Für Rosa, Karl und Topas

Vor dem Parteitag der PDS in Berlin: Der Streit um den Umgang mit der SED-Vergangenheit spitzt sich zu

Fänden Luxemburg-Liebknecht-Gedenkfeiern jeden Tag und nicht nur in Berlin statt, man könnte fast glauben, Erwin Huber von der CSU meinte ernst, was er sagt. "Bayern ist nicht bereit, tatenlos mitanzusehen, wie im Osten Deutschlands die SPD mit Hilfe der PDS den Sozialismus wieder einführen will", wetterte der Chef der bayerischen Staatskanzlei letzte Woche gegen die deutschen Sozialdemokraten. Die Regierung Edmund Stoibers werde nicht zulassen, "daß Aufbau-Ost-Gelder für den Kommunismus-Aufbau-Ost mißbraucht werden".

Der Kommunismus vor den Toren der Hauptstadt? Wenn man sich so umschaute unter der Zehntausende zählenden angegrauten Klientel der ostdeutschen Sozialdemokraten, die am Sonntag zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin-Friedrichsfelde marschierte, konnte man fast meinen: ja. Rote Fahnen mit und ohne Stern, DKP- und PDS-Banner, Sowjet- sowie DDR-Wappen - alles dabei.

Mag die Basis auch getroffen sein von den vermeintlichen Unverschämtheiten aus München, gefreut über die CSU-Propaganda hat sich sicherlich die PDS-Parteispitze. Das Wortgetöse Hubers dürfte - ähnlich wie die Rote-Socken-Kampagne der Gesamtunion vor einem Jahr - der PDS bei den nächsten Wahlen einige Stimmen mehr bringen: versteckte Wahlkampfhilfe-Ost, von Regionalpartei zu Regionalpartei sozusagen.

Nach Wochen des Streits um Amnestien für und Amnesien von altgedienten Parteimitgliedern kam der Gedenktag der Parteiführung wie gerufen. Mit dem Blick auf die Grabsteine der Helden von einst läßt sich über parteiinterne Auseinandersetzungen gut schweigen. Besonders über diejenigen, die den Umgang der gewendeten demokratischen Sozialisten mit ihrer Vergangenheit im Staatssozialismus betreffen - kurz vor einem Parteitag.

So war es in der letzten Woche eine Gruppe von jungen PDS-Abgeordneten aus Bund und Ost-Ländern, die den Streit um die innerparteilichen Strukturen erneut auf die Tagesordnung setzte. Wenige Tage vor dem Parteitag in Berlin sind damit die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern einer Amnestie von verurteilten DDR-Funktionären wieder ausgebrochen.

Dabei hatte mit dem Einzug der ersten PDS-Fraktion in den Bundestag vor drei Monaten alles so harmonisch begonnen: Schluß mit dem Gruppenstatus, endlich dieselben parlamentarischen Rechte wie die anderen Parteien - die Arbeit als einzige linke Opposition konnte beginnen. In Mecklenburg-Vorpommern erfüllte sich zudem der Herzenswunsch des Vorstands - die Regierungsbeteiligung wurde geschafft. Selbst Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker bestätigte der Partei ihre FDGO-Kompatibilität; darüber hinaus stellt sie nun - quasi als Nebenprodukt des Regierungswechsels - mit Petra Bläss erstmals eine Bundestagsvizepräsidentin und damit einen der höchsten Repräsentantivposten, die die Bundesrepublik zu bieten hat. Und das nun nicht mehr allein im Osten: Endlich wähnte sich die Parteiführung angekommen und akzeptiert in der Bundesrepublik.

Doch dazwischen funkten in der letzten Woche die drei Jungmitglieder. "PDS 2010?" hatten die Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Magdeburger Landtag, Matthias Gärtner, und PDS-Jugendreferent Stefan Grünwald ihr Papier betitelt, in dem sie der Partei nicht nur raten, sich "auf eine grundsätzliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen" zu besinnen, sondern endlich die parteieigenen Demokratiedefizite zu diskutieren.

Gerade noch rechtzeitig vor der Debatte über die künftige Programmatik in Berlin mahnten sie eine Auseinandersetzung über die Parteistruktur, die Rolle der Partei im politischen System der Bundesrepublik sowie das Verhältnis zu staatlicher Macht an. Ziel müsse es bleiben, "eine gesamtdeutsche sozialistische Kraft zu werden". Der Konflikt verläuft dabei weniger - wie bei früheren Debatten - entlang der Haltung zu Regierungsbeteiligung und Opposition. Die PDS bleibe "prinzipielle gesellschaftliche Opposition, auch wenn sie sich an Regierungen beteiligt", glauben die Verfasser des Papiers. Auf die innerparteiliche Struktur komme es an.

Ins selbe Horn stießen einen Tag später neun der 36 Bundestagsabgeordneten. Anlaß: der Honorarvertrag zwischen dem Ex-DDR-Spion Rainer Rupp und der Fraktion. Die Verpflichtung des als "Topas" bekannt gewordenen einstigen HVA-Agenten, so die Verfasser, sende wie die Debatte um Rehabilitierung und Haftentschädigung für verurteilte DDR-Funktionäre "das Signal aus, die PDS wolle unter ihren eigenen Anspruch auf Vergangenheitsbewältigung einen Schlußstrich ziehen".

Die Parlamentarier bangen um das gerade gewonnen geglaubte öffentliche Ansehen der Partei. Statt "die Diskussion über Bürgerrechte voranzubringen" und "den Weg zu einer sozialistischen Bürgerrechtspartei fortzusetzen", werde mit der Anstellung Rupps der Eindruck genährt, die PDS sei "eine rückwärtsgewandte Kraft". Erst wenn Konsequenzen aus der Amnestiedebatte gezogen seien, werde sich die Partei wieder ihren eigentlichen Themen zuwenden können.

Fragt sich, was den Demonstranten von Berlin-Friedrichsfelde wichtiger ist. Auf den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht lagen dort kaum mehr Nelken als auf den direkt benachbarten von Otto Grotewohl und Walter Ulbricht.