Deutsche Scholle Tropical

In der hessischen Kleinstadt Witzenhausen lebt die Tradition der "Deutschen Kolonialschule" auch nach 100 Jahren fort

"Hurrah! Die Kolonialschule ist da!" titelte am 23. Mai 1898 eine Extra-Ausgabe des Witzenhäuser Kreisblatts. Endlich sollten in Deutschland Kolonialbeamte und Tropenpflanzer für ihre Aufgaben in Übersee fundiert ausgebildet werden. Als Standort für die Deutsche Kolonialschule (DKS) hatte sich die Trägergesellschaft für die Kleinstadt in der hessischen Provinz entschieden. Deren Bürger freuten sich so über die Nachricht, daß sie die Stadtkapelle holten und dem Bürgermeister ein Ständchen spielen ließen. Bis die Lehranstalt in die dicken Gemäuer eines alten Wilhelmitenklosters einzog, dauerte es allerdings noch bis Mai 1899.

Hundert Jahre später ist das Vergnügen nicht mehr ungeteilt. Im Zuge des Jubiläums wird an der Schule heftig über die Vergangenheit gestritten. Die DKS heißt seit 1956 zwar Deutsches Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft (DITSL) und widmet sich in Zusammenarbeit mit der Gesamthochschule Kassel der Ausbildung von Entwicklungshelfern. Unbestritten ist aber, daß das DITSL "seine Wurzeln in der DKS hat", wie Dekan Eckhard Baum ausdrücklich betont.

Genau dieses Selbstverständnis nehmen nun Studierende zum Anlaß, eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte einzufordern, die sie nach wie vor mit Tabus belegt sehen. "Letztlich will man die verheerenden Auswirkungen des Kolonialismus nicht zur Kenntnis nehmen und versucht, die Vergangenheit noch immer zu glorifizieren", erklärt Martin Röder, einer der Initiatoren einer kritischen Ausstellung zur Geschichte der DKS. Solche Äußerungen lösen wütende Reaktionen aus. Um "eine endlose Kette von Unwahrheiten und zielgerichteten Geschichtsverfälschungen" handele es sich bei den Aktivitäten, meint beispielsweise Klaus Lindemann. Er ist Vorsitzender des Verbands der Tropenlandwirte, der Vereinigung ehemaliger Absolventen der Schule.

Doch allein die Zielsetzung, mit der die DKS gegründet wurde, verrät, daß hier Chauvinismus und Rassismus aggressivster Prägung Leitideologie für den Schulbetrieb waren. Seit der sogenannten Afrikakonferenz zur Jahreswende 1884/85 in Berlin trat Deutschland als Kolonialmacht auf. Anläßlich der alljährlichen "Reichsgründungsfeier" sprach Kaiser Wilhelm II. am 18. Januar 1896 dann von Deutschland als "Weltreich". Der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow forderte am 6. Dezember 1897 in einer Rede den berüchtigten "Platz an der Sonne". Der Richtungswechsel der deutschen Außenpolitik hin zu Konfrontations- und Kriegskurs war damit vollzogen.

Aufgabe der DKS sollte es in diesem Kontext sein, die Kolonialpolitik und die Verbreitung des "Deutschtums" in aller Welt tatkräftig zu unterstützen; wirtschaftliche und ideologische Interessen spielten dabei gleichermaßen eine Rolle. Im Kreis der Schulgründer befanden sich einerseits Plantagenbesitzer und Kaufleute, andererseits aber auch Verfechter evangelischer Missionsarbeit: So war der erste Schulleiter Ernst Albert Fabarius ein Divisionspfarrer; "Mit Gott für Deutschlands Ehr, Daheim und überm Meer" lautete der Wahlspruch der Schule. Noch heute steht dieser am Gebäude über dem Schulwappen, das bereits andeutet, wie die Missionsarbeit erfüllt werden sollte: Auf einem Schild prangt neben einem dreimastigen Schoner ein Pflug - inmitten der stilisierten Reichskriegsflagge. Wohl am besten faßt die schuleigene Zeitschrift das Selbstverständnis der Kolonialisten zusammen. Titel: Der Deutsche Kulturpionier.

Der Gründergeist erwies sich als langlebig. Obwohl das Deutsche Reich mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg seine offiziellen Kolonien verlor, blieb die DKS bestehen. Schulgründer Fabarius hoffte weiterhin auf den baldigen Rückgewinn von Kolonialgebieten in Afrika und schickte seine Absolventen solange nach Übersee, um dort deutsche Siedlungskolonien zu unterstützen. Vor dem Hintergrund des mit Hingabe gepflegten großdeutschen Expansionsgedankens fand die entstehende nationalsozialistische Bewegung an der Schule großen Zuspruch. Bereits 1927 besuchte eine Delegation von 27 DKS-Schülern einen NSDAP-Parteitag, später entwickelte sich die Schule zur Keimzelle von Partei und SA in Witzenhausen.

