noch sonstwo auf der Welt jemals Kontakt in irgendeiner Form" gehabt. Zu dumm, daß ein Bild vom Besuch einer Delegation der NPD in der Botschaft Nordkoreas zuvor in der Deutschen Stimme der NPD abgedruckt worden war.