»Irregeleitete Geheimdienstler«

Die iranischen Behörden haben Mörder in ihren eigenen Reihen entdeckt

Präsident Mohammad Khatami ist zufrieden mit der Arbeit seines Staatssicherheitsdienstes. Zumindest lobte er vergangenen Mittwoch nach einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Irna, daß die Behörde die Mordserie an iranischen Intellektuellen endlich aufgeklärt und die Verantwortlichen verhaftet habe.

Die Festnahme werde das Vertrauen der Menschen in den - oft nur als Informationsministerium bezeichneten - Staatssicherheitsdienst stärken. Seit November waren Intellektuelle wie Madjid Scharif, Mohammad Mochtari, Mohammad Jafar Pujandeh, Piruz Dawani, Dariusch Foruhar und seine Ehefrau Parvaneh Eskandari ermordet worden (Jungle World, Nr. 52/1/98).

Dabei kamen die von den iranischen Sicherheitsbehörden als Täter Inhaftierten aus dem Informationsministerium selbst. Eine von Irna nicht genauer bezifferte Anzahl "fehlgeleiteter und unverantwortlicher" Mitglieder des Sicherheitsdienstes sei an der Mordserie gegen "Dissidenten, Schriftsteller und oppositionelle Führer" beteiligt gewesen, hatte die Behörde erklärt und damit nach Auffassung Khatamis "Selbstvertrauen, Kraft und Freiheit der Menschen" im Iran gestärkt. Der Präsident soll die Ergebnisse der mit der Untersuchung betrauten Kommission bereits in der vorvergangenen Woche erfahren haben. Öffentlich wurden sie aber erst am Montag vergangener Woche durch einen Bericht der Tageszeitung Salam.

Bei einem Treffen mit Vertretern des für den Geheimdienst zuständigen Innenministeriums betonte Khatami, der Fortschritt und die Entwicklung des Landes seien von seiner Sicherheit abhängig. Es sei die Pflicht des Innenministeriums, dafür zu sorgen, daß die Gesetze eingehalten würden: "Jedes Individuum sollte diejenigen, die die vom Gesetz festgelegten Grenzen überschreiten, observieren." Die Gesellschaft würde darunter leiden, wenn die "soziale Disziplin" nicht kontrolliert werde, sagte Khatami und bekräftigte, die islamische Revolution von 1979 sei der "Ausgangspunkt für die Akzeptanz von Gesetz und Ordnung in der Gemeinschaft".

Wenn jemand islamische Gesetze verletze, werde eine chronische soziale Unordnung erzeugt, die zwingend zu einem despotischen Regime führe. Unerwähnt ließ der Präsident dabei, daß die Gesetzgebung der Islamischen Republik Iran keinen Platz für die politische Artikulation von islamischen Oppositionellen, Säkularisten oder Angehörigen nicht anerkannter Minderheiten kennt.

Der sich auf die Revolution von 1979 berufende Reformer Khatami verbuchte es für sich als Erfolg, daß die Täter der Behörde überhaupt bekannt wurden. Er habe das Innenministerium "restauriert", bekräftigte er Anfang Januar - noch vor der offiziellen Erklärung des Sicherheitsdienstes. Und dafür erhielt er selbst von Regierungsmitgliedern anderer islamistischer Flügel Beifall. Jetzt sollen "irregeleitete Geheimdienstler" für ihre angebliche Tatbeteiligung hinter Gitter, und gleichzeitig soll dies für die Imagepflege des für den berüchtigten Geheimdienst Vevak verantwortlichen Innenministeriums genutzt werden.

Nateq Nuri, der Präsident des iranischen Majlis-Parlaments, hält es aber auch für möglich, daß "ausländische Mächte" die Drahtzieher hinter den Morden wären. Der "Feind" sei jedenfalls bemüht, Streit zwischen den verschiedenen Islamisten-Fraktionen hervorzurufen. Bereits vorher hatte eine Gruppe konservativer Parlamentarier die oppositionellen Volksmudjahedin für die Morde verantwortlich gemacht, und prompt wurden einige Personen, die den Mudjahedin angehören sollen, als Verdächtige verhaftet (Jungle World, Nr. 52/98).

Der Sicherheitsberater vom Chef der Justizverwaltung, Reza Amini, brachte außerdem die radikalislamistische Gruppierung der Forgan als mögliche Täter ins Gespräch. Angehörige dieser Organisation hatten schon im Jahre 1979 Ayatollah Morteza Motahari getötet. Auch angebliche "Schah-Anhänger" wurden von Amini für die Morde verantwortlich gemacht, ohne daß jedoch Festnahmen erfolgten.

Die Süddeutsche Zeitung feierte die Verhaftung von Geheimdienstmitarbeitern als "großen Erfolg" Khatamis und seiner islamistischen Reformpolitik; denn es war das erste Mal, daß die iranischen Innenbehörden eine Mordaktion gegen Oppositionelle eingestanden.

Ein angeblicher iranischer Regierungsmitarbeiter, der sich nach Deutschland abgesetzt hatte, berichtete hingegen der Frankfurter Rundschau von einem geheimen, semilegalen und "hochkarätig besetzten Gremium, das in Krisenfällen zusammentritt" und an dem auch Khatami beteiligt sei. Nach einem Bericht der Zeitung vom 6. Januar war der Informant seit 1995 im iranischen Regierungsapparat tätig und erzählte, von diesem "Krisenbewältigungsstab" wüßten noch nicht einmal alle Parlamentsmitglieder. Neben Khatami wurden auch der frühere Präsident Haschemi Rafsandjani, das religiöse Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei und die ehemaligen Außen- und Geheimdienstminister Ali Akbar Velayati und Ali Fallahian als Mitglieder des "Krisenbewältigungsstabes" benannt.

Der Tagesspiegel, nach dessen Informationen der Iraner für den "Krisenbewältigungsstab" arbeitete, bezeichnete diese Institution gar als "geheime Nachfolgeorganisation" des im Mykonosprozeß bekannt gewordenen "Komitees für Sonderangelegenheiten". Nach der schriftlichen Urteilsbegründung hat das Komitee die Ermordung von Personen, die den machtpolitischen Interessen des iranischen Regimes im Wege stehen, in Auftrag gegeben. Nur der Revolutionsführer Khamenei habe den Tötungsbefehl dann noch absegnen müssen.

Nach den Angaben des Regierungsmitarbeiters trifft sich der Stab nur zur Entscheidung über besonders bedeutsame Sicherheitsangelegenheiten. Insbesondere Journalisten, Verleger, Autoren und andere Intellektuelle stünden im Mittelpunkt des Interesses und würden im Auftrag des Gremiums ausgeforscht. Ob die Intellektuellen das iranische System anerkennen, ob sie organisiert seien, ob sie von ausländischen Gruppen oder Personen unterstützt würden und welchen gesellschaftlichen Einfluß sie hätten, sollte eine spezielle "Forschungsgruppe" herausfinden. Ein Teil der Ausgespähten sei bereits umgekommen, weitere 180 Oppositionelle im Iran und im Exil seien auf einer Liste als nicht systemkonforme Männer und Frauen vermerkt.

Manchmal geht es aber auch den Regimevertretern an den Kragen: Am 5. Januar, dem Tag vor dem Selbstbekenntnis des Informationsministeriums, wurde auf den Direktor des Teheraner Justizapparates, Hojjatoleslam Ali Razini, ein Attentat verübt. Der von Oppositionellen gefürchtete Ayatollah Razini, der für Hunderte von Todesurteilen verantwortlich sein soll, liegt nun schwer verletzt im Krankenhaus.