Obwohl auch Dekan Eckhard Baum im Vorfeld des Jubiläums zu einer "kritischen Auseinandersetzung" mit der Geschichte aufrief, fehlt in einem von ihm publizierten Buch über die DKS und ihre Nachfolgeinstitution jeglicher Hinweis darauf, daß die deutsche Kolonialpolitik auf einem - das Handeln der Kolonialisten legitimierenden - aggressiven Rassismus basierte, der später ungebrochen in das nationalsozialistische Weltbild einging. So wird beispielsweise die Niederschlagung des Herero-Aufstands 1904 in "Deutsch-Südwestafrika" (Namibia), einem bevorzugten Zielort der DKS-Absolventen, mit keinem Wort erwähnt, obwohl dort etwa 60 000 Herero planmäßig in den Tod getrieben wurden. Vergeblich fordern die Studierenden die Aufarbeitung der kurzen, aber um so brutaleren deutschen Kolonialgeschichte ein.

Wie gering die Bereitschaft der Schulleitung ist, die Kontinuitäten von der NS- zur Nachkriegszeit anzuerkennen, macht auch die Diskussion um einen der prominentesten Schüler der Kolonialschule deutlich. Richard Walther Darré - 1933 von Hitler zum Reichsminister für Ernährung und kurze Zeit später zum Reichsbauernführer ernannt - legte mit seinem 1928 publizierten Buch "Das Bauerntum als Lebensquell nordischer Rassen" die ideologischen Grundlagen für die NS-Bauernpolitik. Daneben war er Leiter des "Rassen- und Siedlungshauptamtes" und SS-Obergruppenführer. In die DKS trat er einige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein, ehe er seine schulische Laufbahn für den Fronteinsatz unterbrach, um sich dann vorübergehend den Freikorps anzuschließen. 1919 kehrte er als Schüler nach Witzenhausen zurück.

Nachdem Darré Ende 1920 wegen Verleumdung eines Mitschülers der DKS verwiesen worden war, konnte er 1930 eine Nachdiplomierung erreichen. Grundlage dafür: die in seinem Buch erbrachten "wissenschaftlichen Leistungen". Während der nationalsozialistischen Jahre pflegte er engen Kontakt mit der DKS, deren neue Berufung er in der Ausbildung von Kolonisatoren für die "deutschen Ostgebiete" sah.

Auch nach dem Krieg hielten seine früheren Kollegen Darré die Treue. In einem Nachruf schrieb 1953 der ehemalige DKS-Studiendirektor Dr. Curt Winter als Abschlußsatz einer Lobeshymne auf den Verstorbenen: "Und die Quellen, die er zum Fließen bringen wollte, werden fließen." Der Artikel erschien in Der Deutsche Kulturpionier, der mittlerweile zum Organ des "Verbands Alter Herren der Deutschen Kolonialschule" avanciert war. Zeitschrift und Verband bestehen unter den Namen Der Tropenlandwirt und Verband der Tropenlandwirte bis heute weiter. Statt sich mit der engen Beziehung zwischen Darré und seinem Verband auseinanderzusetzen, greift dessen Vorsitzender Lindemann nun jeden an, der auf diese Kontinuität verweist. Während er der Meinung ist, daß es an der "Qualifikation der Lehre und Forschung" in Witzenhausen "nie gefehlt" habe, sieht er eine "sehr kleine, aber öffentlichkeitsaktive Gruppe" am Werk, die "vergleichbar mit den Methoden der Nationalsozialisten oder Stalinisten" arbeite. Ihr Vergehen besteht Lindemann zufolge im Sprühen von Graffitis.

Die Kontinuitäten setzen sich fort. So sorgte 1996 ein Mitarbeiter des institutseigenen Museums mit offen rassistischen Äußerungen für Aufsehen. Erst nach öffentlichen Protesten mußte der ehemalige Schüler Hanns Bagdahn, der 40 Jahre lang als Tropenpflanzer in Angola gelebt hatte, seinen Posten räumen. Im 1997 erschienenen Buch von Dekan Baum heißt es zu Bagdahn dann lediglich, daß er sich "in besonderer Weise verdient gemacht" habe. So wundert es nicht, daß der "alte Herr" jetzt wieder Dienst tut.