Insidergeschäft Sport

IOC und Fifa haben die Jahreszahlen unter sich aufgeteilt und sorgen dafür, daß kleine Verbände im Sport künftig nichts mehr zu sagen haben

Als bei der Abstimmung über die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 1996 nicht Athen, sondern das US-amerikanische Atlanta gewann, da sahen dies die meisten Fachleute als einen Beleg für die zunehmende Kommerzialisierung des Sports. Denn eigentlich war man zuvor davon ausgegangen, daß die Entscheidung nur eine Formsache sei. 100 Jahre nach der von Pierre Coubertin in Athen ausgerichteten ersten Olympiade der Neuzeit schien klar, daß nur die griechische Hauptstadt für die Jubiläumsspiele in Frage käme.

Nun scheint klar, daß die Entscheidung für Atlanta - das nach Meinung des IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch die schlechtesten Spiele seit Jahrzehnten veranstaltete - massiver Korruption geschuldet war. Denn als Marc Hodler, der 80jährige Vizepräsident des IOC, der seit 1963 für das Komitee arbeitet, kürzlich erklärte, daß schon seit einigen Jahren bei jeder Bewerbung Stimmenkäufe und Bestechung eine große Rolle spielten, wurde er sofort danach gefragt, ob Atlanta die Gastgeberrolle ehrlich bekommen habe. Hodler antwortete: "Sicher nicht!" Professionelle Stimmenhändler, so die Aussage des Funktionärs, bieten den Bewerberstädten ihre Dienste an. Insgesamt kosteten diese einen erfolgreichen Olympiabewerber zwischen fünf und zehn Millionen Mark - laut Hodler kann einer dieser Dealer beweisen, daß keine Stadt ohne professionelle Hilfe gewonnen hat, seit dieser Service existiert.

Mit seinen Aussagen bestätigte Hodler nur das, was immer wieder veröffentlicht und bisher eher achselzuckend zur Kenntnis genommen wurde: Die Herren der olympischen Ringe handeln weitgehend unkontrolliert mit einer Ware, die Millionenprofite einbringt. Insidergeschäfte und Korruption bleiben da nicht aus.

Trotzdem waren die Reaktionen sehr heftig, besonders in Skandinavien. Das schwedische Öresund war bei der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2002 dem US-amerikanischen Salt Lake City unterlegen. "Wenn sich nicht einmal der mächtigste Sportverband der Welt, das IOC, an die Spielregeln hält, wie kann man dann erwarten, daß sich die Teilnehmer an Olympiaden sportlich verhalten?" kommentierte die schwedische Tageszeitung DN: "Es handelt sich hierbei um einen viel ernsteren Vorfall als z.B. den Dopingfall Ben Johnson". Das Organisationskomitee von Öresund kündigte eine Klage an, schließlich hatte man in der Hoffnung auf reichliche Gewinne Millionen investiert.

Die Tatsache, daß auch die Schweden den IOC-Mitgliedern während ihrer Inspektionsbesuche Geschenke gemacht hatten, wird als nicht so gravierend angesehen - für die Funktionäre gab es in Öresund nur Ikea-Gutscheine. Der spätere Gewinner Salt Lake City wendete

da schon deutlich größere Summen auf: Mehrere hunderttausend Dollar, so erklärte der Präsident des Organisationskomitees SLOC, Frank Jolik, seien für Geschenke, Stipendien und Zahlungen an IOC-Mitglieder und deren Familien ausgegeben worden, einem Funktionär wurden Grundstücksspekulationen ermöglicht.

Weiter hatte das SLOC, wie Mike Leavitt, Gouverneur von Utah, bestätigte, "weibliche Begleitungen" organisiert, die mit den offiziellen SLOC-Kreditkarten bezahlt worden waren. Jolik und sein Stellvertreter Dave Johnson traten am letzten Wochenende zurück, ohne direkt eine Beteiligung an den Bestechungsfällen einzuräumen. Für das IOC scheint der Fall Salt Lake City damit erledigt zu sein, weitere Konsequenzen wird man wohl nicht ziehen - im Gegensatz zur US-amerikanischen Justiz, die den Fall SLOC nun näher untersuchen will. Nach einer Unterredung zwischen Samaranch und Gouverneur Leavitt erklärte der IOC-Präsident, man habe volles Vertrauen zum SLOC, es werde die Winterspiele des Jahres 2002 "zum totalen Erfolg" machen.

Die Wirtschaftsunternehmen, die an der Finanzierung der Spiele beteiligt sein werden, halten jedoch im Moment die vorgesehenen Gelder zurück. Michael Frandsen vom Sponsor US-West schloß in einem Interview nicht aus, daß man sich ganz zurückziehen werde - immerhin beschäftigt sich eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des kanadischen IOC-Direktors Fran ç ois Carrard mit den Bestechungen rund um Olympia. Sie soll am 23. Januar erste Ergebnisse vorlegen. Carrard erklärte jedoch schon vorab, es werde zwar zu diesem Termin einen Kommissionsbericht geben, "aber ich weiß nicht, ob es schon der Abschlußbericht sein wird".

Denn als die wahren Schuldigen gelten den meisten IOC-Funktionären nicht die Komiteeangehörigen der Bewerberstädte, sondern die angeblich bestechlichen Funktionäre in den eigenen Reihen. Besonders die aus Afrika seien korrupt, heißt es. Dabei scheinen nicht nur, wie bisher verbreitet, IOC-Mitglieder, die aus Ländern kommen, die in Europa als unterentwickelt gelten, in den Skandal verwickelt zu sein. Neben dem inzwischen verstorbenen René Essomba aus Kamerun, dem Libyer Bashir Mohamed Attarabulsi, David Sikhulumi aus Swasiland, Witali Smirnow (Rußland), dem Mongolen Shagdarjew Magwan und Jean-Claude Ganga aus dem Kongo wurde kürzlich auch der Niederländer Anton Geesink als bestechlich geoutet - was an den Vorwürfen gegen diese Funktionäre dran ist, ist jedoch noch unklar. Der Branchendienst sport inform hielt bisher nur die eher vage Unschuldsbeteuerung Geesinks für zitierbar: "Ich weiß von nichts. Ich habe weder von Salt Lake City noch von einem anderen Olympia-Kandidaten Geld entgegengenommen."

Bei allen Skandalen rätselt man immer noch über die Motive, die Marc Hodler zu seinen Enthüllungen bewogen haben. "Vielleicht ist er der Korruption nur müde, vielleicht ärgert den alten Mann einfach nur, daß die Zeiten nicht mehr so sind, wie er sie gewohnt ist", mutmaßte ein schwedischer Journalist, und DN schrieb: "Das, was Marc Hodler getan hat, ist langfristig sicher das beste, was ein IOC-Mitglied seit langer Zeit für den olympischen Gedanken getan hat."

Daß Hodler jedoch mit seinem Vorstoß vielleicht etwas völlig anderes bewirken wollte, ist nicht auszuschließen. Denn auf die häufig geäußerten Forderungen, das IOC umzustrukturieren und zu modernisieren, reagierten Funktionäre schon wenige Tage nach Hodlers Äußerungen mit dem Vorschlag, die Vergabepraxis dahingehend zu ändern, daß künftig nur noch ein kleiner Kreis über die Bewerbungen entscheidet. Was zunächst als vernünftige Idee begrüßt wurde, läuft jedoch darauf hinaus, daß nur noch die Industrieländer Sitz und Stimme in diesem Gremium erhalten könnten. Mit dem schönen Nebeneffekt, daß sie demnächst ungestört Spiele und Profite unter sich verteilen könnten.

Mitten in der angeblichen Aufarbeitung olympischer Skandale witterte plötzlich ein weiterer Sportverband seine große Chance. Der Präsident des internationalen Fußballverbandes Fifa, Joseph Blatter, erklärte, daß man sich gut vorstellen könne, Fußball-Weltmeisterschaften künftig alle zwei Jahre zu veranstalten. Dabei geht es nur vordergründig darum, mit anderen Sportarten gleichzuziehen. Eishockey-Weltmeisterschaften finden jährlich statt, alle zwei Jahre erzielen Leichtathtletik-WMs Rekordzuschauerzahlen und -umsätze. Ein zweijähriger Turnus, so Blatters Kalkül, ermöglicht eine Gewinnverdoppelung.

Sein Vorschlag stieß zunächst nur bei den Vereinen auf Kritik, die den Spielbetrieb gefährdet sehen. Und ein wenig später auch bei den kleinen nationalen Verbänden, denn Blatters Vorschlag ist eher ein Versuch, die sogenannten Kleinen auszuschließen: Die Vertreter der Länder, die als traditionell stark gelten, wären automatisch qualifiziert, Spiele gegen drittklassige Kicker blieben ihnen erspart - ebenso wie überraschende peinliche Niederlagen und vorzeitige Heimreisen.

Die Uefa sah das allerdings nicht nur als Abqualifizierung ihrer EM, sondern auch als Angriff auf die Champions League, und reagierte mit einer Boykottdrohung - dieser Machtkampf ist zwar noch nicht entschieden, aber wahrscheinlich wird man einen Kompromiß finden, der auch der Uefa reichliche Gewinne bringt.

Und schließlich alarmierte Blatters Idee die IOC-Funktionäre, denn die hatten nun ein Problem. Seit 1994 hat es kein traditionelles Olympisches Jahr mit Winter- und Sommerspielen mehr gegeben, die beiden Großveranstaltungen waren auf die geraden Jahre verteilt worden, so daß nunmehr alle zwei Jahre eine Olympiade stattfindet. Wenn Winterolympiaden ausgetragen werden, wird zwar der Weltmeister im Fußballspielen ermittelt, aber beide Veranstaltungen kommen sich nicht in die Quere.

Anders sähe es aus, wenn Sommerspiele und Fußballweltmeisterschaften im selben Sommer ausgetragen würden. Deswegen trafen sich die beiden Branchenriesen in der letzten Woche, um zu beraten. Das Ergebnis: Die Monopolisten teilten die Jahreszahlen untereinander auf, die geraden Jahre gehören dem IOC, die ungeraden der Fifa.